Pubertät: Unser Thema im Dezember/Januar
Generation Corona: Wie Erwachsenwerden in der Pandemie gelingt. Und welche Rolle Eltern dabei spielen.
Chefredaktor Nik Niethammer stellt Ihnen das Dossier Pubertät und weitere Themen der Doppelnummer Dezember/Januar 2021/2022 vor. Das neue Magazin erscheint am Mittwoch, 8. Dezember 2021. Sie können das Heft auch online bestellen.
Ein Wohnzimmer, gedämpftes Licht. Mutter und Sohn sitzen am Tisch. Der Junge hebt müde den Kopf, fragt beiläufig, was sie sich eigentlich zu Weihnachten wünscht. Die Mutter überlegt und antwortet unerwartet: dass er sich heimlich nachts rausschleicht, Partys feiert, sich mit den Eltern streitet, die Schule schleifen lässt, sich verliebt, das Herz gebrochen bekommt, betrunken aus der Stadt abgeholt werden muss, mit den besten Freunden verreist. «Ich wünsche mir, dass du deine Jugend zurückbekommst.» Der Film «Der Wunsch» der deutschen Discounterkette Penny rührt Millionen zu Tränen. Und trifft den Nerv vieler Eltern, die sich so sehr wünschen, dass ihr pubertierendes Kind die Erfahrungen, die zum Erwachsenwerden dazugehören und die es während der Pandemie nicht machen konnte, endlich machen kann.
Wer bin ich? Wo ist mein Platz in der Welt? Warum spielen meine Gefühle verrückt? Die Pubertät ist für junge Menschen die Zeit der vielen Fragen. Und der ständigen Überforderung. Gehirn und Körper verändern sich fundamental, sind im Ausnahmezustand. Was tun, wenn die Schule stresst, der Körper sich komisch anfühlt, die Eltern nur noch nerven? Die Antwort vieler Jugendlicher auf dem Weg zum Erwachsenwerden lautet: Sich abgrenzen. Pläne schmieden. Über die Stränge schlagen. Sich zum ersten Mal verlieben. Reisen, frei sein.
Die Jugend ist die Verliererin der Pandemie. Kontaktbeschränkungen, ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung und zu viel Medienzeit haben Jugendlichen in den vergangenen Monaten zugesetzt. Viele sprechen von verlorener Lebenszeit, fühlen sich wundgerieben, einsam, unverstanden. «Die Pandemie war die bisher schlimmste Zeit in meinem Leben», sagt die 16-jährige Nadja Bader in unserem Dossier «Pubertät». Die Zeit zu Hause mit den Eltern und Geschwistern sei belastend gewesen, «ich war oft traurig, aber auch empört und wütend».
Die Pubertät ist die finale Selbstfindungsphase für Eltern und Kinder – auch ohne Pandemie. «Die Pubertät setzt dann ein, wenn die Eltern schwierig werden.» Bei diesem Satz muss ich als Vater von zwei frühpubertierenden Kindern (12 und 10) schmunzeln. Wenn ich freundlich anrege, die Sportsachen in den Wäschekorb zu legen, bekomme ich zur Antwort: «Wenn es dich stört, kannst du sie ja selber wegräumen.» Wenn ich bestimmt einfordere, das Tablet sofort zu verräumen, folgt ein veritabler Wutausbruch («du bist so blöd»), begleitet von Türschletzen.
Pubertät ist, wenn man grübelt, und nicht weiss, worüber …
Klaus Klages, deutscher Gebrauchsphilosoph, Satiriker und Aphorismenschreiber
Die tröstliche Nachricht: Der weitaus grösste Teil der Jugendlichen kommt ohne oder mit nur geringen Schwierigkeiten durch die Pubertät, selbst wenn ein Virus namens Corona wütet. Und wenns mal wieder ordentlich knirscht zwischen mir und meinen Pubertisten, halte ich mich an Jesper Juul, der uns Eltern einst den Rat gab: «Hört auf, euch Sorgen zu machen. Geniesst eure Kinder. Und tröstet euch mit dem Gedanken, dass Kinder, selbst wenn sie durch stürmische Zeiten gehen und schmerzliche Erfahrungen machen, euch immer noch brauchen.»
In diesem Sinn – seien Sie Ihrem Kind ein verlässlicher Begleiter. Und kommen Sie selber gut durch diese besonderen Zeiten. Starke Kinder brauchen starke Eltern. Ich wünsche Ihnen sorgenfreie Tage und eine Extraportion Zuversicht.
Herzlichst,
Ihr Nik Niethammer