Wochenend-Väter: Familie auf Distanz
Fotos: Raffael Waldner / 13 Photo
Am Wochenende Familienleben, während der Woche in der Single-Wohnung. Immer mehr Väter arbeiten weit weg von Frau und Kindern und führen ein Leben zwischen Abschied, Sehnsucht und der Vorfreude auf das nächste Wiedersehen. Kann so Familie gelingen? Zwei Väter ziehen Bilanz.
350 Kilometer weiter nordöstlich deckt seine Frau gerade den Tisch, seine Zwillinge Lara (9) und Mario (9) waschen sich die Hände, setzen sich an den Esszimmertisch. Von Montag bis Freitagmittag bleibt der Stuhl ihres Vaters leer. Marc Wittwers Familie wohnt in München, er in Sattel, Schwyz.
Am Wochenende Familienleben, während der Woche leben und arbeiten in einer anderen Stadt oder einem anderen Land: Immer mehr Familien führen ein Leben auf Distanz, meistens sind es die Väter, die pendeln, weil sie von ihrer Firma versetzt werden, in ihrer Umgebung keinen vergleichbaren Job finden. Umarmungen, herumtollen, gemeinsam einschlafen, aufwachen, Sex, all das, was Partnerschaft und Familie ausmacht, wird dann in 48 Stunden gepackt.
Dafür sind Wittwers in München zu verwurzelt, seine Eltern wohnen ganz in der Nähe, die Schwiegereltern nur 40 Kilometer entfernt, betreuen an zwei Nachmittagen die Kinder, wenn seine Frau als Augenoptikerin arbeitet. «Also haben wir die Entscheidung um ein weiteres halbes Jahr vertagt.»
Die Kinder aus der Schule nehmen, den grossen Umzug, das wollte Marc Wittwer nicht.
Zurück in Burgdorf gibt es ein grosses Wiedersehen mit den beiden kleinen Halbgeschwistern – und überbackene Nachos. «Die sind obligatorisch», sagt der gebürtige Norddeutsche und lacht. Dass das Leben manchmal anders spielt, als man es von seinen Eltern kennt, weiss er spätestens seit 2007. Damals trennte er sich von seiner Frau. Nach der Scheidung lernte er eine Schweizerin kennen. Der Schritt in die Schweiz sei ihm nicht schwergefallen. «Meine Ex-Frau ist mit den Kindern oft umgezogen, so dass ich immer pendeln musste», erinnert er sich. Zwischen den Besuchen skypen sie.
Die Kinder führen gedanklich Buch, wer mehr von Papa hat
Dass abends keiner auf einen wartet, verleitet schon dazu, mehr zu arbeiten, sagt er. Zumindest die ersten Monate. Mittlerweile bemüht er sich um eine gute Balance, sitzt an Sommerabenden auf seinem Balkon, geht biken. Manchmal lädt er Kollegen zum Kochen ein. «Ansonsten führe ich hier das Leben eines Einsiedlers», sagt der Familienvater und lacht. Wirklich witzig findet er das aber nicht.
Natürlich freuen sich die Kinder, wenn er freitagnachmittags die Wohnungstür in München aufsperrt – wenn sie da sind. «Fussballtraining, Tanzen, sie haben mittlerweile auch ihr eigenes Programm.» Und dass die Mutter jetzt in vielen Dingen die erste Ansprechperson ist, sei für ihn nur verständlich. Daher fragt er auch beim Abendessen oft gar nicht ab, wie es in der Schule war. Marc Wittwer: «Wir machen lieber Pläne für die gemeinsame Zeit am Wochenende – alles andere ergibt sich in den nächsten Tagen.»
Er weiss, dass es wichtiger ist, am Samstag kein Fussballmatch seines Sohnes zu verpassen und dass danach seine Tochter dran ist, denn die Kinder führen gedanklich genau Buch. Manchmal bleibt auch Zeit für ein Abendessen zu zweit. Die Gespräche mit seiner Frau Bettina (44) fehlen ihm. Nähe geht verloren.
Wenn Dennis an seinen Vater denkt, schaut er sich zum Trost Fotos an.
Deshalb hat sich Alexander Volz etwas überlegt, eine Geschichte erfunden, in der drei Jugendliche in der Schweiz Abenteuer bestehen. «Es ist unschwer zu erkennen, wer diese drei sind», sagt er und schmunzelt. Bisher ist eine dieser Geschichten als Buch erschienen (Alexander Volz, «Rustico Vecchio – das Erbe Andrins», Band I, Spick Verlag, 2014, 29 Franken). Fünf Bände sollen es insgesamt werden, für jedes seiner Kinder einer. Das hilft auch ihm, mit der Distanz umzugehen und über sie hinweg seinen Kindern nah zu sein.
Online-Dossier Väter:
«Ich habe das Pendeln unterschätzt», gesteht auch Bettina Wittwer sich selbst und ihrer Familie ein. «Mir fehlt die Nähe meines Mannes vor Ort.» Hausaufgaben abfragen, die Kinder zum Sport oder zu den Freunden fahren, Elternsprechtage, Arztbesuche, Einkaufen, Putzen, ihre Tage sind randvoll. Unterstützung holt sie sich bei den Eltern und Schwiegereltern. «Aber es gibt Dinge, die kann ich nicht allein entscheiden», sagt sie. Diese Dinge schreibt sie auf einen Zettel. Ihre To-do-Liste fürs Wochenende. «Mario, gegen wen spielt ihr am Samstag? … Oh toll, ich freu mich schon!», sagt Marc Wittwer und nimmt sich vor, seine Tasche fürs Wochenende schon heute Abend zu packen. Dann ist er am Freitag schneller daheim.
* Namen von der Redaktion geändert