Spieler brauchen Grenzen! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Spieler brauchen Grenzen!

Lesedauer: 4 Minuten

Wie schädlich sind Computerspiele für Kinder? Der Medienexperte Thomas Feibel gibt Antworten auf die sechs häufigsten Elternfragen.

An Computerspielen scheiden sich in vielen Familien die Geister. Während dieses Medium die Kinder meist stark fasziniert, fühlen sich viele Eltern davon eher abgestossen. Sie verstehen oft weder die Games noch deren Spielmechanismen, empfinden aber die starke Sogwirkung auf junge Spieler als negativ. Was reizt Kinder und Jugendliche am Zocken? Was ziehen sie für sich aus Computergames, das sie bei anderen Spielen nicht bekommen? Antworten auf die wichtigsten Elternfragen:

Was fasziniert Kinder an Computerspielen?

Kinder können in Videospielen einfach alles sein und dürfen darin Dinge tun, die ihnen im realen Leben verwehrt bleiben: Autorennen fahren, durchs All reisen oder eine neue Welt erschaffen. Die Spielewelt bleibt mit ihrem festen Setting und abgeschlossenen Regelwerk überschaubar, und dass die Level immer schwerer werden, übt einen weiteren grossen Reiz aus. Alles kann in Ruhe ausprobiert werden, und im Gegensatz zur Realität ist das Scheitern in einem Spiel nicht mit weitreichenden Konsequenzen verbunden. Notfalls beginnt alles wieder von vorne. Und: Computerspiele haben immer Zeit, Eltern und Freunde hingegen nicht.

Können Kinder bei Computerspielen etwas lernen?

Das verhält sich ähnlich wie beim freien Spiel oder Brettspiel. Je nach Genre des Computerspiels wird die Kreativität und Fantasie gefördert. Auch Konzentration, Ehrgeiz und Ausdauer können zunehmen. Mit jedem weiteren Level steigt die Kompetenz der Spieler und natürlich müssen sie auch das Verlieren lernen, so die Resultate einiger Untersuchungen. Das ist zwar alles richtig, dennoch sollten diese Argumente nicht überhöht werden. Kinder vertreiben sich ihre Zeit nicht wegen des Lerneffekts mit Spielen, sondern weil es ihnen Spass macht. Soll das Lernen im Vordergrund stehen, gibt es spezielle Lernspiele oder sogenannte Serious Games, die über klare Lernziele verfügen. Zum Beispiel die App «Cloud Chaser» der Zürcher Blindflug Studios, in der es um das Thema Flucht und Dürre geht.

Können Computerspiele aggressiv machen?

Jedes Spiel macht aggressiv, wenn man verliert. Das ist schon beim klassischen «Mensch ärgere dich nicht!» so – und bei Computerspielen erst recht. Wer immer wieder an der gleichen Stelle eines Spiels scheitert, verliert jegliche Contenance. Gerade in der Pubertät besitzen Kin­der und Jugendliche bekanntlich eine besonders niedrige Frustrati­onstoleranz. Bislang gehen allerdings die Meinungen stark auseinander, ob brutale Spiele tatsächlich brutaler machen. Zu einer solchen Behaup­tung kommt es für gewöhnlich nach einem Amoklauf. Sicher ist kein Videospiel für eine solche Tat alleine verantwortlich zu machen, dennoch glaube ich, dass Gewaltspiele eine Auswirkung auf die Kinderseele haben. Denken Sie nur an den ersten Film, der Ihnen selbst als Kind eine Riesenangst eingejagt hat. Dieser ist bis heute unvergessen, oder?

Können Computerspiele süchtig machen?

Lange Zeit konnte die Spieleindust­rie dieses Thema verharmlosen: Vie­le Gamer würden «exzessiv» mit Spielen umgehen, aber dieses Ver­halten wäre nicht mit einer Sucht gleichzusetzen, hiess es. Die Welt­gesundheitsorganisation WHO sieht das anders und hat 2018 «Gaming Disorder», Computerspielabhängig­keit, als Krankheit klassifiziert. Vie­le Eltern denken, dass die grösste Suchtgefahr bei 12­- bis 16­-Jährigen liege. Tatsächlich entwickeln eher die 20­-Jährigen ein suchtkrankes Ver­halten, weil sie gerade zu Hause aus­gezogen sind und keine elterliche Kontrolle mehr erleben. Grund zur Entwarnung gibt es deshalb aber nicht. Kinder und Jugendliche ver­bringen deutlich mehr Zeit mit Games, als ihnen guttut. Zum einen liegt das an der grossen Begeiste­rung, mit der junge Menschen einer beliebten Tätigkeit nachgehen. Zum anderen finden manche kein Ende, weil viele Spiele kein klassisches Ende besitzen. Dennoch ist die über­triebene oder missbräuchliche Nut­zung bei Kindern nicht automatisch Sucht, sondern – pardon – ein Erzie­hungsproblem.

Sollte ich die Spielzeit meines Kindes begrenzen?

Zeitliche Begrenzungen sind immer sinnvoll, weil beim Spielen mit Com­puter und Konsolen jegliches Zeit­gefühl verloren geht. Ähnlich wie beim Fernsehen. Für Kinder im Vor­schulalter sind feste Bildschirmzei­ten von täglich 20 bis 30 Minuten ratsam, für Schüler und Jugendliche 60 bis 90 Minuten. Haben sie diese Zeit mit einem Spiel aufgebraucht, muss eben die Lieblingsserie entfal­len. Zeiten festlegen alleine reicht allerdings nicht. Eltern müssen für deren Einhaltung sorgen. So weit der Plan. Leider funktioniert das nur bei Computer­ und Konsolenspielen, da sie an feste Orte gebunden sind und somit in Sichtweite bleiben. Beim Smartphone können sich Kinder jedoch jederzeit dieser Kontrolle ent­ziehen.

Was taugen die Altersempfehlungen für Spiele?

Die Altersangaben stammen in der Schweiz von der Pan European Game Information PEGI, einer Selbstauskunft der Hersteller. Im benachbar­ten Deutschland gibt es noch die Altersangaben der Unterhaltungs­software Selbstkontrolle USK. Sie sind auch oft in der Schweiz sichtbar, da Gamehersteller in der Regel ihre Verpackungen für den gesamten deutschsprachigen Raum drucken. PEGI und USK sind reine Unbe­denklichkeitserklärungen im Sinne des Gewaltvorkommens, aber keinesfalls mit einer Altersempfehlung zu verwechseln. Mein Tipp: Ein Trailer im Netz verschafft immer einen ersten Eindruck. Hilfreich ist es auch, online nach Rezensionen zu suchen.

Tipps zu Games:

  • Eltern müssen nicht jedes Spiel selbst ausprobieren, sollten sich aber dafür interessieren. Das ist kein reines Interesse an Games, sondern an ihren Kindern.
  • Kinder würden ihren Eltern liebend gerne alles zum Thema Spiele erklären, wenn diese dem Thema gegenüber offener wären.
  • Eltern sollten feste Bildschirmzeiten einführen. Das betrifft Spiele, aber auch Fernsehen oder Streaming. Wecker stellen hilft.
  • Spiele sind teuer. Nicht jedes Spiel muss gekauft werden. Sie können in vielen öffentlichen Bibliotheken ausgeliehen werden.
  • App-Spiele haben selten die Spieltiefe von Konsolenspielen. InApp-Käufe locken mit erweiterten Spielmöglichkeiten. Jugendliche sollten sich ein Kauflimit setzen.
  • Eltern sollten Altersangaben beachten und notfalls im Netz die wichtigsten Informationen zu dem betreffenden Spiel nachlesen.

Zum Autor:

Thomas Feibel 56, ist einer der führenden Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

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