Das Ende vom Anfang

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Unser Kolumnist Mikael Krogerus sinniert über seine Grabinschrift und wer eigentlich die Gallionsfigur der aktuellen Krise sein könnte.
Das heisst auch, acht Wochen Lockdown gehen vorerst zu Ende. Es waren aufreibende, aufregende Wochen. Ich bin jemand, dem ganz grundsätzlich Veränderungen gefallen – «Neues muss man begrüssen, sonst geht es woanders hin», würde ich gern dereinst auf meinem Grabstein schreiben lassen – und so gefiel mir auch der Ausnahmezustand. Natürlich nicht die Sorge und die Ungewissheit, sondern einfach, dass mal etwas anders war. Wie ein Umzug in ein fremdes Land.
Man musste neue Umgangsformen lernen (Vor einer roten Fussgängerampel bilden sich zum Beispiel häufig Schlangen, weil niemand den Knopf drücken will. «Okay,» sage ich dann jeweils ein bisschen genervt aber mit einem heroischen Unterton, «Ich machs».). Man musste neue Worte lernen («Zoom», «exponentielles Wachstum», «Maskenpflicht») und neue Abläufe in Erwägung ziehen (Gläser nach jedem Essen abwaschen oder weiterverwenden?).
Vor allem aber hatte man Gesprächsstoff, zu dem wirklich jeder und jede, egal welchen Alters, etwas sagen konnte. Die Frage «Wie hast du es mit dem Lockdown?» war der perfekte Gesprächs-Opener. Für Fortgeschrittene dann diese Follow-up-Frage: «Was, das du dir während des Lockdowns angewöhnt hast, möchtest du auch weiterhin beibehalten?».
«Was, das du dir während des Lockdowns angewöhnt hast, möchtest du auch weiterhin beibehalten?»
An meinem Sohn schien der Lockdown spurlos vorübergegangen zu sein, er sinnierte bloss darüber, dass er vielleicht auch in Zukunft, «morgens statt abends» duschen wolle. Ein Freund schrieb lapidar: «Bier um vier», ein anderer hatte eine Homeoffice-Erkenntnis, die ich sofort unterschreiben würde: «Geh allen Calls und Videokonferenzen aus dem Weg. Kommuniziere konsequent schriftlich.»
Für meine Elterngeneration wiederum war der Lockdown vor allem die unangenehme Erfahrung, die Kinder und Enkel nicht treffen zu dürfen. «Die Familie ist mir näher gerückt», schrieb eine Verwandte, das Freundesleben hingegen wolle sie «ein wenig genauer unter die Lupe nehmen, bin ganz wohl auch alleine und werde diesen Raum behüten.» Meine Stiefmutter berichtete, dass sie im Lockdown jeden Tag mit ihrer Mutter telefonierte und jede Woche zwei neue Rezepte ausprobierte – eine Praxis gegen die man auch unter normalen Umständen nichts einwenden kann.
Und dann war da noch mein Onkel in Finnland. Er berichtete, dass er schon seit Jahrzehnten eine Extremform von Social Distancing praktiziert habe, er treffe niemanden. Für ihn hätte sich in den letzten Wochen nichts geändert und er habe vor, auch weiterhin so zu leben. Das hätte dir vor acht Wochen kein Mensch geglaubt: Ein finnischer Einsiedler ist die Galionsfigur der neuen Normalität.
Neu schreibt er einmal pro Woche eine Kolumne zum Thema Corona.
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