«Wobei wünschst du dir von uns mehr Unterstützung?»
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«Wobei wünschst du dir von uns mehr Unterstützung?»

Lesedauer: 5 Minuten

Mit dem pubertierenden Kind in Kontakt zu bleiben, ist für viele Eltern eine Herausforderung. Durch geeignete Gesprächsanlässe kommen Sie Ihrem wortkargen Teenie wieder näher.

Text: Fabian Grolimund
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Denken Sie zu Beginn dieses Artikels kurz an Ihre Zeit als Teenager zurück. Wie haben Sie in dieser Phase die Beziehung zu Ihren Eltern erlebt? Worüber konnten Sie mit ihnen sprechen, worüber nicht? Welche Themen standen im Fokus? Konnten Sie sich zu Hause entspannen und haben Sie sich in dieser Zeit voller Veränderungen, Umbrüche und Unsicherheiten von Ihren Eltern gesehen und verstanden gefühlt?

Wenn ich heute mit Jugendlichen spreche, fällt mir auf, dass sich viele mit ihren Eltern verbunden fühlen –obwohl diese Phase klassischerweise mit Konflikten, Distanz und Entfremdung assoziiert wird. Immer mehr Eltern gelingt es offenbar, ihren älter werdenden Kindern eigene Meinungen, Ziele, Werte und Autonomie zuzugestehen und gleichzeitig in Beziehung zu bleiben.

Die Annahmen der Eltern und die Realität des Kindes stimmen oft wenig überein.

Dennoch ist es normal, dass der Kontakt in dieser Zeit schwieriger wird und man als Eltern stellenweise glaubt, den Zugang zum eigenen Kind zu verlieren. Vielleicht äussert das Kind plötzlich Meinungen, die einem fremd sind, grenzt sich ab, antwortet wortkarg auf Fragen oder kommt kaum noch aus seinem Zimmer. Wir Eltern können das als Zurückweisung erleben, darauf wütend und enttäuscht reagieren. Vielleicht trauern wir auch der Zeit nach, in der uns das Kind noch mehr gebraucht hat und wir die ersten Ansprechpartner bei Sorgen und Nöten waren. Doch wie kommen wir unseren Kindern inmitten dieses Pubertätsstrudels wieder näher?

Sich mit dem Fremdsein anfreunden

Der Kinder- und Jugendpsychiater Oliver Dierssen schreibt in seinem Buch «Kinder lieben, auch wenn’s schwierig wird» über das Gefühl des Fremdseins, das sich im Kontakt mit dem eigenen Kind schleichend oder plötzlich ausbreiten kann. Das äussert sich in Aussagen wie «Ich komme gar nicht mehr an sie heran», «Wir finden den Draht zueinander nicht mehr» oder «Er kommt so gar nicht nach mir» und fühlt sich für Eltern sehr bedrohlich an.

Oliver Dierssen rät, dieses Gefühl anzunehmen und ihm mit Neugier zu begegnen. Wie wäre es, wenn wir akzeptieren, dass uns unser Kind gerade fremd ist? Und es auch so behandeln? Wie würden wir mit einem fremden Kind umgehen, das uns besucht? Wir würden ihm vielleicht Fragen stellen – vorsichtig, um es nicht zu überfordern und nicht zu sehr in seine Privatsphäre einzudringen.

Je mehr wir es dem Kind ­überlassen, worüber es reden will, desto eher entsteht eine entspannte Atmosphäre.

Wir würden uns bemühen, seine Ansichten und Überzeugungen erst einmal zu akzeptieren, und vielleicht verwundert nachfragen, wie es dazu kommt, anstatt ihm vorschnell unsere Meinung mitzuteilen. Vielleicht wären wir respektvoller, offener und weniger davon überzeugt, schon zu wissen, was das Beste für dieses Kind ist.

In Beratungen überrascht mich die Verwunderung von Eltern immer wieder, wenn sie die Antworten ihrer Kinder auf meine Fragen hören. Die Annahmen der Eltern und die Realität des Kindes stimmen nämlich oft wenig überein. Vermutlich, weil viele wichtige Fragen inmitten der immer gleichen Gespräche rund um Schule, Hausaufgaben und Medienkonsum untergehen.  

Überraschen Sie Ihr Kind mit ungewohnten Fragen

Eine neue Schule, neue Klassenkameraden, die erste Verliebtheit, körperliche Veränderungen: Manchmal passiert im Leben von älteren Kindern und Jugendlichen so viel, dass sie und wir kaum Schritt halten können. Anstatt Ratschläge zu geben, können wir einfach nachfragen, wie es unserem Kind geht. Je eher wir dabei interessiert anstatt besorgt wirken und es dem Kind überlassen, worauf es konkret eingehen will, desto eher schaffen wir eine entspannte Gesprächsatmosphäre. Vielleicht mit der Frage: Wie fühlst du dich mit all den Veränderungen, die gerade um dich herum passieren?

Vielleicht will Ihr Kind gerade nicht über sein Privatleben reden, aber es gibt Themen in seiner Umwelt, die es umtreiben: künstliche Intelligenz, soziale Medien, Inklusion, Klimawandel, Kriege. Unsere Welt befindet sich in stetigem Wandel. Manchmal überfordert uns das als Eltern selbst so sehr, dass wir diese Entwicklungen am liebsten abtun möchten. Vielleicht ergibt sich ein interessantes Gespräch durch die Frage: Gibt es Entwicklungen und Veränderungen in der Welt, vor denen ich die Augen verschliesse und mit denen ich mich deiner Meinung nach stärker befassen müsste?

Bei einer längeren Auto- oder Zugfahrt oder auf einem Spaziergang gelingt es oft besser, mit Teenies ins Gespräch zu kommen.

Falls Ihnen diese Frage etwas zu weit geht, können Sie Ihr Kind auch fragen, ob es eine Serie, ein Buch oder Video gibt, das es Ihnen empfehlen kann. Manchmal eröffnen sich durch die Inhalte neue Gesprächsfelder, manchmal durch die Frage, weshalb Ihr Kind wollte, dass Sie sich gerade diesen Inhalt anschauen.

Bei einer längeren Auto- oder Zugfahrt oder auf einem Spaziergang gelingt es oft besser, mit Teenies ins Gespräch zu kommen. Vielleicht ist das der richtige Moment für eine persönlichere Frage wie: Gibt es Momente in deinem Leben, von denen du das Gefühl hast, dass sie dich geprägt oder stark beeinflusst haben?

Bestimmte Erfahrungen hinterlassen einen viel stärkeren Abdruck als andere. Darunter manchmal solche, die von aussen relativ unscheinbar wirken.

Von sich selbst erzählen

Fühlen Sie sich auch eingeladen, Ihrem Kind von sich zu erzählen. Was waren besonders bereichernde, vielleicht aber auch schwierige Momente in Ihrem Leben? Achten Sie darauf, dass Sie Ihr Kind nicht überfordern: Je reifer es wird, desto belastendere Themen haben Platz. In dieser Hinsicht bietet das Teenageralter Ihrem Kind auch die Möglichkeit, Sie besser kennenzulernen und neue Facetten an Ihnen zu entdecken.

Vielleicht haben Sie beim Lesen des Artikels aber auch den Eindruck erhalten: «Bei all diesen Fragen kommt von meinem Kind sowieso nichts! Ich bin ja gerade noch recht, um Fahrdienste zu machen, den Kühlschrank zu füllen und den Geldbeutel zu zücken.» Auch diese Annahme dürfen wir hinterfragen. Vielleicht liesse sich das Kind durchaus noch etwas sagen, aber auf eine andere Weise. Folgende Frage könnte ein Türöffner sein: Gibt es etwas, bei dem du dir von uns Eltern mehr oder andere Unterstützung wünschen würdest?

Diese Frage lädt Ihr Kind dazu ein, nicht nur über aktuelle Schwierigkeiten oder seine Bedürfnisse zu sprechen, sondern auch zu formulieren, ob und vor allem inwiefern es von Ihnen Hilfe annehmen kann.

Väter, getraut euch!

Zum Schluss noch ein Wort an die Väter: Noch immer ist es für viele von uns Männern ungewohnt oder sogar unangenehm, über Gefühle, Schwierigkeiten oder persönliche Erlebnisse zu sprechen – insbesondere mit unseren Kindern. Vielleicht war unser eigener Vater oft abwesend oder wir haben ihn als emotional eher distanziert erlebt.

Möglicherweise hat er sich auch damit begnügt, seine Frau zu fragen, was im Leben seiner Kinder gerade los ist, und lässt sich auch heute noch lieber von ihr informieren, anstatt selbst ans Telefon zu kommen. In diesem Fall fehlt uns ein wichtiges Vorbild dafür, wie man seinen eigenen Kindern auch als Mann emotional zugewandt begegnet. Wenn wir in diesem Punkt moderne Väter und unseren Kindern nah sein wollen, müssen wir immer wieder über unseren Schatten springen. Es lohnt sich. Versprochen!

Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

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