«Moderne Nomaden»: Pech und Pannen und das Glück daraus

Autorin Debora Silfverberg blickt nach fünf Jahren auf Reisen zurück auf die grössten Hindernisse und die schwierigsten Momente. Und stellt fest: Ihr bleiben nicht die Tiefpunkte in Erinnerung, sondern die Lichtblicke in der Dunkelheit.
Hinter dem alten, losen Wandpapier in unserem Haus wächst der Schimmel vom Boden bis zur Decke. Und das nicht nur in einem Zimmer, sondern über drei Etagen verteilt. Überall dort, wo vor ein paar Monaten der Regen innen und aussen an der Fassade heruntergelaufen war.
Das Unglück geschah im Oktober 2024. Das Dach unseres Hauses in den Cevennen war gerade komplett abgedeckt und nur mit Planen geschützt. Auch der Dachkännel fehlte. Eine riesige Regenfront liess es in wenigen Stunden so viel regnen wie sonst über Wochen oder Monate. Die Dachplane verrutschte. Den Rest können Sie sich vorstellen.



Wenn sich die Gemütlichkeit aus dem Staub macht
Die Sonne kehrte zurück und im Dachstock wurde weitergearbeitet, ohne dass den Handwerkern das Ausmass der Schäden bewusst war – bis wir im Dezember zurückkehrten.
Nach einer weiteren mehrmonatigen Reise mit unserem Wohnmobil hatten wir uns sehr darauf gefreut, ein heimeliges Weihnachten in unserem Zuhause zu verbringen. Bloss ein wenig Baustaub aufwischen und dann kann es gemütlich werden – so unsere Idee. Doch die Gemütlichkeit hatte sich vorerst aus dem Staub gemacht.
Die planbaren Herausforderungen
Wer die Reiseserien «Das Glück reist mit» und «Moderne Nomaden» mitverfolgt, weiss viel über die positiven Seiten unseres Lebens. Auch darüber, wie wir die alltäglichen Herausforderungen meistern. Wir lernten, unterwegs Schule und Arbeit zu gestalten und Freundschaften zu pflegen. Wir wissen unser Familienleben auf engstem Raum zu führen.
Die praktischen Aspekte unseres Alltags organisieren wir mittlerweile mit links. Aber was ist mit den unvorhersehbaren Herausforderungen? Jenen, die von aussen und ohne Vorwarnung über uns hereinbrechen?
Geschlossene Grenzen
Vor fünf Jahren liessen wir unseren sesshaften Alltag in der Schweiz hinter uns. Wenn ich darüber nachdenke, was seither alles schiefgelaufen ist und wie unser Leben zeitweise auf den Kopf gestellt wurde, wäre der Titel «Das Pech reist mit» manchmal passender gewesen.
Unsere Reise startete bereits mit einer scheinbar unüberwindbaren Hürde: Während sich weltweit die Coronapandemie ausbreitete und die meisten Menschen sich in die eigenen vier Wände zurückzogen, verliessen wir Ende April 2020 unser Zuhause.
Über einige Stolpersteine konnten wir klettern, andere mussten wir umgehen und wieder andere liessen uns die Richtung ändern.
Zunächst lief nichts nach Plan: Da war der Wohnwagen, der in der Produktion feststeckte, und uns nicht zur Verfügung stand. Da waren die geschlossenen Grenzen. Gleichzeitig entwickelte mein Mann gravierende Beschwerden an einem Halswirbel, die nur durch eine Operation behoben werden konnten. Unser Glück hing an einem seidenen Faden. Wie es weitergehen sollte, war ungewiss.
Stolpersteine in verschiedenen Grössen
Die Pandemie nahm ihren Lauf und den Rest von 2020 und den zweiten Lockdown verbrachten wir schliesslich bei meinen Eltern in Frankreich. Fast ein Jahr verging, bevor wir unsere geplante Reise überhaupt beginnen konnten. Doch wir liessen uns weder von kleinen noch von grossen Hindernissen abschrecken: Gerade beginnen wir unser sechstes Reisejahr. Dabei rollten in jedem dieser Jahre Steine in unseren Weg. Über einige konnten wir hinwegsteigen, andere mussten wir umgehen und wieder andere liessen uns die Richtung komplett ändern.

Bereits kurz nach der Abfahrt im März 2021 riss uns in Spanien eine Böe mit einem Ruck die Markise, unseren Sonnenschutz, vom Dach. 40 Kilogramm Metall und Segeltuch donnerten mir auf die Schultern, als ich versuchte, sie an den Stützen festzuhalten.
Noch grösser war der Schreck, als uns im selben Jahr nach den ersten fünf Monaten unterwegs das gesamte Hubbett im Wohnwagen herunterkrachte. Dank des Garantiescheins erhielten wir einen Ersatzwohnwagen. Damit reisten wir weiter. Als wir unseren eigenen Wohnwagen nach vier Monaten zurückerhielten, wurde er beim Abladen vom Transporter gleich noch einmal schwer beschädigt.
Wir sind monatelang bloss Durchreisende – Gäste an einem fremden Ort. Nachhausekommen bedeutet uns deshalb besonders viel.
2022 gab uns der «Mover» immer wieder zu schaffen – mit diesem Gerät lässt sich ein beinahe zwei Tonnen schwerer Wohnwagen parkieren. Dabei handelt es sich um eine Art Fernsteuerung, die den Koloss manövriert, wenn er vom Auto abgekoppelt ist. Es ist unangenehm, wenn der Mover immer wieder mitten auf dem Weg aufgibt und keiner an dir vorbeikommt. Ungewissheit und der unterschwellig damit verbundene Stress waren ständige Begleiter, bis die Anlage endlich repariert war.
Durchkreuzte Lebenspläne
2023 stellte für uns wichtige Weichen. Die Pläne, uns in Portugal längerfristig niederzulassen, wurden doppelt durchkreuzt durch den Verlust sowohl unserer temporären wie längerfristigen Behausungsmöglichkeiten. Ausserdem barsten die Seile unseres Hubbetts ein zweites Mal.
Es war auch das Jahr, in dem unser Auto mitten in der spanischen Pampa anfing, aus der Kühlerhaube zu rauchen und uns stranden liess. Das gute Gefährt hatte den Wohnwagen bis dahin pannenfrei, kilometerweise einmal um die Welt gezogen.

2024 wechselten wir zum Reisen von unserem Wohnwagen auf ein Wohnmobil, und das Pech fokussierte sich in diesem Jahr auf unsere feste Basis: Wir fanden, wie zu Beginn beschrieben, bei unserer Rückkehr in unser Winternest anstatt eines fertig ausgebauten Dachbodens ein verschimmeltes Haus vor. Dies traf uns hart. Wir sind jeweils monatelang bloss Durchreisen.
Auch 2025 hat uns bereits einige Pannen beschert. So mussten wir einmal aus dem Schlamm ausgegraben werden und wegen eines Flüssiggaslecks wurden wir abgeschleppt. Das Ereignis involvierte auch fünf Feuerwehrleute, zwei Polizisten und einige Schaulustige. Dieses Erlebnis fuhr uns wegen der Explosionsgefahr besonders ein. Für dieses Jahr haben wir bereits genügend Aufregung erlebt – finden wir.
Nicht das Unglück bleibt in Erinnerung, sondern die Menschen, die uns zu Hilfe kamen und uns beiseite standen.
Notfälle an einem fremden Ort
Zu all den grösseren Ereignissen kommen auch mehrere Hundenotfälle, heftige Corona-Erkrankungen, Grippen und weitere kleinere Schäden und Pannen, verteilt über die letzten fünf Jahre. An einem unvertrauten Ort krank zu werden oder einen Notfall zu erleben, verursacht grösseren Stress, als wenn man zu Hause ist. Gerade wenn man die Sprache nicht gut spricht, fühlt man sich verletzlicher und ist vermehrt auf die Hilfe anderer angewiesen.

So geht es uns meistens: Wir befinden uns für einen Grossteil des Jahres irgendwo unterwegs. Wenn es jemandem von uns nicht gut geht oder wir ein Problem mit unserem Zuhause auf Rädern haben, sind wir fast immer an einem anderen Ort, in einem anderen Land, mit einer anderen Sprache.
Was uns beeindruckt
Wenn ich über die verschiedenen Unglücksmomente oder Missgeschicke nachdenke, bleiben jedoch nicht die Tiefpunkte in Erinnerung. Bei jedem dieser kleineren und grösseren Herausforderungen hinterlässt etwas anderes einen nachhaltigen Eindruck: die Menschen, die uns zu Hilfe kamen und uns beiseite standen. Die, die eine Extrameile für uns gingen, auch wenn es ihnen selbst keine Vorteile brachte.
Die Hochs in unserem Reiseleben fühlen sich höher an, die Tiefs tiefer.
Unsere Pannen passierten ausserdem sehr oft im besten Moment und am besten Ort, um Schlimmeres zu verhindern. So krachte zum Beispiel das Hubbett nach der ersten längeren Reise präzise auf dem Weg in die Werkstatt herunter.
Europa ist voller guter Menschen
Wir wissen heute, dass überall in Europa kompetente und hilfreiche Ärztinnen, Tierärzte, Apothekerinnen, Automechaniker, Nachbarn und Passanten zu finden sind. Wir waren nie auf uns allein gestellt.
Da waren Menschen in Portugal, die Suppen für uns kochten und für uns einkauften, als wir krank waren. Da war der Automechaniker in Spanien, der uns eigens bei unserem Wohnwagen auf dem Campingplatz ausserhalb des Städtchens abholte, damit wir Dinge aus dem Auto holen konnten, als dieses seine grosse Panne hatte.

Da war die Polizistin in Frankreich, die uns bis zu unserem Hotel fuhr, als unser Wohnmobil für die Nacht abgeschleppt werden musste. Die Campingplatzbesitzer halfen uns zweieinhalb Stunden lang zu graben und zu stossen, um unser schweres Gefährt wieder aus dem Schlamm zu kriegen. Ein erleichtertes «High-Five» war Dank genug für sie.
Das unbezahlbare Glück im Unglück
In unserem Reiseleben scheint der Wellenschlag zwischen Glückmomenten und Verzweiflung oder Hilflosigkeit grösser zu sein als im sesshaften Leben. Die Hochs fühlen sich höher an, die Tiefs tiefer. Wenn wir unterwegs sind, braucht es wenig, um unseren Alltag auf den Kopf zu stellen: Ein kaputter Wasserhahn oder eine beim Fahren herausgerissene Schublade – und wir sind ziemlich aufgeschmissen.
Wenn wir dann durch glückliche Umstände oder liebenswerte Menschen eine schnelle Lösung aus unserer Misere finden, spüren wir eine immense Dankbarkeit. Sie ist der Treibstoff, der uns die Kraft gibt, weiterzumachen. Was uns die letzten fünf Jahre und ihre Pechmomente also vor allem gelehrt haben: Das Glück im Unglück ist das grösste. Und davon hatten wir jede Menge.