Eltern-Burnout: Wie ich hinein gerutscht bin und was mir geholfen hat - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Eltern-Burnout: Wie ich hinein gerutscht bin und was mir geholfen hat

Lesedauer: 6 Minuten

«Wenn Sie Managerin wären, würde ich Sie jetzt wegen Burnout krankschreiben», sagte die Ärztin zu unserer Autorin Ulrike Légé vor drei Jahren. Aber wie kommt man als Mutter aus der Erschöpfung wieder raus? Ein ehrlicher Erlebnisbericht.

Die nächste Stufe komme ich nicht mehr hoch, dachte ich. Mit bleischweren Beinen, todmüde und gleichzeitig zum Zerreissen angespannt stand ich im Frühling 2016 auf der Treppe in unserem Haus. Und plötzlich war klar: Ich schaffe das alles nicht mehr. 
Erst anderthalb Jahre zuvor waren wir zurück in die Schweiz gezogen, unser fünfter Umzug innerhalb weniger Jahre und zwischen mehreren Ländern. Ich kümmerte mich hautpsächlich um unsere drei Kinder, damals 5, 8 und 11 Jahre alt. Alle drei leiden unter einer chronischen Infektanfälligkeit und sind jeden Winter wochenlang krank. Ich arbeitete zu etwa 30 Prozent als freie Journalistin und Kommunikations-Beraterin, bloggte und engagierte mich ehrenamtlich. Unter der Woche war ich alleinerziehende Mutter. Mein Mann war 60 Stunden und mehr im Büro und ganze Wochen auf Dienstreisen.

Seit Jahren schon stand ich unter Strom, schlief schlecht, wurde dauernd krank, hatte überall Schmerzen und Verspannungen, entzündete Haut und einen verkrampften Magen.

Nach der Treppenkrise ging ich in die Akut-Ambulanz der psychiatrischen Klinik in Basel. «Wenn Sie Managerin wären, könnte ich Sie wegen Burnout ein paar Monate krankschreiben», meinte die Ärztin hilflos. «Aber wie Sie da als freiberuflich arbeitende Mutter herauskommen, weiss ich nicht.» Sie verschrieb mir ein Beruhigungsmittel und gab mir die Adresse einer Therapeutin.


Online-Dossier Burnout

Burnout: Wenn Eltern erschöpft und ausgebrannt sind. Doch auch Kinder und Jugendliche sind immer mehr betroffen. Ursachen, Symptome und Wege aus der Krise, lesen Sie in unserem
Burnout: Wenn Eltern erschöpft und ausgebrannt sind. Doch auch Kinder und Jugendliche sind immer mehr betroffen. Ursachen, Symptome und Wege aus der Krise, lesen Sie in unserem Online-Dossier «Burnout».


Zum Glück konnte ich die Verhaltenstherapie sofort beginnen. Mit Hilfe meiner Psychologin fing ich an, den Knoten in meinem Inneren zu entwirren. Als ich meine Krankenkasse anrief, um die Kostenerstattung zu klären, schickte diese mir sofort eine «Care Managerin» nach Hause. Sie half mir, die dringend nötige praktische Unterstützung zu organisieren: Entlastung mit den Kindern, in Haushalt und Garten – und eine dreiwöchige Kur zur Erholung. Schon die Aussicht darauf gab mir Auftrieb.

Und doch schleppte ich mich wie eine Schwerkranke durch den Alltag. Irgendwie musste es weitergehen. Eltern können ja nicht einfach so alle Verantwortung abgeben. Immerhin gestand ich mir jetzt Ruhepausen zu, auf dem Sofa, in der Hängematte. Zeit, mich zu fragen: Was hat mich denn so ausgebrannt? 

Was mich in das Eltern-Burnout trieb

1. Überforderung: 
Das Gefühl, hilflos immer neuen und steigenden Anforderungen ausgeliefert zu sein. Wenn mein Mann viel arbeitete und reiste, hing zu Hause alles an mir. Wenn die Kinder im Winter krank zu Hause blieben, fiel das mit stressigen Deadlines im Job zusammen. Und dann ging plötzlich etwas in unserem Haus oder Obstgarten zu Bruch und ich musste eine Schar Handwerker organisieren. Alles unvorhersehbar und jenseits meiner Kontrolle.

2. Einsamkeit:

Das Gefühl alles allein bewältigen zu müssen. Nach jedem unserer beruflichen Umzüge hatte ich zwar aktiv neue Kontakte geknüpft, aber diese Freundschaften waren so frisch, dass ich sie nicht sofort damit belasten wollte, wie überfordert ich mich fühlte und wo ich praktische Hilfe brauchte. Das Dorf, dass es braucht, wenn man eine Familie aufzieht, fehlte mir. Immer, wenn ich es mir aufgebaut hatte, zogen wir weiter. Traurigkeit, Angst und zunehmend auch Wut darüber stauten sich in mir auf.

3. Hohe Ansprüche an mich und ein dauerhaft schlechtes Gewissen:
Ich vermisste meinen arbeitenden Mann und die Umzüge fielen mir schwer. Schlimmer aber noch war die Angst davor, wie es damit erst meinen Kindern gehen müsse. Ich setzte mich unter Druck: Irgendwie müsste ich es schaffen, ihnen trotzdem eine heile, sonnige Kindheit zu kreieren – die fehlenden Wurzeln für sie zu kompensieren. Ich wollte ihnen im Alltag Mutter sein, aber auch Vater, Grosseltern, Paten, langjährige Freunde und Nachbarn ersetzen. 

Das Burnout: Chance zur ehrlichen Lebensbilanz

Damals erschien mir das alles völlig logisch und unbedingt, unverhandelbar nötig. Heute denke ich: Kein Wunder, dass es viel zu viel für meine Schultern war. Und vor allem für meine Seele. 

Ich fühlte mich zunehmend unwohl in meiner eigenen Haut. Um möglichst viel zu schaffen, wurde ich immer kontrollierender und unflexibler. Ich hetzte meinen Listen hinterher und war kurz angebunden, dünnhäutig und harsch, wenn etwas nicht nach Plan lief. Weder meine Kinder noch mein Mann konnten ein entspanntes Miteinander leben mit dieser getriebenen «machen, machen, machen»-Mama. Wenn sie sich mir aber entzogen, fühlte ich mich noch schlechter und erhöhte meinen Druck. Ein scheusslicher Teufelskreis.

Erst nachdem mein Körper die Notbremse gezogen hatte, konnte ich meine Situation besser verstehen. Ich sah, dass meine Kinder sich freuten, wenn das neue «Hüeti» fröhlich und mit frischen Ideen übernahm. Dass mein Eingeständnis: «ich schaffe es grad nicht allein» mir tiefere Kontakte ermöglichte. Dass es hilfreiche Menschen gab, die uns unterstützten und zu wichtigen Bezugspersonen wurden. Während meiner dreiwöchigen Kur spürte ich, wie gut Freiräume und Zeit für mich taten. Wie ich wieder Leichtigkeit und Zuversicht fand. 

«So belastbar wie vor meinem Ausbrennen bin ich nicht mehr und werde es vielleicht nie wieder sein. Es ist mir auch nicht mehr so wichtig.»

Dennoch war und ist es ein sehr langer, mühsamer Weg zurück in die Normalität. So belastbar wie vor meinem Ausbrennen bin ich nicht mehr und werde es vielleicht nie wieder sein. Es ist mir auch nicht mehr so wichtig. Mich nur über die Frage zu definieren, «schaffe ich das auch noch und wie?», hatte mich in mein Burnout getrieben. Um mit mir gut umzugehen, musste ich lernen, zu fragen: «Muss ich das wirklich? Tut es mir gut, entspricht es meinen Bedürfnissen? Fühlt es sich stimmig für mich an?» 

Meine totale Erschöpfung war nicht nur Stoppsignal und Krise. Sie war vor allem eine Chance zur Kurskorrektur und schmerzhaft ehrlichen Lebensbilanz.

Experten diskutieren darüber, ob es Burnouts gibt und wie genau man sie definiert. Persönlich habe ich gespürt: Ich brenne aus, wenn ich meinen Bedürfnissen, Werten und Schwächen keinen Raum in meinem Leben gebe.

Phasen, in denen meine Bedürfnisse zu kurz kommen, in denen ich funktionieren muss und viel zu bewältigen habe, wird es immer geben. Ich kann mit ihnen besser umgehen und lerne, sie durch Abstriche, Pausen und bewusste Selbst-Fürsorge aufzufangen. Ich übe, Unbehagen und Unsicherheit auszuhalten, ohne sofort in Aktionismus zu verfallen. 

Meine Alarmglocken läuten, wenn ich eng und starr im Kopf werde, mich verrenne in meinen Ansprüchen an mich und andere – anstatt tief durchzuatmen und zu akzeptieren, was ist und wo meine Schwächen und Grenzen liegen. 

Vor Jahren hatte mir ein Freund einmal wütend entgegengeschleudert «Sag mal, merkst du eigentlich gar nicht, wie oft du deinen Bauch mit deinem Kopf vergewaltigst?». Diesen drastischen Ausdruck habe ich zu meinem neuen Mantra und Ziel gewandelt: Darauf zu hören, wenn mein Bauch mir signalisiert «das wird dir zu viel, es entspricht dir nicht und tut dir nicht gut.» Frühzeitig und achtsam, bevor mir mein Körper mich so deutlich zum Innehalten zwingt wie damals auf unserer Treppe.

Was mir aus der Überforderung heraus half

  •  Hilfe annehmen – praktische Entlastung organisieren und innerlich Verantwortung abgeben
  • Kontakte pflegen, auch wenn es mir schlecht geht – Freundschaften werden tiefer, das Zusammensein tut gut und schafft mir emotionale Geborgenheit.
  • Freiräume schaffen – mir mindestens jeden Tag eine Stunde, jede Woche einen halben Tag und jedes Jahr eine Woche nur für mich nehmen, um in Kontakt mit meinen Bedürfnissen zu bleiben.
  • Abstriche machen und Prioritäten setzen – so lange ich Familien-Verantwortung, wochenlanges Home-Schooling und «Care»-Arbeit übernehme, begrenze ich andere Verpflichtungen.
  • Verhaltensorientierte Gesprächstherapie – verstehen, was mich in die Überforderung brachte, konkrete Methoden entwickeln, um wieder herauszukommen, Akzeptanz üben.
  • Köperorientierte Therapien – Massage, Akupunktur und Cranio-Sacral-Therapie sprechen mich persönlich aus der Vielfalt der Ansätze an, um körperlich zur Balance und Ruhe zu kommen.
  • Journaling – im Schreiben werde ich mir bewusster und klarer über meine Bedürfnisse, Werte und Ziele, kann Belastendes dem Papier abgeben und damit abschliessen.
  • Abendritual: Mit Entspannungs-Bad, Tension-Release-Exercises nach David Berceli, Meditation und einem guten Buch finde ich abends zur Ruhe; Bildschirme bleiben aus.
  • Pflanzliche Beruhigungsmittel wie Lavendel, Baldrian und Cannabidiol-Öl, sowie in Stressphasen rezeptpflichtiges Melatonin helfen mir beim Durchschlafen.
  • Powernap mittags – ein paar Minuten kurz wegnicken, während die Kinder eine ruhige Zeit im Zimmer verbringen, gibt uns allen Kraft für den Rest des Tages.
  • Sanfte Bewegung – Yoga, Pilates, Stretching, Schwimmen, Walking helfen mir beim Stress abbauen; Leistungssport brachte mir einen herben Rückfall.
  • Bewusste Ernährung – frisches Gemüse und Obst, gute Fette aus Nüssen, Avocados und fettem Fisch, Haferflocken und Vollkornbrot, Bananen und dunkle Schokolade (in Massen!) und vor allem viel Zeit und Freude beim Zubereiten helfen mir, Energie zu schöpfen; Schwarztee und Kaffee, Alkohol, Zucker und Weissmehl habe ich zeitweise ganz gestrichen.
  • Natur – eine Stunde tägliches Waldbaden mit Hund, in der ich die Natur in Ruhe, mit allen Sinnen und bei jedem Wetter wahrnehmen kann
  • Lesen um zu verstehen: «Burnout kommt nicht nur von Stress» und «Zeit für einen Spurwechsel» von Dr. Miriam Priess, «Selbstmitgefühl Schritt für Schritt» von Kirstin Neff öffneten meinen Blick.

Ulrike Légé hat inzwischen
Ulrike Légé hat inzwischen ihr Unterstützungs- und Nachbarschaftsdorf in Therwil (BL) gefunden. Dass sie hier wieder Wurzeln schlagen durfte, freut die freie Autorin sehr, weil sie zuvor mit ihrer Familie immer wieder umgezogen ist.


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