Diese Schulen machen Eltern und Kinder sozial fit - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Diese Schulen machen Eltern und Kinder sozial fit

Lesedauer: 4 Minuten

Viele Schweizer Schulen bieten sozialpädagogische Konzepte an, die Kindern helfen sollen, ihre Sozialkompetenzen zu entfalten. Wie sich drei davon in der Praxis bewähren.

Text: Yvonne Kiefer-Glomme
Bild: Rawpixel

Die Bieler Lehrerin Christine Daepp gründete 2002 das erste Ideenbüro. Aus dieser Initiative entstand der gleichnamige Verein. Das Konzept dahinter: Ältere Schülerinnen und Schüler beraten jüngere bei Problemen und beim Realisieren von Ideen. Aktuell gibt es an Schweizer Schulen über 150 Ideenbüros, seit 2016 auch an der Primarschule Wallbach im Aargau. 

Im Ideenbüro beraten Kinder einander bei Problemen und Ideen

Meist sind es kleinere Konflikte, aufgrund derer sich Schülerinnen und Schüler ans Ideenbüro wenden – etwa, wenn ein Kind beleidigt oder geschubst wurde oder jemand seine Sachen versteckt hat. Dann helfen Beraterinnen und Berater ihm dabei, das Problem zu lösen.

Pro Semester können sich jeweils vier Sechstklässlerinnen und Sechstklässler für ­diese Aufgabe bewerben. Bei der Auswahl der Kinder wird darauf geachtet, was sie zur Bewerbung motiviert und inwiefern die Beraterfunktion ihre sozialen und kommunikativen Kom­petenzen fördern kann.

Wenn sich die Beraterkinder als selbstwirksam erleben, sind sie ­Feuer und Flamme, Verantwortung zu übernehmen und die Schulgemeinschaft mitzugestalten.

Sabine Kiesling, Schulsozialarbeiterin

Für das Bewerbungsverfahren sowie die Ausbildung, Einarbeitung und Begleitung der Beraterinnen und Berater ist Schulsozialarbeiterin Sabine Kiesling verantwortlich. Das Beratungsteam des Ideenbüros ­führe seine Gespräche meist in Eigenregie durch, sagt Kiesling: «Die beratenden Kinder üben, sich in Mitschülerinnen und Mitschüler hineinzuversetzen und als Experten in eigener Sache selbständig Lösungen für deren Konflikte und Anliegen zu finden. Die Schülerinnen und Schüler schätzen das Beratungsteam, da ihnen dieses auf Augenhöhe begegnet.»

Zudem lernt das Beraterteam, sich bei Schulleitung und Gemeinde für kreative Vorschläge seiner Mitschüler einzusetzen sowie dort auch eigene Ideen zu präsentieren. Auf diese Weise konnten auf dem Schulgelände beispielsweise eine Halfpipe und eine Überdachung für die Fahrrad- und Rollerständer realisiert werden. 

«Wenn sich die Beraterkinder als selbstwirksam erleben, sind sie ­Feuer und Flamme, Verantwortung zu übernehmen und die Schulgemeinschaft mitzugestalten. Dank diesem Engagement empfinden ihre Mitschülerinnen und Mitschüler sie als Vorbilder, das wiederum kann sich positiv auf deren Sozialverhalten auswirken», so Kiesling.

Innerer Schiedsrichter statt Hausordnung

Wie Sozial- und Selbstkompetenzen gefördert werden können, zeigt auch die Primarschule Kaisten im Aargau. Um Kindern Grundsatz­regeln zu vermitteln, ohne dafür eine umfassende Hausordnung aufzustellen, setzt die Schulleitung auf den «inneren Schiedsrichter». Mithilfe dieses sympathischen Maskottchens lernen die Kinder altersgerecht und spielerisch, dass jeder Mensch ein Gewissen besitzt. Dieses zeigt ihnen täglich anhand vieler Signale, wie sie sich verhalten sollen.

Sie üben, die damit verbundenen Gefühle bewusst wahrzunehmen, als nützlich zu betrachten und sich mit deren Ursachen auseinandersetzen: Das mulmige Gefühl im Magen etwa kann eine körpereigene Alarmanlage sein, die vor Gefahren oder Fehlverhalten warnt. Symbolisiert wird es durch eine Trillerpfeife.

Ziel ist es, dass die Kinder ein positives Selbstbild entwickeln, dank dem sie selbstbewusst und gleichzeitig empathisch handeln können. So gibt es weniger Konflikte.

Zudem erlernen die Kinder Strategien, wie sich solche Signale – oder eben Gefühle – vermeiden oder auflösen lassen. Und sie erfahren, dass ihnen das Gewissen auch schöne Gefühle bereiten kann, etwa, wenn sie sich hilfsbereit zeigen. Solche Verhaltensweisen werden mit einer grünen Glückskarte belohnt. 

«Bereits nach wenigen Lektionen kennen die Kinder die Funktion des inneren Schiedsrichters und wissen, warum er sich bemerkbar macht», sagt Schulsozialarbeiter Robin Reinhard. Ziel ist es, dass Kinder ein positives Selbstbild entwickeln, dank dem sie selbstbewusst und gleichzeitig empathisch handeln können.

Sie lernen, die eigenen Grenzen und die des Gegenübers zu spüren und zu respektieren. So treten weniger Konfliktsituationen auf oder sie lassen sich leichter deeskalieren. Um das Konzept, das seit 2018 Teil des Schulprogramms in Kaisten ist, stärker im Alltag zu verankern, hat es der Schulsozialdienst mit Jahrgangsthemen verknüpft. Seither findet unter Anleitung von Schulsozialarbeiter Reinhard auf jeder Klassenstufe ein Workshop statt, dessen Elemente inhaltlich aufeinander aufbauen.

Im Idealfall ­finde der Workshop in Zusammenarbeit mit der Lehrperson statt, was dieser hilfreiche Inputs für den Unterricht vermittle, sagt Reinhard. Und betont: «Der innere Schiedsrichter trägt nur dann langfristig zur Förderung der Selbst- und Sozialkompetenzen und einem positiven Schulklima bei, wenn alle Lehr­kräfte das Konzept auch leben.» 

Familienklassenzimmer: Kinder und Eltern machen gemeinsam Schule

Als erste Schulgemeinde schweizweit hat Kriens LU 2013 das Familienklassenzimmer (FKZ) eingeführt. Als freiwilliges schulisches Unterstützungsangebot stärkt das FKZ die Ressourcen von Familien und deren Beziehungen. Im FKZ treffen sich mehrere Familien mindestens drei Monate lang einen Halbtag pro Woche, moderiert und begleitet von einer Lehrkraft und einer Person mit sozialpädagogischer oder psychotherapeutischer Ausbildung, die sich in Multifamilienarbeit weitergebildet hat.  

«Durch gemeinsame Rollen­spiele, Körperarbeit sowie gestalterische Aktivitäten von Eltern und Kindern werden neue Zugänge zu deren Problemen gefunden. Die Familien üben den Umgang mit Konfliktsituationen und lernen voneinander», erklärt Sorina Zollinger, Psychotherapeutin und Coach im FKZ.

Ein weiterer Artikel: «Paolo tut es leid, dass er so aufbrausend war»

Gianna Odermatt*, 46, aus Kriens hat zusammen mit ihrem Mann vier Kinder: 12-jährige Zwillinge, eine ­14-jährige Tochter und einen 19-jährigen Sohn. Seit Juni letzten Jahres nimmt sie mit Paolo, 12, am Familienklassenzimmer ihrer Schule teil. Lesen Sie hier den Erfahrungsbericht.

«Wir wollen Kinder und Eltern in ihrer Emotionsregulation stärken, was dem Kind gute Bindungserfahrungen ermöglicht. Wenn Eltern bereit sind, ihr eigenes Verhalten gemeinsam mit dem Kind als auch im Austausch mit der Gruppe zu reflektieren und anzupassen, leisten sie einen Beitrag dazu, dass auch die Sozialkompetenz des Kindes sich verbessern kann», so Myriam Achermann, Psychologin und Leiterin der Schuldienste Kriens.

«Mit ihren Schwierigkeiten nicht allein zu sein, gibt Eltern Kraft, sich von ungünstigen Bewältigungsmustern zu lösen. Sie erleben sich als selbstwirksam und fühlen sich kompe­tenter in ihrer Elternrolle», sagt Thomas Tanner, Krienser Schul­sozialarbeiter und FKZ-Coach. 

Die stärkere Präsenz der Eltern in der Schule gibt deren Kindern Halt, so dass sie den Schulalltag besser bewältigen. «Für die Lehrperson wirkt es entlastend, mit der Familie am gleichen Strang zu ziehen. Zudem entwickelt sie eine andere Haltung und lernt, soziale Kompetenzen des Kindes zusammen mit den Eltern weiterzuentwickeln», sagt Maya Heer, Krienser Primarlehrerin und FKZ-Coach. Dies kommt der ganzen Klasse zugute.

Schulfach ICH

Die Schulen Fraubrunnen haben vor zwei Jahren das Projekt «Schulfach ICH» gestartet.

Dieses Pilotprojekt wird durch die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern unterstützt und beinhaltet achtsamkeitsbasierte Unterrichtsequenzen, wobei die Förderung der Selbstreflexion, Emotionsregulation, Konfliktfähigkeit und Selbstwahrnehmung im Fokus stehen.

Weitere Infos dazu: www.schulfachich.com

Yvonne Kiefer-Glomme
ist freie Journalistin, Mutter einer Tochter, 11, und lebt mit ihrer Familie im Aargau.

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