Wie reagiert Ihr Kind auf Lob?
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Kann Ihr Kind schlecht mit Lob umgehen? Wie sieht das denn bei Ihnen aus? Wer seine eigenen Reaktionen auf Komplimente versteht, kann auch das Verhalten seiner Kinder besser einordnen.
Wenn andere uns sagen, was sie an uns schätzen, erhöht dies die Selbstaufmerksamkeit. Wir stehen plötzlich im «Scheinwerferlicht» und werden dazu gezwungen, uns selbst zu betrachten. In unserem Kopf beginnt ein blitzschneller Bewertungsprozess:
- Stimmt das?
- Habe ich das «verdient»?
- Warum sieht diese Person mich so?
- Welche Absicht verfolgt mein Gegenüber?
- In einer Gruppe: Was passiert mit den anderen, wenn sie das hören?
- Wie soll ich reagieren?
Wenn ein Lob Scham, Ärger, Gleichgültigkeit oder sogar Abwehr auslöst, hat dies meist mit einem oder mehreren dieser Aspekte zu tun.
«Ups, die glotzen mich alle an!»
Lehrpersonen berichten mir häufig, dass einzelne Schülerinnen und Schüler beschämt auf Lob und Komplimente reagieren. Manchmal steckt dahinter die Angst vor Neid. Liest die Lehrperson einen beispielhaften Aufsatz in der Klasse vor oder lässt jemanden im Sportunterricht vorturnen, ängstigen sich manche Jugendliche zurecht, danach als Streber oder «Lehrerliebling» verspottet zu werden. Also zeigen sie keinerlei Regung, um den anderen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
In solchen Fällen entfaltet ein nettes Wort oft mehr Wirkung, wenn es beiläufig ausgesprochen wird, die Rückmeldung unter vier Augen erfolgt oder in Form einer kleinen Notiz, über die man sich in aller Ruhe freuen darf.
Nicht selten schwingen in Komplimenten auch Erwartungen mit, die uns unter Druck setzen. Das kann Ärger auslösen oder Ängste schüren.
Intensivere Gefühle lösen Komplimente aus, die neu sind. Oft klingen diese in unseren Ohren so ungewohnt, dass wir nochmals nachfragen müssen, ob wir sie richtig verstanden haben.
Nach dem ersten, irritierten «Was? Wirklich?» sind es oft genau diese Aussagen, die uns am meisten freuen.
«Die überschätzt mich!»
Das ist schade, weil wir damit nicht nur uns selbst kleinmachen, sondern manchmal auch Menschen vor den Kopf stossen, die uns eine Freude bereiten möchten.
Manche Jugendliche reagieren dünnhäutig auf positive wie negative Rückmeldungen, weil sie das Gefühl haben, ständig unter Beobachtung zu stehen.
Wenn uns eine Rückmeldung irritiert, dürfen wir nachfragen: «Wie kommst du darauf?», und uns auf ein spannendes Gespräch einlassen. Manchmal müssen wir auch anerkennen, dass es immer wieder Menschen geben wird, die etwas in uns hineinprojizieren, mit dem wir uns nicht identifizieren können – und dass es sinnlos ist, dagegen anzugehen.
«Was will die von mir?»
Nicht selten schwingen in Komplimenten auch Erwartungen mit, die uns unter Druck setzen. Mittels Aussagen wie «Du bist doch schon ein grosses Mädchen» oder «Er ist so ein guter Schüler» etabliert man eine Normvorstellung, an der sich das Gegenüber zukünftig auszurichten hat. Das kann Ärger auslösen, Aggressionen begünstigen oder Ängste schüren.
Eltern erzählen mir immer wieder, dass ihre Jugendlichen dünnhäutig auf Rückmeldungen reagieren – egal ob positive oder negative. Manchmal steckt dahinter das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen, sich permanent beweisen und nie richtig gehen lassen zu können: in der Schule, beim Sport, in der Musik und in der Clique bezüglich Coolness, Aussehen und Beliebtheit.
Die Jugendlichen scheinen derart ermüdet von der permanenten Vermessung ihrer Person und Leistung, dass auch Komplimente plötzlich mit einem «Dauernd will jemand etwas von mir und muss seinen Senf dazugeben! Könnt ihr mich jetzt einfach mal alle in Ruhe lassen?!» quittiert werden.
Es ist gesund, wenn wir diese Gefühle wahrnehmen und offen sind für die Botschaft, die dahintersteht. Sie bewahren uns vor Verletzungen unserer Integrität und schützen uns davor, unser Denken, Fühlen und Handeln zu stark nach anderen auszurichten.
«Und wie lobe ich nun richtig?»
Ich möchte Sie mit diesem Artikel lieber dazu anregen, Ihren Kindern, Ihren Schülerinnen und Schülern oder Freunden und Partnerinnen und Partnern näherzukommen, sie besser kennenzulernen. Vielleicht mittels Fragen wie: Was sind die drei schönsten Komplimente, die du jemals bekommen hast? Welche Rückmeldungen freuen dich? Warum? Wann wird es dir unangenehm? Welche Sätze nerven dich? Und was fällt zu selten jemandem an dir auf?
Zur Autorin:
Gemeinsam mit Fabian Grolimund leitet sie die Akademie für Lerncoaching, ein Beratungs- und Weiterbildungsinstitut mit Sitz in Zürich:
www.mit-kindern-lernen.ch,
www.biber-blog.com.
Stefanie Rietzler lebt mit ihrem Mann in Zürich.
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