Muttermal, Narbe, Verbrennung: Ich bin anders
Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo
Muttermale, Narben, Verbrennungen – eines von 500 Kindern in der Schweiz hat eine Hautauffälligkeit, unter der es leidet. Dabei können Eltern betroffenen Buben und Mädchen helfen, mit diesem Anderssein gelassener umzugehen.
Hautauffälligkeiten können verschiedene Ursachen haben. Sie können angeboren, aber auch durch Krankheiten und Unfälle bedingt sein. Schätzungen zufolge hat hierzulande eines von 500 Kindern eine Hautauffälligkeit, die seine Lebensqualität beeinflusst. Denn nicht jeder Heranwachsende geht mit seiner Hautläsion so gelassen um wie Thomas.
Grosse Muttermale, Feuermale, Narben oder Verbrennungen ziehen die Aufmerksamkeit der Mitmenschen auf sich. Für betroffene Kinder und Jugendliche kann das unangenehm werden. Fremde jeden Alters starren, stellen Fragen, wollen anfassen, ekeln sich. Eltern können das nicht ändern. Aber sie können ihren Nachwuchs gezielt unterstützen, damit er souverän und gelassen mit seiner Hautläsion umgeht.
Schon im Kindergarten wird verglichen
Das ändert sich im Kindergarten und frühen Schulalter, denn hier beginnen die ersten Vergleiche. «In dieser Altersphase registrieren die Kinder, dass ihre Hautläsionen sie von ihren Altersgenossen unterscheiden», so Masnari.
Dieses erste Wahrnehmen der Hautauffälligkeit ist häufig noch frei von Bewertungen, was sich im Jugendalter massiv ändert. In dieser Phase bildet sich die Identität der Heranwachsenden heraus. Das geschieht auch anhand des eigenen Aussehens. «Was den Teenager mit Hautläsionen verwundbar macht. Er kann sich aufgrund der dermatologischen Besonderheit unwohl in seiner Haut fühlen», erklärt Masnari.
Entscheidender als das individuelle Alter ist allerdings die Frage, ob das Kind mit der Hautläsion geboren wurde. Kinder wie Thomas, die die Auffälligkeit seit ihrer Geburt haben, empfinden sie tendenziell stärker als einen Teil ihrer eigenen Identität – und akzeptieren sie deshalb vergleichsweise leichter. «Generell schwieriger scheint es für Jugendliche zu sein, deren Hautläsionen durch konkrete, womöglich sehr plötzliche und traumatische Ereignisse wie Unfälle und Brände herbeigeführt wurden», sagt die Psychotherapeutin.
Betroffene werden angestarrt
«Über 80 Prozent gaben an, Mitleid von anderen zu erfahren, 40 Prozent, dass sie mit Worten beleidigt, und rund ein Viertel, dass sie aufgrund ihrer Hautauffälligkeit ausgelacht werden», so die Psychologin, die in einer weiteren Studie auch 8- bis 17-Jährige ohne Hautauffälligkeiten befragt hat. «Diese Schüler schätzten Altersgenossen mit Hautläsionen als weniger sympathisch, intelligent und beliebt ein», so die Forscherin. Ihre Studie zeigt: Die Befragten würden ihnen eher aus dem Weg gehen.
Eltern sollten aufhorchen, wenn das Kind etwas meidet
Doch dürfen Eltern den sozialen Druck, der auf ihrem Nachwuchs lastet, nicht unterschätzen – und sollten wachsam sein, ob ihr Kind unter der Hautauffälligkeit leidet. Etwa bei grossen Veränderungen wie einem Schulwechsel oder Umzug. «Wenn das Kind zu meiden beginnt, was es im Grunde mag – etwa den Schwimmunterricht –, dann sollten Eltern aufhorchen», empfiehlt Ornella Masnari.
Fachleute können sie dabei unterstützen: «Wir laden Familien dazu ein, für ein oder zwei Stunden Beratung vorbeizukommen – das kann für alle Familienmitglieder hilfreich sein», sagt Masnari. Gleichzeitig betont die Psychotherapeutin: «Die meisten Kinder mit Hautläsionen brauchen keine langfristige psychologische Unterstützung.»
Eltern haben auch andere Möglichkeiten, ihren Nachwuchs zu stärken. Zunächst sollten sie seine Hautläsion grundsätzlich nicht tabuisieren. Stattdessen können sie die Auffälligkeit offen, positiv und optimistisch ansprechen. Dieser Ansatz stärkt den Selbstwert und die Widerstandskraft des Kindes, denn es zeigt ihm: Meine Eltern nehmen und lieben mich, wie ich bin – an mir ist nichts falsch, nichts verkehrt.
«Das Aussehen ist doch unwichtig.» Solche Kommentare sind gut gemeint. Sie helfen aber nicht.
Sie rät zu einer Drei-Punkte-Strategie: Zunächst kann der Teenager der fremden Person die Hautläsion kurz erklären. Dann gilt es den Fremden zu beruhigen, etwa: «Das Muttermal ist nicht ansteckend» oder «Es tut nicht weh». Und schliesslich empfiehlt Masnari, einfach das Thema zu wechseln.
Eltern können diese drei Reaktionen mit ihrem Nachwuchs proben. Das Rollenspiel mag sich zunächst merkwürdig für die Familie anfühlen. Aber schlussendlich stärkt es die soziale Kompetenz des Kindes im Umgang mit neugierigen wie taktlosen Mitmenschen.
Den Selbstwert des Kindes langfristig stärken
Darüber hinaus können Eltern das Umfeld ihres Kindes aufklären. «Mütter und Väter sollten beispielsweise mit den Lehrern reden oder ihnen schriftliche Informationen geben – auch darüber, welche Strategien sie benutzen sollten, wenn andere Schüler oder deren Eltern Fragen stellen oder negativ reagieren», rät Ornella Masnari. Sie können beispielsweise erklären, dass es nur ein Muttermal ist und keine Einschränkungen nach sich zieht.
Was die Eltern wiederum gar nicht tun sollten? Der Hautläsion ihres Kindes zu viel Aufmerksamkeit schenken. Für viele Mütter und Väter ist gerade das schwierig. Sie hadern womöglich mit Schuldgefühlen, weil ihr Kind ein Leben lang mit der Auffälligkeit zurechtkommen müssen wird. «Allerdings wird es mit der Zeit für die ganze Familie leichter», beruhigt Masnari. Denn sowohl das Kind als auch die Eltern wachsen mit der Herausforderung. Und meistern sie in den allermeisten Fällen hervorragend. Wie Thomas mit seinem Brownie.
Weiterführende Informationen: www.hautstigma.ch
Welche Arten von Hautstigma gibt es?
Zu gängigen angeborenen Hautläsionen gehören Mutter- und Feuermale ebenso wie Blutschwämmchen, sogenannte Hämangiome. Feuermale treten hierzulande bei bis zu drei von 1000 Neugeborenen auf. Mädchen sind etwas häufiger betroffen. Bis zu 6 Prozent aller Neugeborenen in der Schweiz weisen wiederum Muttermale auf, die bis zu 20 Zentimeter messen. Sie gelten als kleine bis mittelgrosse Nävi. Dagegen betragen sogenannte grosse Nävi zwischen 20 und 40 Zentimetern und sind deutlich seltener: In der Schweiz werden jährlich etwa vier Kinder mit grossen Nävi geboren. Riesennävi haben eine Grösse von mindestens 40 Zentimetern und können überall auf dem Körper auftreten. Sie sind jedoch noch seltener als grosse Nävi. Hämangiome sind sehr häufig: Etwa 10 Prozent aller Kinder im ersten Lebensjahr sind davon betroffen. Über die Hälfte aller Hämangiome liegen im Kopf- und Halsbereich.
Hauterkrankungen
Neurodermitis ist die häufigste Hauterkrankung im Kindesalter. Sie ist eine nicht ansteckende, stark juckende Entzündungsreaktion der Haut. Weitere Hauterkrankungen, die im Kindesalter auftreten können, sind Psoriasis (Schuppenflechte) und Vitiligo, bei der aufgrund eines Verlustes von Pigmentzellen weisse Flecken auf der Haut auftreten.
Seltener sind sogenannte ektodermale Dysplasien, eine Gruppe von über 200 seltenen, genetisch bedingten Erkrankungen der Haut, aber auch der Nägel, Haare und Zähne. Ihre Häufigkeit wird auf etwa 1:15 000 geschätzt. Epidermolysis bullosa bezeichnet wiederum eine Gruppe von seltenen, genetisch bedingten und angeborenen Erkrankungen, die eine erhöhte Verletzlichkeit der Haut zur Folge haben. In der Schweiz leben geschätzte 100 bis 150 Betroffene.
Frau Neuhaus, wann soll man Hautauffälligkeiten operieren?
Oberärztin Kathrin Neuhaus weiss, in welchen Fällen von Hautauffälligkeiten ein Eingriff wirklich Sinn ergibt. Es bestehen heute zahlreiche Möglichkeiten, diese chirurgisch beseitigen zu lassen: Allein im Kinderspital Zürich wurden im vergangenen Jahr rund 1470 Eingriffe durchgeführt. Die meisten davon waren Behandlungen und Nachbehandlungen von Verbrennungen und Verbrühungen.
Frau Neuhaus, lassen sich Hautläsionen heutzutage gut beseitigen?
Wann ist das Entfernen einer Hautläsion sinnvoll?
Was sollten Eltern generell über diese Eingriffe wissen?
Welches Alter empfiehlt sich am besten für solche Eingriffe?
Über welchen Zeitraum ziehen sich die Operationen hin, wenn es mehrerer Eingriffe bedarf?
Bild: Universitäts-Kinderspital Zürich /Valérie Jaquet
Was betrachten Sie als problematisch bei Eingriffen aus ästhetischen Gründen?
Gibt es auch Fälle, in denen Sie den Eltern empfehlen, so lange abzuwarten, bis das Kind selbst eine Entscheidung treffen kann?
Was möchten Sie Müttern und Vätern mit auf den Weg geben?
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