«Eigene und fremde Gefühle zu erkennen, muss man üben»
Merken
Drucken

«Eigene und fremde Gefühle zu erkennen, muss man üben»

Lesedauer: 1 Minuten

Die Söhne von Janine Schönenberger konnten schon früh ihre Gefühle benennen. Auslöser waren ­Emotionskarten, die ihr Mann mitgebracht hatte.

Aufgezeichnet von Julia Meyer-Hermann
Bild: Herbert Zimmermann / 13 Photo

Wir haben vorab nicht geplant, dass es jetzt an der Zeit ist, mit unseren Söhnen über Gefühle und Empathie zu reden. Unser Ältester war damals schliesslich erst knapp vier, der Jüngere zwei Jahre alt. Aber David brachte von seiner Arbeit Emotionskarten mit. Auf diesen Karten waren Illustrationen von kleinen Mäusen abgebildet.

Jede Karte zeigte ein anderes Gefühl: Eine Maus präsentierte zum Beispiel das Gefühl von Selbstsicherheit, indem sie mit einem Stab auf einer schmalen Mauer ­balancierte. Eine andere Karte zeigte, wie eine Maus sich vor jemandem mit einer Maske sehr erschreckt. Das Gefühl von Freude und Energie wurde mit einer Maus dargestellt, die einen ­Purzelbaum schlug. Diese Bilder fand Joan so herzig, dass er sich die Karten ganz lange angesehen hat.

Dadurch, dass unser Sohn so viele Gefühle benennen kann, ist er auch im ­Umgang mit anderen sehr feinfühlig.

Wir haben dann etwa 20 Karten bei uns in der Küche aufgehängt und daraus ein Spiel gemacht. Anfangs haben wir Eltern viel ­vorgemacht. Ich habe zum Beispiel gesagt: ‹Guckt mal, ich fühle mich gerade wie diese kleine Maus. Ich strahle und lache gerade so sehr, weil ich mich sehr freue.›

Wir haben das Kartenset dann noch mit Fotos von unserer Familie ergänzt: Jeder konnte dann eine Wäscheklammer mit seinem Porträt drauf einer bestimmten Maus zuordnen. Für die Kinder war diese bildliche Komponente sehr wichtig. Es fehlten ihnen ja manchmal die Wörter, um ihre Emotionen beschreiben zu können.

Gefühle bei anderen erkennen

Inzwischen merken wir, was für einen ­positiven Effekt unsere Sessions auf die ­sprachliche Kompetenz unserer Söhne hat. Unser Sechsjähriger kann seine Gefühle sehr gut beschreiben. Dadurch, dass er so viele Gefühlsnuancen kennt und benennen kann, ist er auch im Umgang mit anderen sehr feinfühlig.

Kürzlich kam er aus dem Kindergarten nach Hause und hat beschrieben, dass er beobachtet hat, wie ein Kind ein anderes bedrängt hat. Er hat erkannt, wie der andere sich gefühlt hat: ‹Der hatte Angst und war traurig, Mama.› Er hat mich dann darum gebeten, diesem Jungen zu helfen und mit seiner Mutter zu reden. Das hat mich sehr beeindruckt.

Auch mich hat dieser bewusste Umgang mit den Gefühlen unserer Kinder geprägt. In meiner Kindheit wurde nicht so explizit über Emotionen geredet. Mir ist erst als Erwachsene bewusst geworden, wie elementar es ist, Zugang zu seinen Gefühlen zu haben. Das ist die Basis, um andere verstehen zu können.

Julia Meyer-Hermann
lebt mit ihrer Tochter und ihrem Sohn in Hannover. Ihre Schwerpunkte sind Wissenschafts- und Psychologiethemen.

Alle Artikel von Julia Meyer-Hermann

Mehr zum Thema Empathie

Respekt: Eine Mutter spricht mit ihrer Teenagertochter auf Augenhöhe
Entwicklung
Wie redest du eigentlich mit mir?
Kindern Respekt beizubringen, ist eine Herausforderung. Mit diesen vier Grundlagen sind Eltern gut unterwegs.
Selbstrespekt: Ein Junge schaut selbstbewusst in die Kamera
Entwicklung
So lehren wir Kinder Selbstrespekt
Eltern und Lehrpersonen spielen eine entscheidende Rolle dabei, einem Kind Selbstrespekt und Achtung vor sich selbst zu vermitteln.
Kindervelos von woom
Advertorial
Mehr Komfort, mehr Schutz, mehr Abenteuer mit woom
woom setzt mit dem woom GO Kindervelo und dem READY Helm neue Massstäbe in Sachen Sicherheit und Fahrspass. Passend dazu erscheint der Kindervelokorb POP in neuer Farbe.
Hochsensible Tochter umarmt ihre hochsensible Mutter
Entwicklung
«Wir nehmen Dinge anders wahr»
Erst als ihre Tochter Anabelle in den Kindergarten kommt, versteht Stephanie Hoppeler ihre eigene Hochsensibilität.
Hochsensibilität: Ein Kind zieht weissen, gehäkelten Pullover aus.
Entwicklung
Hochsensibilität: So empfindsam und so stark!
Bieten Eltern ihrem feinfühligen Kind das passende Umfeld, kann es sich gut entwickeln und seine Hochsensibilität als Stärke nutzen.
Selbstrespekt: Zwei junge Männer geben sich einen Fistbump
Entwicklung
Was ist Respekt und wie leben wir ihn aus?
Im Umgang miteinander ist Respekt unverzichtbar, er schafft Vertrauen und Sicherheit. Und doch tun wir uns immer wieder schwer damit.
Tierethik und Tierschutz an Schulen
Gesellschaft
«Tierschutz ist Erziehung zur Menschlichkeit»
Cristina Jeker, Geschäftsführerin von Das Tier + Wir, erklärt im Interview, was Kinder im Tierethik-Unterricht fürs Leben lernen.
Erziehung
«Kein Mensch kann von morgens bis abends empathisch sein»
Ein Anliegen von Psychologin Claudia Brantschen ist es, Eltern im Alltag zu unterstützen. Sie erklärt, wie beziehungsstärkende Kommunikation gelingt.
Mikael Krogerus Kolumnist
Familienleben
Eltern sein heisst nie mehr nicht Vater oder Mutter sein
Dies ist der letzte Beitrag von Mikael Krogerus für Fritz+Fränzi. Darin zieht der Kolumnist viele lehrreiche Fazits zum Eltern sein.
Lernen
Wie wird die Schule zu einem glücklichen Ort?
Menschen, Abläufe und Orte können Kindern dabei helfen, die Herausforderungen in einer Lernumgebung wie der Schule zu meistern.
Elternbildung
Was Kinder wirklich brauchen – und was nicht
Kindern fehlt die praktische Lebenserfahrung. Gütige, einfühlende Anleitung ist deshalb ein wichtiger Teil von elterlicher Führung.
Elternbildung
So lernt Ihr Kind, Verantwortung zu übernehmen
Mit der Zeit sollte Verantwortung Schritt für Schritt von den Eltern aufs Kind übergehen. Wie Mütter und Väter diesen Balanceakt meistern.
Elternbildung
«Wir sollten Kindern etwas zutrauen»
Gwendolyn Nicholas und Nico Lopez Lorio liessen ihre Söhne schon mit acht allein im ÖV durch die Stadt fahren. Heute ist auch die fünfjährige Tochter oft dabei.
Elternbildung
«Kinder müssen wissen, was sie brauchen»
Karin und Stephan Graf sind überzeugt, dass Empathie der Schlüssel zur ­Eigenverantwortung ist.
Elternbildung
«Ich dachte, ich würde es locker nehmen»
Simone Steiner und Paolo Bogni waren als Kinder früh selbständig. Umso mehr erstaunt beide, dass ihnen Loslassen als Eltern oft schwerfällt.
Elternbildung
Diese Schulen machen Eltern und Kinder sozial fit
Viele Schweizer Schulen bieten sozialpädagogische Konzepte an, die Kindern helfen sollen, ihre Sozialkompetenzen zu entfalten.
Erziehung
«Ein Kind sollte Konflikte selbst lösen dürfen»
Psychologe Fabian Grolimund sagt, die Grundsteine für ein soziales Verhalten würden schon früh gelegt. Daher gelte es besonders für Eltern, ein solches vorzuleben.
Michèle Binswanger Kolumnistin
Elternblog
Wie man die Teenage-Safari-Jahre überlebt
Unsere Kolumnistin Michèle Binswanger sagt, wie eine Mutter Einblicke ins Leben ihrer Teenager erhalten kann.
Fabian Grolimund Kolumnist
Entwicklung
Ich liebe dich, so wie du bist!
Bedingungslose Elternliebe heisst nicht, dem Kind alles durchgehen zu lassen. Es geht darum, Ihrem Kind auch in schwierigen Situationen zugewandt zu bleiben.
Elternbildung
Erziehung braucht Beziehung
Wird Erziehung in einem hierarchischen Sinn betrachtet, kann sie sehr zerstörerisch sein. Kinder brauchen von ihren Eltern Führung, aber auch Gleichwertigkeit.
Geschwister-Mythen: Ein Bund fürs Leben
Erziehung
Geschwister – ein Bund fürs Leben
Von Beginn an sind Geschwister Verbündete, die gemeinsam Schlachten gegen Mama und Papa schlagen. Über eine besondere und besonders stürmische Beziehung.
Meine Kinder haben keine Angst, ihr Mitgefühl zu zeigen
Entwicklung
«Meine Kinder haben keine Angst, ihr Mitgefühl zu zeigen»
Petra Ribeiro ist Pflegefachfrau und arbeitet mit randständigen Menschen. Ohne Empathie für könnte sie ihren Beruf nicht ­ausüben.
«Emojis können kein ­Gespräch ersetzen»
Entwicklung
«Emojis können kein ­Gespräch ersetzen»
Sarah Pel, 45, und ihrem Mann Oliver, 50, ist es wichtig, dass ihre Kinder auch im Netz respektvoll und empathisch mit anderen umgehen.
Ein gutes Gefühl
Entwicklung
Ein gutes Gefühl: Wie lernt man Empathie?
Die Fähigkeit zur Empathie steckt in ­unseren Genen. Wie lernen Kinder, andere zu verstehen, Gefühle zu lesen und entsprechend zu handeln?
«Mitfühlende Kinder sind glücklicher»
Entwicklung
«Mitfühlende Kinder sind glücklicher»
Die Heilpädagogin und Lehrerin Barbara Jüsy sagt, Empathie sollte unbedingt an der Schule gelehrt werden. Kinder lernen bei ihr sozial zu interagieren.