Teilweise fällt es uns schwer, Komplimente anzunehmen, weil wir spüren, dass das Gegenüber nicht wirklich an uns als Mensch interessiert ist, sondern
eigene Absichten verfolgt. Wer beispielsweise hört, dass er «immer so hilfsbereit ist» und im nächsten Satz gefragt wird, ob er «noch bei XY einspringen könnte», fühlt sich rasch manipuliert und ärgert sich.
Nicht selten schwingen in Komplimenten auch Erwartungen mit, die uns unter Druck setzen. Mittels Aussagen wie «Du bist doch schon ein grosses Mädchen» oder «Er ist so ein guter Schüler» etabliert man eine Normvorstellung, an der sich das Gegenüber zukünftig auszurichten hat. Das kann Ärger auslösen, Aggressionen begünstigen oder Ängste schüren.
Eltern erzählen mir immer wieder, dass ihre Jugendlichen dünnhäutig auf Rückmeldungen reagieren – egal ob positive oder negative. Manchmal steckt dahinter das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen, sich permanent beweisen und nie richtig gehen lassen zu können: in der Schule, beim Sport, in der Musik und in der Clique bezüglich Coolness, Aussehen und Beliebtheit.
Die Jugendlichen scheinen derart ermüdet von der permanenten Vermessung ihrer Person und Leistung, dass auch Komplimente plötzlich mit einem «Dauernd will jemand etwas von mir und muss seinen Senf dazugeben! Könnt ihr mich jetzt einfach mal alle in Ruhe lassen?!» quittiert werden.
Es ist gesund, wenn wir diese Gefühle wahrnehmen und offen sind für die Botschaft, die dahintersteht. Sie bewahren uns vor Verletzungen unserer Integrität und schützen uns davor, unser Denken, Fühlen und Handeln zu stark nach anderen auszurichten.