Wir sind dann mal offline – ein Selbstversuch
Runterfahren, ausmachen, weglegen: Eine Woche ohne Fernseher und digitale Medien ist für viele Kinder erst einmal hart – und dann ein Abenteuer. Familie Rohrer wagte den Selbstversuch.
Flimmerpause für eine Woche
Die Regeln sind simpel: Eine Woche lang in der Freizeit keine Unterhaltung am Bildschirm. Angelegt ist die Woche für Kinder vom Kindergarten bis zur sechsten Klasse. Besonders für sie sei es wichtig, sich des Umgangs mit dem Bildschirm bewusst zu werden, sagt Brigitte Waldis, «Flimmerpause»- Verantwortliche der Präventionsstelle Akzent Luzern. Kinder sollen schon früh die Erfahrung machen können: Es geht auch mal ohne digitale Medien. Wer aber meint, man könne den Kindern den Bildschirm verbieten und selbst weitermachen wie gewohnt, der irrt: Die Flimmerpause ist vor allem eine Prüfung für die Eltern.
Das ist auch bei Familie Rohrer so. Rilana Rohrer und ihr Mann Thomas leben mit ihren Kindern Jana, 9, und Severin, 7, in Ermensee im Luzerner Seetal, in einem Reihenhaus mit Garten, Trampolin und einer Schaukel. Wenn man durch Ermensee schlendert, riecht es nach frisch gesägtem Holz, in den Quartierwegen liegen Spielsachen herum, zum Baden geht man in den Hallwiler- oder den Baldeggersee, beide liegen in Fussdistanz. Jana reitet in ihrer Freizeit ein kleines Pony, geht wie Severin ins Geräteturnen, spielt Gitarre und tanzt. Severin spielt Fussball beim FC Hitzkirch.
Ein «Bildschirm-Problem» habe man nicht, sagen die Eltern. Trotzdem nimmt die Familie teil, wie die ganze Schule ihrer Kinder. Auch ich, der Journalist, schliesse mich an und lasse nach Feierabend die Finger von den digitalen Medien. Ob das gut geht?
Tag 1: Notstand
Die Kids wollen vor allem: gamen und Youtube schauen. Das dürfen sie sonst auch, zwei Mal unter der Woche, je zwanzig Minuten lang. «Oder auch mal eine Stunde», sagt Jana und lacht. Sie selbst schaut auf Youtube Backanleitungen und, natürlich, Musikvideos. «Ich bin froh, dass der Bildschirm bei uns nicht als festes Ritual in den Alltag eingebunden ist», sagt Rilana, «ich kenne einige Familien, bei denen vor dem Ins-Bett-Gehen ein kurzer Trickfilm zum Ritual gehört – so wird eine Bildschirmabstinzenz natürlich schwierig.»
«Man muss sich schon daran gewöhnen, an einem freien Abend nicht einfach den Fernseher einzuschalten oder etwas im Internet nachzuschlagen.»
Rilana Rohrer über den Selbstversuch
Mein Flimmerpause-Tagebuch: Mir geht es genauso. Was tut man, wenn nach einem erlebnisreichen Tag die digitale Alltagsbewältigung fehlt? Ein Buch lesen? Drei Mal unruhig durch die Wohnung tigern und sich dann mangels Alternativen hinlegen? Muss reichen für den Einstieg.
Tag 2: Die Alternative
Severins Fussballfreund fällt am zweiten Tag wegen Übelkeit aus – was jetzt? Die Mutter findet die Antwort in Form eines Tier-Ausmalbuchs. Severin malt in dieser Woche mehrere tierische Kunstwerke.
Mein Flimmerpause-Tagebuch: Tablet fünf Mal reflexartig zur Hand genommen und fünf Mal wieder weggelegt. Ein neues Gefühl für den Abend stellt sich ein. Ohne Bildschirm dauern zwei Stunden richtig lange. Statt Bildschirmleere fühle ich: Müdigkeit. Der einzige ungelesene Lesestoff im Haus: Kochbücher. Etwas über Würste gelernt. Dann eingeschlafen.
Tag 3: Schon Routine
Weder Severin noch Jana haben ein Smartphone. Jana hatte eines ohne SIM-Karte, bis es kaputtging. «Wir wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Kinder ein eigenes Smartphone haben», sagt Thomas. «Das lässt sich gar nicht vermeiden. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir schon jetzt üben, hin und wieder darauf zu verzichten.» Rilana sieht das ähnlich: «Die Flimmerpause hilft, dass wir uns bewusst werden, wie oft wir auf den Bildschirm schauen – im Alltag passiert das ganz automatisch.»
Severin und Jana können sich im Internet frei bewegen.
Mein Flimmerpause-Tagebuch: Einmal erreicht, fühlt sich die Flimmerfreiheit an wie die erschöpfte Gelassenheit nach einer Runde Sport, irgendwie gut. Trotzdem gehe ich wie beim Rauchstopp als Ersatz fürs Suchtmittel öfter mal zum Kühlschrank. Das ist entlarvend. Es stellt sich die Frage, weshalb man sich überhaupt angewöhnt hat, Entspannung im Internet zu suchen.
Tag 4: Fast geschafft
Mein Flimmerpause-Tagebuch: Falle am Abend müde ins Bett. War heute unterwegs und hatte zwischenzeitlich keinen Empfang. Das stört nicht. Das Bedürfnis ist schon völlig verschwunden.
Tag 5: Der Rückfall
Für mich ebenfalls. Doch abends ertappe ich mich mit dem Tablet auf der Couch. Die Hände haben automatisch zugeschlagen. Das fühlt sich unangenehm an. Aber so ist das bei einer Sucht: Das Wollen steigt, der Genuss sinkt. Nur: Den Bildschirm kann man ausschalten. Auch mal eine ganze Woche lang. Das geht. Wirklich.
Zum Autor:
«Ein gedankenloser Gebrauch digitaler Medien schlägt auf die Lebensqualität»
Wer seine Kinder bei einer bildschirmfreien Zeit unterstützen will, sollte ebenfalls auf digitale Medien verzichten, rät Brigitte Waldis von Akzent Luzern. Und erklärt, wie Familien besser durchhalten.
Frau Waldis, was ist so schlimm daran, wenn Kinder und Jugendliche lange vor dem Bildschirm sitzen?
Lernt es sich im Wald besser als in der Schule?
Wieso richtet sich das Projekt Flimmerpause an Kindergärtler und Primarschüler? Müsste man nicht eher Sekundarschüler vom Handy fernhalten?
Wie lassen sich Jugendliche dazu bringen, ihr Smartphone wegzulegen?
Es geht Ihnen also weniger um ein Verbot als um den bewussten Umgang mit dem Medium?
Eltern fällt es anfangs oft selbst schwer auszuschalten.
Was raten Sie Eltern, die auf eigene Faust eine Flimmerpause machen wollen?
Zur Person:
Weiterlesen:
- Social Media mache so süchtig wie Kokain, sagt der österreichische Psychiater Kurosch Yazdi. Das Interview über die «digitale Droge» Social Media und die Gefahr für Kinder und Jugendliche, sich darin zu verlieren.
- Das Smartphone als Babysitter? «Ein Kind mit digitalen Medien ruhigzustellen, ist verführerisch», warnt Medienpädagogin Eveline Hipeli.