Was Mütter verschweigen
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Fast drei Viertel der befragten Mütter gaben an, dass sie ihren Eltern was vorflunkern, wenn es darum geht, wie sie mit ihrer Familie zurechtkommen. Aber auch was die Frage betrifft, wie viel sie tatsächlich mit ihren Kindern spielen, wie oft sie sie fernsehen lassen und wie sie sie ernähren, flunkern Mütter gerne. Ebenso, was Finanzfragen und ihr Liebesleben betrifft.
Die Resultate erstaunen nicht besonders. Versagensängste, das Gefühl, nicht zu genügen, mit der Situation schlechter klarzukommen als die andern – wer kennt das nicht? Mit guten Freundinnen kann man das vielleicht diskutieren – mit Müttern will man das in der Regel eher nicht. (Notiz an mich selbst: Auf diesen Gedanken zurückkommen, wenn das eigene Kind in die Pubertätkommt).
Denn entweder war die eigene Mutter ein so strahlendes Idealbild von Vorzeigemutter, dass man dagegen immer eine wandelnde Mängelliste bleiben wird, oder dann hat sie es ganz und gar nicht auf die Reihe gekriegt und es bleibt nur die Erkenntnis, dass man selber keinen Deut besser ist.
Was den Status quo mit Kindern und Doppeleinkommen gefährden könnte, sagen wir lieber nicht laut.
Neben den oben erwähnten Flunkereien über den TV-Konsum der Kinder und ihre Ernährung, tauchten da auch Punkte wie die Folgenden auf: Dass Mütter eigentlich lieber alleine in die Ferien fahren würden und dies bloss nicht tun, weil sie dafür zu gut erzogen sind. Dass sie zu viel Geld für Kosmetika ausgeben. Dass sie im Bett Multitasking betreiben und beim Liebesakt darüber nachdenken, welches das beste Rezept für Blumenkohl ist. Oder welche TV-Bullen man nicht von der Bettkante stossen würde. Und dass Mütter nur deshalb nicht laut sagen, was sie denken, weil sie den Status quo mit Kindern und Doppeleinkommen nicht gefährden wollen.
Also nun: Ist lügen in jedem Fall unmoralisch oder gibt es gewisse Themen, über die lügen okay ist? Der Philosoph und Schriftsteller Maurice T. Maschino hat in dieser Frage eine originelle Ansicht. Er sagt: Die Lüge in der Partnerschaft, zu der er auch Unterlassung, Halbwahrheiten, Verschweigen, Beschönigen zählt, sei nicht nur unvermeidlich, sondern sogar notwendig – er versteht sie als eigene Form der Liebe.
Die Lüge nützt letztendlich beiden Partnern
Ist nur die Frage, wie man das seinen Kindern beibringen soll. Wahrscheinlich werden sie ja dann von selber drauf kommen, wenn man sie darüber ausfragt, wie es in ihrer Beziehung oder ihrer eigenen Familie so läuft. Denn manchmal ist es wohl schlicht höflicher zu lügen.
Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.