Oben kalt, unten verbrannt -
Merken
Drucken

Oben kalt, unten verbrannt

Lesedauer: 2 Minuten

Mikael Krogerus überlegt, an was sich seine Familie erinnern wird nach dem Lockdown. Kleiner Tipp: Corona geht, wie die Liebe auch, irgendwie durch den Magen.

Manchmal frage ich mich, was vom Lockdown bleiben wird. Ich rede jetzt nicht von den nachhaltigen wirtschaftlichen Schäden oder der Trauer über Verstorbene. Nein, an was werden wir uns, als Familie, erinnern, wenn wir an die Monate unter «Ausschluss der Öffentlichkeit» denken?

Meine These ist, dass wir nie zuvor so lange so eng zusammen gewesen sind – und nie wieder sein werden. Das Zusammensein ermöglicht vieles, aber es akzentuiert auch die Schwachstellen einer Familie.

Eine unserer Schwachstellen: Das Essen. «Das Schlimmste am Lockdown? Dass ich jeden Tag mit euch essen muss», jammerte unser Sohn schon in der ersten Woche. Es ging nicht nur um die Frage, was es gibt, sondern vor allem wann.

Meine Familie ist zweigeteilt. Meine Frau und mein Sohn sind das, was man in der Ernährungswissenschaft «Snacker» nennt – sie füllen ihren Kalorienbedarf mit Kleinigkeiten zwischendurch und essen höchstens einmal, meistens abends, richtig. Meine Tochter und ich sind «Stuffer», wir brauchen drei richtige Mahlzeiten pro Tag. Eigentlich vier.

Stuffer und Snacker, das sind zwei kreuzverschiedene Wesen, wie Hund und Katz, irgendwie schon miteinander verwandt, aber ausgestattet mit Bedürfnissen von unterschiedlichen Planeten. Ein Wunder eigentlich, dass wir es miteinander aushalten.

So sieht der komplexe Ernährungsplan für eine Snacker/Stuffer-Familie aus:
Morgens koche ich mir und meiner Tochter Porridge mit Früchten, Zimt, viel Butter und einer Banane (eine Reminiszenz an meine skandinavischen Wurzeln; wer morgens seinen Kindern keinen Gröt, also Brei, kocht, den holt die Kesb). Neuerdings schlage ich auch noch ein oder zwei Eier rein, damit wir nicht eine Stunde später schon wieder Hunger haben.

Mein Sohn und meine Frau schauen uns fassungslos zu und rühren anämisch in ihren Kaffeetassen.Ungefähr um 10 Uhr 30 treffen sich meine Tochter und ich wie von Geisterhand geführt wieder in der Küche für ein zNüni, das andere als Lunch bezeichnen würden: Joghurt mit Müesli und ein Brot mit Käse.

Ich werde erst wieder kochen, wenn die Hausarbeit zwischen Frauen und Männern gleichberechtigt aufgeteilt ist.

Mikael Krogerus‘ Frau

Dann, ungefähr um 11 Uhr 30, stehen plötzlich mein Sohn und meine Frau in der Küche. Sie haben seit gestern Abend nichts gegessen und jetzt entsprechend Hunger. In der Regel machen sie sich ein Brot. Mit Ovomaltine Crunchy Cream. Meine Tochter und ich schütteln den Kopf über die Snacker.

Wenn ich dann anfange, mittags zu kochen (immer warm, auch das ein Überbleibsel meiner skandinavischen Herkunft), sind meine Frau und mein Sohn natürlich noch satt vom Ovo Crunchy. Um 13 Uhr sitzen wir alle am Tisch – darauf bestehe ich – meine Tochter und ich hungrig wie Wölfe, während die anderen beiden lustlos im verkochten Risotto herumstochern. Denn ich bin ein Möchtegern-Gourmet, ich würde gerne das Kochen zelebrieren, aber mir fehlen die Musse und die Geduld. «Und das Können», ergänzt mein Sohn und grinst. 

Manchmal frage ich mich, was meine Frau und mein Sohn zwischen dem Ovo Crunchy und dem Abendessen treiben. Meine Frau isst, glaube ich, Gummibärchen und Chips. Mitunter überwindet sie sich zu Obst. Sie sieht sich in der Tradition der jüdisch-deutschen Theoretikerin Hannah Arendt, die ass angeblich immer nur Spiegelei, weil Kochen sie vom Denken abhielt.

Wenn meine Frau mittags kocht, doziert sie meistens zeitgleich: «Meine weiblichen Vorfahren standen in der Küche! Diese ganze Ernährungsfixierung, ob Hipster-Sauerteigbrot oder vegan, das presst Frauen wieder in traditionelle Rollen! Ich werde erst wieder kochen, wenn die Hausarbeit zwischen Frauen und Männern in dieser Welt gleichberechtigt aufgeteilt ist.» Dann tischt sie die Pasta vom Vortag auf: Oben kalt, unten verbrannt. 

«Dafür kann sie anderes», erklärt unsere Tochter ihrem Bruder und mir, als wären wir Touristen in einer fremden Familie. Abends finden wir uns dann. Jetzt sind alle vier hungrig, und alle vier essen gern. Es sind kurze, versöhnliche Momente einer ernährungstechnisch höchst dysfunktionalen Familie.

Mikael Krogerus
ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter ­und eines Sohnes und lebt in Basel. Von 2013 bis 2023 war er Kolumnist für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.

Alle Artikel von Mikael Krogerus

Mehr zum Thema Ernährung:

2403 Proteine Mythen Fakten Betty Bossi Wina Fonta Dossier Essstörungen Elternmagazin Fritz Fraenzi HK
Ernährung
Proteine – Alleskönner, aber kein Allerheilmittel
In unserer Ernährung spielen Proteine eine zentrale Rolle. Doch was ist dran am Wachstumswunder und an der Annahme, dass nur tierische Produkte unseren Eiweissbedarf decken können?
Carsten Posovszky über Darmerkrankungen und gesunde Ernährung
Ernährung
«Darmerkrankungen bei Kindern haben zugenommen»
Gastroenterologe Carsten Posovszky erklärt, wie Darmerkrankungen und Ernährung bei Kindern zusammenhängen.
2403 Schweizer Jugendherberge Ferien in der Schweiz fünf Gründe Elternmagazin Fritz Fraenzi
Advertorial
5 Gründe für Ferien in den Schweizer Jugendherbergen
Familienfreundlich und preiswert: die rund 50 Hostels in der Schweiz und Liechtenstein bieten alles, was Familien für entspannte Ferien benötigen.
Wenn Essen zum Problem wird: Nora und ihre Mutter Monika erzählen von ihren Erfahrungen.
Ernährung
«Spontan zu essen, fällt mir noch schwer»
Die heute 21-jährige Nora fing mit 16 an, sich mit gesunder Ernährung zu beschäftigen – und geriet in eine Magersucht.
Essstörungen: Mit diesen Tipps können Eltern vorbeugen
Ernährung
9 Tipps, um Essstörungen bei Kindern vorzubeugen
Zu einem gesunden Körperbild und einem entspannten Essverhalten können Eltern viel beitragen: 9 Tipps, um Essstörungen vorzubeugen.
Ernährung
Wenn Essen das Leben beherrscht
Was begünstigt Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen? Wie können Eltern vorbeugen und bei Problemen rund ums Essen reagieren?
Muskeln, Macker und Maseratis
Blog
Muskeln, Macker und Maseratis
Auf Insta, TikTok und Co. torpedieren sogenannte «Manfluencer» mit viel Muskeln und wenig Hirn die Erziehung unserer Kolumnistin.
«Eltern sollten beim Essen auf soziale Aspekte und Genuss achten»
Ernährung
«Eltern sollten beim Essen auf soziale Aspekte und Genuss achten»
Die Medizinerin Dagmar Pauli hat in ihrem Berufsalltag oft mit Jugendlichen zu tun, die ein gestörtes Verhältnis zum Essen haben.
Kohlenhydrate Betty Bossi 02_24 Header
Ernährung
Mythen rund um Kohlenhydrate
In der Welt der Ernährung kursieren viele Unwahrheiten. Wir räumen in dieser Serie mit Mythen auf. Den Auftakt bestreiten die Kohlenhydrate.
Ernährung
Die richtige Ernährung für jedes Alter
Die Ernährungsbedürfnisse unserer Kinder verändern sich stetig. So geben Sie Ihrem Nachwuchs gesunde Essgewohnheiten mit auf den Weg.
Fasten Betty Bossi
Ernährung
Fasten und Wachsen – geht das?
Das Essen zeitlich einzuschränken, ist voll im Trend. Doch wie sinnvoll ist Fasten und welche Auswirkungen hat es auf Kinder und Jugendliche?
Ernährung
Wann sich Bio lohnt
Sollte alles, was auf den Familientisch kommt, Bio sein? Ein Leitfaden für Mütter und Väter.
Ernährung
Laktoseintoleranz bei Kindern
Klagt Ihr Kind nach dem Verzehr von Milchprodukten über Bauchschmerzen? Der Grund könnte eine Laktoseintoleranz sein. 
Migräne und Spannungskopfschmerzen bei Kindern
Gesundheit
Das Hämmern im Kopf
Viele Schulkinder leiden regelmässig unter Migräne und Spannungskopfschmerzen. Welche Massnahmen helfen können, den Beschwerden gezielt vorzubeugen.
Entwicklung
Wenn das Kind zu wenig wiegt
Das Thema Untergewicht bei Kindern und Jugendlichen stösst auf wenig Resonanz. Doch wie unbedenklich ist Untergewicht wirklich?
Ernährung
Diagnose Diabetes – was Eltern wissen sollten
Anders als häufig angenommen, wird der früher oft Zuckerkrankheit genannte Diabetes nicht durch zu grossen Süssigkeitenkonsum ausgelöst.
Kochen mit Kindern
Ernährung
«Essen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme»
Spitzenkoch Rolf Caviezel besucht Schulklassen, um mit den Kindern zu kochen. Dabei sollen sie mehr über ausgewogene Ernährung lernen.
Ernährung
Gut, besser, Superfoods?
Superfoods sollen unterstützend wirken bei der Entwicklung von Körper und Gehirn. Doch ist das überhaupt nötig?
Ernährung
Alle zu Tisch, bitte!
Gemeinsames Kochen und Essen hat eine grosse kulturelle und soziale Bedeutung. Es ist für Eltern auch eine Gelegenheit, wichtige soziale Fähigkeiten zu vermitteln.
Ernährung
Wenn die Kartoffel in den Kompost muss
Was tun, wenn das Gemüse keimt oder Früchte weiche Stellen haben? 7 Tipps, wie sie Food Waste vermeiden.
SRF Kids Essen Klima
Erziehung
Was hat unser Essen mit dem Klima zu tun?
So können Sie Ihren Kindern die wesentlichen Zusammenhänge zwischen Ernährung und globaler Erwärmung erklären.
Wer zum Essen gezwungen wird, vertraut seinen Körpersignalen nicht mehr
Ernährung
«Wer zum Essen gezwungen wird, vertraut seinen Körpersignalen nicht mehr»
Ernährungswissenschafterin Marianne Botta sagt im Interview, woran sich Eltern vor lauter Ernährungstrends noch orientieren können.
Ernährung
Beruhigend oder erfrischend: ein Tee für alle Fälle
Pflanzenaufgüsse spenden Wärme, beleben und sind tolle Durstlöscher. Welche Sorten sich für welchen Zweck besonders eignen – und welcher Tee nicht in die Kindertasse gehört.
Vegan durch die Pubertät
Ernährung
Was tun, wenn die Tochter vegan durch die Pubertät will?
Wenn Teenager ganz auf tierische Produkte verzichten wollen, gilt es ein paar Dinge zu berücksichtigen. Wie eine vegane Ernährung gelingen kann.
5 Tipps für intuitive Ernährung
Ernährung
5 Tipps für intuitive Ernährung
Wann bin ich satt? Wann esse ich aus Langeweile? Mit diesen Tipps der intuitiven Ernährung stärken Sie Ihr eigenes Bauchgefühl und das Ihrer Kinder.