Wie entkommen wir als Eltern der Aufrechnen-Falle?
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«Ich hab schon die Wäsche gemacht, also machst du das Abendessen. Überhaupt mache ich viel mehr als du!» Kommt Ihnen diese Diskussion bekannt vor? Unsere Autorin Ulrike Légé hat am eigenen Leib erfahren, dass es bessere Lösungen als Excel-Tabellen für Paar-Diskussionen gibt.
Garantiert würde das ein für alle Mal unseren Dauerstreit, wer von uns wirklich zu Hause mehr machte, wer viel zu viel an der Backe hatte, wer immer wieder die Arschkarte zog, ganz objektiv beenden.
Das Gegenteil war der Fall. Erstmal fand Romain meine Idee völlig daneben – na klar, stänkerte ich, «du bist ja auch kurz davor mit faktischen Beweisen überführt zu werden!“. Dann las er die Tabelle und schrie empört auf: Es könne ja wohl nicht sein, dass «Rasen-Mähen» gleich viel zähle wie «Rosen-Schneiden». Oder «Nachts für kranke Kinder aufstehen» so viel wie «Z’Vieri richten» – das eine sei viel anstrengender als das andere, da müssten die Minuten doppelt gezählt werden. Mindestens.
Ach ja, konterte ich – und was ist mit all der anstrengenden geistigen Arbeit zur Familien-Organisation, die sowieso nur ich leistete während er bloss meine «Schatz, bitte erledigen»-Listen abarbeitete. Wie genau würden wir die berühmten Mental-Load-Minuten zählen?
Das Aufrechnen sollte Klarheit bringen – und brachte den nächsten Riesenkrach!
Erst einmal: akut die Kurve kriegen, meine Excel-Tabelle ins Altpapier schiessen, stattdessen die Hundeleine schnappen und bei einem langen Spaziergang runterfahren. Wir merkten beide, das Thema Aufgaben-Verteilung war ein wunder Punkt geworden, unsere Nerven lagen bloss. In den nächsten Wochen nahmen wir uns jeden Samstagmorgen, gleich nach dem Familien-Frühstück, regelmässig eine Auszeit zum Reden.
Und stellten fest, was uns wirklich weiterbrachte:
1. Austauschen statt aufregen! Bevor wir überhaupt Richtung bessere Lösungen gehen konnten, gab es da so viel, was sich aufgestaut hatte … Bei all unseren «Machst du unsere gemeinsame Steuererklärung, wenn ich in der Zeit deine Aufgaben im Garten übernehme?»- Verhandlungen, bei all der Kritik aneinander, all dem Planen, war das komplett auf der Strecke geblieben: sich auszutauschen statt auseinanderzusetzen. Von sich selbst zu sprechen, statt dem anderen Vorwürfe zu machen. In Ruhe zuzuhören, statt gleich Patentlösungen durchzuboxen.
2. Belastungen eingestehen statt überspielen: Wieso fühlten wir uns eigentlich so überlastet und dauerangespannt, andere schafften das doch mit links, mit noch mehr Kindern und noch intensiveren Jobs? Auf dieses Totschlag-Argument waren wir viel zu lange hereingefallen. Es stand uns im Weg, unsere ganz persönlichen Belastungen als solche zu erkennen. Für UNS wurde es eben gerade zu viel. Punkt.
Welche Aufgaben stressen dich und warum?
3. Tiefer graben statt besser organisieren: Was uns nervte, waren eigentlich gar nicht nur unsere Aufgaben. Was mir wirklich fehlte, war entspannte Zeit, die ich mit der Familie geniessen konnte, ohne dauernd an die nächsten To-Dos zu denken und sie an alle zu verteilen. Was Romain fehlte, war das Gefühl, sich seine Familienzeit selbst einteilen zu können, ohne plötzlich von mir neue Aufgaben aufgebrummt zu bekommen. Was uns beiden fehlte, war das Gefühl, vom anderen als Mensch wertschätzend beachtet zu werden, nicht nur als Dienstleistungs-Roboter eingespannt zu werden. Sobald wir anfingen, über unsere tieferen Gefühle und Bedürfnisse zu reden, öffneten sich neue Wege.
4. Suchen nach «was sich subjektiv ok anfühlt» statt nach objektiver Gerechtigkeit: Minuten abzurechnen, um Aufgaben zu verteilen – das funktioniert im Familien-Alltag einfach nicht.
Und es würde sich nicht mal gut anfühlen, weil wir verschiedene Aufgaben ganz unterschiedlich empfinden: Ich geniesse es, abends für alle zu kochen, Romain fühlt sich da hungrig, unter Zeitdruck und gestresst. Er findet es spannend, unsere Räder zu reparieren, ich kann damit wenig anfangen. Den Mut, klar zu sagen, was wir gern machen und was uns stresst, mussten wir erstmal finden. Wenn wir beide ganz subjektiv das Gefühl haben, dass wir eine Balance zwischen uns gefunden und beide einen akzeptablen Mix an angenehmen und stressigen Aufgaben haben, läuft es rund.
Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage?
Aber in manchen Momenten fühlt sie sich leichter an. Wir trauen uns, über das zu sprechen, was uns wirklich belastet und fehlt, was wir wirklich brauchen, was doch noch einmal neu aufgeteilt werden muss.
Und doch: Wir haben ein grundsätzliches Vertrauen ineinander wiedergefunden: Dass unsere Bedürfnisse wichtig sind und vom anderen gehört werden. Dass nichts in Stein gemeisselt ist, dass wir flexibel Lösungen suchen, die jetzt für uns stimmen. Und dass wir das als Team immer wieder hinkriegen.