Aufklärung im Klassenzimmer? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Aufklärung im Klassenzimmer?

Lesedauer: 5 Minuten

Im neuen Lehrplan 21 ist Sexualkundeunterricht breit verankert: Entsprechende Lernziele sind in drei Schulfächern angesiedelt. Was genau in welchem Umfang und von wem behandelt wird, liegt allerdings stark im Ermessen der Lehrpersonen

Wenn sich Gaby Bär freiwillig für den Sexualkundeunterricht meldet, sind vor allem ihre männlichen Kollegen froh. Die Lehrerin unterrichtet an einer Sekundarschule im Zürcher Unterland.
Laut Bundesamt für Gesundheit ist die Sexualaufklärung schon länger «eine Aufgabe der Schule, welche in den Lehrplänen beschrieben ist». Zumindest im alten Lehrplan des Kantons Zürich sei das Thema «Sexualität, Freundschaft und Liebe» – angesiedelt im Fach «Religionen, Kulturen, Ethik» – eher «stiefmütterlich» behandelt worden, findet Gaby Bär, die bereits seit zehn Jahren Sexualkundeunterricht gibt. Allgemein gilt zwar, dass die Klassenlehrperson den Sexualkundeunterricht erteilt. Dies ist aber nicht in Stein gemeisselt. «Bisher sprachen wir uns jeweils im Team ab, und die meisten waren froh, wenn sich jemand zur Verfügung stellte», meint Gaby Bär.

«Männer haben oft Hemmungen und Angst, ihnen könnte etwas unterstellt werden.» 

Gaby Bär, Lehrerin.

«Vor allem Männer haben oft Hemmungen und eine gewisse Angst, ihnen könnte etwas unterstellt werden.» Die Lehrperson kann auch externe Fachleute beziehen, die eine spezielle Ausbildung haben, wenn sie das möchte. Auf Sekundarstufe 1 ist das üblich. In der Romandie übernehmen Fachleute sogar den gesamten Sexualkundeunterricht.
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Dieser Text gehört zum Dossier Aufklärung. Lesen Sie hier alle Artikel zum Thema. 
Wann und wie oft der Unterricht erteilt wird, ist auch im neuen Lehrplan 21 nicht festgelegt. Dass er ab der Mittelstufe stattfinden muss, hingegen schon – auch wenn es ein eigenes Schulfach dafür nach wie vor nicht gibt. Die entsprechenden Themen sind in nicht weniger als drei Fächern angesiedelt: «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG), «Natur und Technik» (NT) sowie «Ethik, Religionen, Gemeinschaft (mit Lebenskunde)» (ERG).

Die Vermittlung von Wissen ist das Wichtigste …

Im Fach NMG lesen sich die Lernziele wie folgt: «Die Schüler/-innen können Wachstum und Entwicklung des menschlichen Körpers wahrnehmen und verstehen» und «Die Schüler/-innen können Freundschaft und Beziehungen pflegen und reflektieren.» Es geht um physische und psychische Veränderungen während des Wachstums und den Zusammenhang von Freundschaft, Liebe und Sexualität. Auch steht im Lehrplan, dass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben sollen, Fragen und Unsicherheiten bezüglich Sexualität zu äussern.
Dies sei laut Seklehrerin Gaby Bär das Wichtigste überhaupt. «Der Wissensstand der Kinder ist extrem unterschiedlich. Viele trauen sich nicht, mit Eltern über Sexualität zu reden – wozu ich sie übrigens immer ermutige.» Und wer sich auf der Suche nach Antworten hauptsächlich im Internet umsieht, wird auch nicht immer fündig. «Ein Mädchen fragte zum Beispiel einmal, warum der Penis überhaupt steif werde», erzählt Gaby Bär. «Hätte sie das mit den Stichworten im Internet gesucht, wäre sie damals wohl nicht nur auf eine echte Antwort auf ihre Frage gestossen, sondern auch auf ganz anderes.» 
Dabei müssen die Fragen nicht im Plenum gestellt werden. Die Lehrerin hat auch nach dem Unterricht immer ein offenes Ohr für ihre Schülerinnen und Schüler. Ausserdem dürfen sie ihre Fragen auch anonym auf Zettel schreiben und bekommen im Unterricht eine Antwort. Und: Sie nimmt sich die Freiheit, auch mal in einem anderen Fach über Fragen und Themen zu diskutieren, wenn es sich ergibt. «Ein Schüler sagte einmal im Zeichenunterricht, er habe heute Abend einen One-Night-Stand», erzählt sie lachend. «Es kam heraus, dass er die Begriffe verwechselt hatte und eigentlich ein Date meinte.»

Sind Jugendliche offener und toleranter geworden?

Im Fach «Natur und Technik» sollen die Schülerinnen und Schüler laut Lehrplan «über ein altersgemässes Grundwissen über die menschliche Fortpflanzung verfügen, sowie über sexuell übertragbare Krankheiten und Möglichkeiten zur Verhütung». Hier geht es also eher um den technischen Teil – der nach wie vor sehr wichtig ist. «Tatsächlich drehen sich die meisten Fragen, die mir gestellt werden, um Schwangerschaftsverhütung, Krankheiten oder Frauenarztbesuche», sagt Gaby Bär.
Bleibt noch «Ethik, Religionen, Gemeinschaft (mit Lebenskunde)». Das Lernziel: «Die Schüler/-innen können Beziehungen, Liebe und Sexualität reflektieren und ihre Verantwortung einschätzen.» Hier geht es um sexuelle Orientierung und Identität, das Kennen und Respektieren von Rechten im Umgang mit Sexualität sowie die kritische Auseinandersetzung mit Verhaltensweisen und ihren Auswirkungen. Diskutiert werden sollen unter anderem auch Pornografie, Prostitution oder Sexting. Das ginge mit der «heutigen Jugend» gut, findet Gaby Bär. «So, wie ich das sehe, sind die Jugendlichen in den letzten zehn Jahren sehr viel offener und toleranter geworden, zum Beispiel anderen sexuellen Orientierungen gegenüber. Und auch selbstbewusster.»

Welche Vorgaben erhalten Lehrpersonen bezüglich Sexualkunde?

Aber wie geht man diesen Unterricht nun konkret an? Und welche Vorgaben und Anleitungen werden den Lehrpersonen gegeben? «Ich habe meinen Klassen immer angeboten, einzelne geschlechtergetrennte Lektionen durchzuführen, aber bisher war das nie gefragt», sagt Gaby Bär. Als Arbeitsmaterial stehen ihr Arbeitsblätter und teilweise auch Videos der Zürcher Hochschule für Pädagogik zur Verfügung. «Wir steigen immer mit etwas Spielerischem zur Auflockerung ein», so die Seklehrerin. «Zum Beispiel lasse ich die Kinder manchmal eine Kontaktanzeige schreiben, in der die Vorzüge eines anderen Teenagers beschrieben werden.» Dann folgt ein theoretischer Teil und je nachdem eine Diskussion im Plenum, eine Gruppenarbeit oder ein Spiel. «Sehr gut kommen Sketche an, die sie einstudieren und vorführen, zum Beispiel zum Thema Kondome kaufen.»
Dieser Artikel stammt aus dem Dossier: «Die Sache mit dem Sex» zum Thema Aufklärung. Hier können Sie eine Einzelausgabe bestellen. 
Dieser Artikel stammt aus dem Dossier: «Die Sache mit dem Sex» zum Thema Aufklärung. Hier können Sie eine Einzelausgabe bestellen. 

Die persönliche Sexualität darf kein Thema sein

Peinlich sei ihr noch nie etwas gewesen, sagt Gaby Bär. «Ich achte immer darauf, dass weder meine eigene noch die persönliche Sexualität der Jugendlichen ein Thema ist», sagt sie. Wenn sie bemerkt, dass jemand im Gespräch zu weit geht, fragt sie nach, ob man das nicht lieber im Anschluss unter vier Augen besprechen möchte. Und noch etwas sollte einem als Lehrperson immer bewusst sein: «Es ist nicht an mir, Hintergründe zu hinterfragen, welche die Kinder von zu Hause mitbringen – zum Beispiel kulturelle oder religiöse.» Wenn ihr etwa ein Mädchen erzählt, sie werde ihren Mann dereinst nicht selbst aussuchen dürfen, kritisiert sie das als Lehrerin nicht. «Stellt diese Tatsache für das Mädchen allerdings ein grosses Problem dar und sie wendet sich damit an mich, muss man versuchen, gemeinsam mit der Schulsozialarbeit Lösungen zu finden.»
Vor den Reaktionen der Eltern habe sie sich übrigens am Anfang am meisten gefürchtet, gesteht Gaby Bär. Vor dem jeweiligen Unterricht sollen die Schülerinnen und Schüler zu Hause ein Informationsschreiben abgeben und dieses unterschreiben lassen. Die Eltern haben Gelegenheit, sich zu äussern. «Ich habe total angespannt auf negative Reaktionen gewartet», so die Pädagogin. «Bisher kam noch nie eine!» Im Gegenteil, sie höre öfter mal von Eltern, sie seien froh, werden die Themen in der Schule besprochen, so hätte man auch zu Hause einen Grund, darüber zu reden.

Ist Sexualkunde für alle Kinder Pflicht?

Bleibt noch die Frage, ob man seine Kinder vom Unterricht dispensieren lassen kann, wenn es um sexualkundliche Inhalte geht. Eine eindeutige Vorgabe hierzu gibt es nicht. Aber ein eindeutiges Urteil aus dem Kanton Basel-Stadt, wo zwei Familien ihr Dispensgesuch zuerst vor Bundesgericht und schliesslich sogar vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zogen. Dieses bestätigte im vergangenen Jahr das Urteil des Bundesgerichts, wies das Gesuch ab und unterstrich, dass Sexualkunde ein wichtiger Bestandteil der Schulerziehung sei.

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