«Essen sollte frei von Druck sein» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

«Essen sollte frei von Druck sein»

Lesedauer: 4 Minuten

Wie wir Kindern beibringen können, gesundes Essen zu mögen, weiss Ernährungspsychologin Katja Kröller. Das funktioniert aber nicht mit Brechstange und Gemüsequoten, sondern durch sinnliches Experimentieren – und mit der Macht der Gewohnheit.

Text: Virginia Nolan
Bild: Filipa Peixeiro / 13 Photo

Frau Kröller, was ist der schlimmste Fehler beim Versuch, Kinder für eine gesunde Ernährung zu begeistern?

Vermutlich die Betonung des Gesunden. Essen sollte frei von Druck sein. Es hilft, wenn gerade heikle Esser es als zwanglose, eher nebensächliche Angelegenheit wahrnehmen. Eltern sollten ihre Bemühungen darauf lenken, Kindern vielfältige Geschmackswelten zu eröffnen, statt sich mit der Frage herumzuplagen, wie sie ihnen Gemüse unterjubeln können.

Was prägt den Geschmack unserer Kinder?

Seine ersten Geschmackserfahrungen macht das Kind während Schwangerschaft und Stillzeit. Wir wissen, dass Kinder, die möglichst früh eine Vielzahl von Geschmäckern kennenlernen, aufgeschlossenere Esser werden. Das gilt ganz besonders für die Zeit, in der wir sie ans Essen gewöhnen. In weiten Teilen der Welt essen bereits die Kleinsten, was die Grossen mögen.

Katja Kröller ist Professorin für Ernährungspsychologie an der Hochschule Anhalt in Bernburg (D). Der Fokus ihrer Forschung liegt auf psychologischen Ansätzen für individuelle Verhaltensänderungen und der dazu geeigneten Gesprächsführung.

Wir können Kindern also beibringen, gesundes Essen zu mögen?

Wenn wir Kindern Geschmackserlebnisse vorenthalten, ist es nicht erstaunlich, dass sie schwierige Esser werden. Geschmackspräferenzen lassen sich trainieren. Dies zeigt eindrücklich ein Forschungsprojekt, das ich begleitet habe. Dabei erhoben wir regelmässig die Gemüsevorlieben von 300 Kindergartenkindern und leiteten daraus eine Art Ranking ab. Wir untersuchten, ob sich diese Präferenzen durch sensorisches Training verändern liessen. Kohlrabi zum Beispiel erwies sich als eher unbeliebt. Die Kinder bekamen sie nun vier bis acht Wochen lang dreimal die Woche zu essen.

Was passierte?

Kohlrabi kletterte im Ranking nach oben, und zwar deutlich. Die Präferenz für ein Lebensmittel hängt also stark davon ab, wie gut wir es kennen. Wir mögen, was wir uns gewohnt sind. Wenn ich täglich angeboten bekomme, was ich nicht mag, werde ich irgendwann anfangen, es zu akzeptieren.

Kein besonders motivierender Ansatz.

So soll ja auch nicht die Ansage ans Kind lauten. Wenn unser Kind etwas verschmäht, sollte uns das als Eltern aber nicht daran hindern, das Lebensmittel weiterhin regelmässig auf den Tisch zu bringen, ganz ohne Aufheben. Das Kind muss es nicht essen, bleibt aber in Kontakt damit.

Allein damit brachten Sie Kinder dazu, Kohlrabi zu mögen?

Nicht nur. Auch der sinnliche und haptische Kontakt zu Gemüse – Riechen, Schmecken, Anfassen – beeinflusst das Geschmacksempfinden. Wir bereiteten gemeinsam Gemüsesnacks zu, dachten uns Geschichten zu den lustigen Knollen aus, liessen die Kinder Gemüse malen oder mit verbundenen Aromen probieren. Diese Ratespiele offenbarten, dass Kinder unglaublich kreativ darin sind, Geschmäcker zu benennen. Das könnten sich Eltern zunutze machen.

Inwiefern?

Wir wollen von den Kindern nur wissen, ob es schmeckt. Wir könnten sie stattdessen einmal fragen, wie es schmeckt. Unsere Studie zeigte, dass allein schon Reden über den Geschmack eines Lebensmittels dessen Akzeptanz beim Kind fördert. Interessanterweise hatte selbst der Austausch über die geschmacklichen Nachteile eines Gemüses dazu beigetragen, dass die Kinder es am Ende lieber mochten als vorher. Dass Gemüse etwas Gesundes mit vielen Vitaminen ist, war in unserem Projekt übrigens mehr eine beiläufige Information, aber nicht die zentrale Botschaft.

Studien zeigen, dass allein schon das Reden über den Geschmack eines Lebensmittels die Akzeptanz beim Kind fördert.

Was machen Eltern, wenn Teenager Gemüse und Salat verweigern?

Auch hier gilt: geduldig bleiben, abwarten, gemeinsame Mahlzeiten anbieten. Die müssen je nach Alter nicht mehr täglich stattfinden, da lohnen sich Absprachen. Es kann wiederum helfen, gesundes Essen so anzubieten, dass Jugendliche es als beiläufig wahrnehmen. Ich denke da an Früchte oder Snackgemüse, von dem sich alle bedienen dürfen, während der Mahlzeit oder zwischendurch. Gelegentlich sind auch aufgepeppte Sandwiches oder das Lieblingsessen des Jugendlichen ein guter Kompromiss für die Familienmahlzeit. Es lohnt sich, wenn der Wochenspeiseplan von allen Familienmitgliedern mitbestimmt werden darf. Starre Vorgaben führen nur dazu, dass Jugendliche ihren Essensbedarf am Kiosk decken.

Der Hang zu ungesundem Essen ist bei Jugendlichen meist ausgeprägt. Wächst sich das aus?

Das tut es. Studien zeigen, dass die Ernährungsweise, die Eltern zu Hause vorleben, ihre Kinder im Erwachsenenalter massgeblich prägt. Also keine Sorge: Da bleibt was hängen. Bloss dauert es eben, bis dieser Effekt greift. Bis dahin mögen Jugendliche Gemüse komplett ablehnen – sie nehmen dadurch keinen Schaden.

«Fünf am Tag» heisst die Botschaft der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung, wenn es um Gemüse und Früchte geht. Wie ist das mit Kindern zu schaffen?

Gar nicht, vermutlich. Ich halte nicht viel davon, weil sie Eltern unter Druck setzt. Sehen sich Eltern aufgefordert, Quoten einzuhalten, erschwert ihnen das einen lustvollen Zugang zum Gemüse. Für Kinder ist der aber ausschlaggebend. Es ist schon viel getan, wenn wir versuchen, einmal am Tag Obst und einmal Gemüse zu essen. Es kann auch Tage geben, an denen das gerade nicht passt oder das Kind sich wehrt. Das ist nicht schlimm.

Probieren ist Pflicht – wie halten Sie es damit?

Zum Probieren kann man ein Kind höchstens ermuntern. Druck ist unangebracht. Kinder legen in ihren verschiedenen Entwicklungsstufen grossen Wert auf eigenständige Entscheidungen, und sie wissen auch, dass sie beim Essen die stärksten Einflussmöglichkeiten haben: Wir können Kinder zu vielem zwingen, aber wenn sie das Essen verweigern, sind wir machtlos. Wenn ein Kind nicht probieren will, sollten Eltern das akzeptieren. Wir können ihm aber gleichzeitig erklären, dass sich Geschmäcker durchaus ändern und ein weiterer Anlauf sich lohnen kann.

Sollten wir Essen als Belohnung einsetzen?

Es kommt darauf an. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir dem Kind einen Nachtisch in Aussicht stellen, falls es den Broccoli aufisst. Durch die Belohnung bestätigen wir ihm, dass Broccoli-Essen eine ganz schön harte Angelegenheit ist, die nach Entschädigung verlangt. Belohnung mit Essen kann funktionieren, wenn die Handlung, die wir damit loben wollen, tatsächlich negativ besetzt ist – denken Sie etwa an die Glace nach überstandenem Arzttermin. Wir sollten aber auch diese Art der Belohnung sehr sparsam einsetzen. Essen soll nicht zum Trostpflaster werden.

Virginia Nolan
ist Redaktorin, Bücherwurm und Wasserratte. Sie liebt gute Gesellschaft, feines Essen, Tiere und das Mittelmeer. Die Mutter einer Tochter im Primarschulalter lebt mit ihrer Familie im Zürcher Oberland.

Alle Artikel von Virginia Nolan

Lesen Sie mehr zum Thema Ernährung:

Ernährung
Gut, besser, Superfoods?
Superfoods sollen unterstützend wirken bei der Entwicklung von Körper und Gehirn. Doch ist das überhaupt nötig?
Ernährung
Alle zu Tisch, bitte!
Gemeinsames Kochen und Essen hat eine grosse kulturelle und soziale Bedeutung. Es ist für Eltern auch eine Gelegenheit, wichtige soziale Fähigkeiten zu vermitteln.
Advertorial
Hoi Nachbar! Spielend nach Liechtenstein
21 Tage lang kannst du Liechtenstein auf spielerische Art und Weise näher kennenlernen. Das Quiz verrät dir viel Wissenswertes über das Fürstentum und wartet mit tollen Preisen auf.
Erziehung
«Vertrauen und Liebe stehen bei uns an erster Stelle»
Bianca Köller Looser und ihr Mann haben klare Werte, die ihnen in der Erziehung wichtig sind. Regeln dürfen aber auch mal gebrochen werden.
Erziehung
Was hat unser Essen mit dem Klima zu tun?
So können Sie Ihren Kindern die wesentlichen Zusammenhänge zwischen Ernährung und globaler Erwärmung erklären.
Ernährung
«Wer zum Essen gezwungen wird, vertraut seinen Körpersignalen nicht mehr»
Ernährungswissenschafterin Marianne Botta sagt im Interview, woran sich Eltern vor lauter Ernährungstrends noch orientieren können.
Ernährung
Beruhigend oder erfrischend: ein Tee für alle Fälle
Pflanzenaufgüsse spenden Wärme, beleben und sind tolle Durstlöscher. Welche Sorten sich für welchen Zweck besonders eignen – und welcher Tee nicht in die Kindertasse gehört.
Ernährung
Was tun, wenn die Tochter vegan durch die Pubertät will?
Wenn Teenager ganz auf tierische Produkte verzichten wollen, gilt es ein paar Dinge zu berücksichtigen. Wie eine vegane Ernährung gelingen kann.
Ernährung
5 Tipps für intuitive Ernährung
Wann bin ich satt? Wann esse ich aus Langeweile? Mit diesen Tipps der intuitiven Ernährung stärken Sie Ihr eigenes Bauchgefühl und das Ihrer Kinder.
Ernährung
Ohne Koffein, ohne Alkohol – ohne Auswirkungen?
Die Verbindung von sozialen Events mit Getränken ist für uns Erwachsene ein schönes Ritual – für Kinder kann sie eine viel tiefere Bedeutung haben.
Ernährung
Essen ohne Drama
Eltern wollen ihre Kinder gesund ernähren. Oft bewirkt Druck das Gegenteil. Die Methode des intuitiven Essens soll helfen: Statt Regeln zählt der innere Ernährungskompass des Körpers.
Ernährung
Warum eine Nussallergie das ganze Schulhaus betrifft
Während einige Lebensmittelallergien in der Regel harmlos verlaufen, ist bei Allergien auf Nüsse oder Erdnüsse besondere Vorsicht geboten.
Ernährung
Meal Prep – Vorkochen gegen den Stress im Familienalltag
Wer sich unter der Woche Zeit sparen will, kocht am Wochenende für mehrere Tage vor. Das ist praktisch, gesund und nachhaltig.