Ordnung ist das halbe Leben? Nicht bei uns

Unser Kolumnist Christian Johannes Käser versucht seit Jahren, sich gute Strategien zum Putzen anzueignen. Aber es will einfach nicht so richtig klappen. Hier ist seine Erklärung dafür.
Zugegeben: Ich bin ein Mensch, der eine leichte Neigung zum Chaos hat. Wie viele Selbsthilferatgeber habe ich nicht schon zum Thema Ordentlichkeit gelesen. Von «Die Kunst des Entrümpelns» bis «Magic Cleaning – wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert». Ich habe mir immer gewünscht, ordentlicher zu werden. Einige Bekannte haben mir prophezeit, dass Kinder aus mir automatisch einen Menschen machen, der mehr Ordnung in die Wohnung bringen wird. Ist das passiert?
Nun, Kinder sind lustige, unterhaltsame und zauberhafte Mitbewohner*innen, doch gleichzeitig fördern sie die Entropie, dieses Mass für die Unordnung, die ein System – in unserem Fall die Wohnung oder das Auto – aufweist. Dagegen anzukämpfen, ist hart, sehr hart.
Dass ich also dank meiner Kinder zu einem Könner in Sachen Sauberkeit und Ordnung geworden bin, kann ich nicht wirklich behaupten. Viel eher als ein Könner, fühle ich mich wie der götterverachtende Sisyphos, der den Stein immer wieder den Berg hinauf rollen muss.
Doch wer sagt mir eigentlich, dass ich den Boden am Samstag um 9:30 Uhr noch feucht aufnehmen muss, wenn draussen die Sonne scheint und die Berge locken? Die modernen Götter, die uns da meist dazwischenfunken sind wohl die Glaubenssätze. Sätze, bei denen wir davon ausgehen, dass sie wahr sind. Schauen wir uns vier von ihnen mal genauer an:
1. «Ordnung ist das halbe Leben»
Ähh, nein. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in diesen Büchern, in denen Menschen auf dem Sterbebett Dinge bereuen, jemand bedauert hat, nicht das halbe Leben mit Ordnung verbracht zu haben.
2. «Wer sauber macht, reinigt seine Seele»
Auch diesen schönen Kalenderspruch würde ich gerne in Frage stellen. Zum einen gibt es angenehmere Dinge, um seinen Seelenhaushalt zu pflegen, und zum anderen ist doch der entscheidende Dreh einer Seele, dass sie nicht stofflicher Natur ist.
Wenn ich auf den Knien Urinstein herauskratze oder Haare aus dem Duschabfluss klauben muss, kann ich nicht abschalten.
4. «Sauberkeit hält gesund»
Das leuchtet mir ein, wenn ich mir Szenen aus dem Mittelalter schildern lasse. Als ehemaliger Jungwächtler halte ich mich aber viel eher an den Grundsatz: Ein echter Jungwächtler isst fünf Kilo Dreck im Jahr.
5. «Beim Putzen kann man abschalten»
Sorry, nein. Wenn ich auf den Knien Urinstein herauskratze oder Haare aus dem Duschabfluss klauben muss, kann ich nicht abschalten.
Ja, ich hege den schwerwiegenden Verdacht, dass diese urschweizerische Disziplin noch immer von solchen Glaubenssätzen geprägt ist.
Neben diesen Ansätzen, welche die Tätigkeit des Putzens idealisieren, gibt es aber auch das Versprechen der Putzmittelindustrie, dass mit den richtigen Mitteln und Tools der Aufwand immer kleiner wird. Dieses Versprechen hat sich an manchen Stellen tatsächlich erfüllt und ich möchte unseren Staubsaugerroboter nicht missen. Gleichzeitig kann die Sehnsucht nach einem keimfreien Zuhause ohne Putzlappen auch dazu führen, dass immer wieder neue unerforschte Putzgebiete mit noch teureren Hightech-Geräten erschlossen werden.
Der Grund, warum wir als Familie noch nicht auf Grund gelaufen sind, ist wohl, weil wir sehr gut mit Unordnung umgehen können.
Freude finden in der Sinnlosigkeit
Lasst also die Bionella lieber auf dem Teller vor sich hin trocknen und geht schon um 9 Uhr aus dem Haus, damit ihr es bis um 12 Uhr auf den Kronberg geschafft habt. Würd ich einen Ratgeber zum Putzen schreiben, dann wäre der Titel eher: «Mess it up! Wie Du mit weniger Ordentlichkeit ein glücklicheres Leben führen kannst», oder vielleicht etwas mit noch mehr Strahlkraft: «Scheiss auf die Hausarbeit! Das Leben findet jenseits der WC-Ente statt».
Ich würde tatsächlich so weit gehen zu behaupten, dass der Grund, warum wir als Familie mit vier Kindern und zwei berufstätigen Eltern noch nicht auf Grund gelaufen sind, einzig der Tatsache geschuldet ist, dass wir beide sehr gut mit einer gewissen Form von Unordnung umgehen können. Meine Frau putzt übrigens noch weniger gern als ich. Manchmal bin ich erstaunt wie schlecht sie darin ist, obwohl sie selber als Kind viel öfter zum Putzlappen greifen musste.
Ich möchte wirklich niemandem die Freude am Putzen verderben. Echt. Vielleicht kann Camus vermitteln: Der französische Philosoph sah den armen Sisyphos als einen glücklichen Menschen. Und das nur aus einem Grund. Er ist sich der Sinnlosigkeit seiner Tätigkeit bewusst.
Wenn wir uns also klar machen, dass Putzen letztlich sinnlos ist, können wir uns dieser sinnlosen Tätigkeit wieder umso freudvoller hingeben.