«Manchmal wünsche ich mir die Welt von damals zurück»
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«Manchmal wünsche ich mir die Welt von damals zurück»

Lesedauer: 2 Minuten

Verena nervt sich vor allem über seichte Kurzvideos, mit denen sich ihre 13-jährigen Zwillingstöchter berieseln lassen. Ganz verbieten will sie ihnen soziale Medien trotzdem nicht.

Aufgezeichnet von Mirjam Oertli
Bild: dpa Picture Alliance

Eineinhalb Stunden täglich: So viel Zeit haben meine Töchter an ihrem Handy zur freien Verfügung. Hauptsächlich sind sie dann auf Tiktok, manchmal auf Instagram. Auf Youtube kommen sie nicht. Brauchen sie es mal für die Schule, können sie via Computer rein. Mich nerven dort die ‹Shorts›, diese seichten Kurzvideos. Gut, Tiktok ist ähnlich: zack, zack, zack, ein Filmchen nach dem anderen. Ich glaube nicht, dass das dem Hirn guttut.

Was ich nicht einschränken will, ist ihre Kommunikation. Und Musik, also Spotify. Ich habe früher ja auch stundenlang CDs gehört und telefoniert. Und via Whatsapp sollen sie immer direkt mit Papi oder ihren Grosseltern in Kontakt treten können.

Was Handys und soziale Medien angeht, fühle ich mich in der Erziehung wie im Blindflug.

Verena, 48

Aber es gibt halt noch Snapchat. Das möchte ich auch nicht sperren. Denn einige ihrer Freundinnen und Freunde kommunizieren nur darüber. Aber auf Snapchat lässt sich noch so viel anderes machen. Und ich lausche ja nicht die ganze Zeit, ob sie noch telefonieren oder schon stupide Filmchen schauen.

Eigentlich fände ich es gut, wenn sie pro Tag nicht länger als insgesamt eineinhalb Stunden Handyzeit hätten. Aber das schaffen wir nie mit allem, was halt über das Gerät läuft. Und dann arbeitet die Technik auch gegen einen: Die Apps sind ja darauf angelegt, dass man Stunden um Stunden dort verbringt. Kommt hinzu, dass unsere Jugendschutz-App ‹Family Link› Lücken hat. Einmal vermutete ich, dass eine meiner Töchter die Einschränkungen umgeht. Also habe ich gegoogelt und gemerkt: Es gibt dazu unzählige Anleitungen im Netz. Uncool!

Soziale Medien: Als Eltern allein gelassen

Manchmal frustriert mich das Thema endlos. Schwierig finde ich, dass man sich an nichts orientieren kann. In allen anderen Themen wurde ich auch mal erzogen, kann auf Erfahrungen zugreifen. Nur was Handys und soziale Medien angeht, fühle ich mich wie im Blindflug. Und als Eltern wird man komplett im Regen stehen gelassen.

Die Elternabende, die ich zum Thema besucht habe, blieben oberflächlich, theoretisch, ohne klare Ansage. Und die Zeiten, die vielleicht noch angegeben wurden, sind nicht umsetzbar, wenn man die Kommunikation nicht einschränken will. Ausserdem brauchen die Kids das Gerät ja auch für die Schule. Irgendwann hiess es, es wäre gut, wenn sie Teams auch auf dem Handy hätten, um keine Aufträge zu verpassen.

Oft kommen spätnachts noch Snaps rein.

Meine Töchter und ich diskutieren oft über die Regeln, auch über Risiken. Manchmal streiten wir auch, klar. ‹Die anderen dürfen viel länger›, sagen sie. Das stimmt zum Teil. Weil sie ihre Handys nach 21.30 Uhr aus dem Zimmer legen müssen, höre ich ja das Surren. Da kommen oft spätnachts noch Snaps rein. Immer wieder schaue ich auch zu, was sie am Gerät machen. Aber ob sie mir alles zeigen? Ich weiss ja nicht, was ich nicht weiss. ‹Alles easy›, sagen sie mir. Und wenn wir über Risiken sprechen: ‹Wir sind ja nicht doof.›

Durch das ganze Internetzeugs ist die Welt meiner Kinder grösser, als sie für mich damals war. Sie müssen so viele Entscheidungen treffen. Wo klicke ich drauf, wo nicht? Was schicke ich weiter, was nicht? Einmal rief der Lehrer an, weil eine meiner Töchter Bilder weitergeleitet hatte – darunter eines, das nicht okay war. Sie hatte gar nicht alle genau angeschaut. Als sie es dann tat, konnte sie den Aufruhr verstehen.

Ja, meine Welt war einfacher. Manchmal wünsche ich sie mir für meine Töchter zurück. Aber komplett verbieten kann man ihnen soziale Medien auch nicht, glaube ich.

Mirjam Oertli
ist freie Journalistin und Buchautorin («Wer auf dem Handy kein gratis Internet hat, ist tot!», «Jetzt stellen Sie doch das Kind mal ruhig!»). Sie ist Mutter von zwei Teenagern und einem Primarschulkind und lebt mit ihrer Familie in Luzern.

Alle Artikel von Mirjam Oertli

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