Snapchat: Keine Angst vorm weissen Geist
Bilder: Snapchat
Um ihre Kinder in Sachen Mediennutzung zu begleiten, machen Eltern vieles mit. Sie melden sich bei Facebook an, schauen Youtube-Videos von Bibi und LeFloid und spielen Egoshooter. Aber die Lieblingsapp der Teenager lässt Erwachsene ratlos zurück: Was soll dieses Snapchat? Wir haben uns für Sie eingefuchst.
In einem lustigen Video von Youtube-Star Kelly MissesVlog kann man in einem Livemitschnitt beobachten, wie sie versucht, mit der App zurechtzukommen. Sie kämpft mit plötzlich auftauchenden Funktionen und schnell wieder verschwindenden Nachrichten wie alle anderen Erstnutzer. Kelly ist übrigens 21.
Volle Aufmerksamkeit – wie bei einer echten Unterhaltung
Die zweite zunächst ärgerliche Eigenschaft der App ist die Vergänglichkeit der Inhalte. Wenn Kollege XY ein Video schickt, kann man es im Normalfall nur ein- oder zweimal anschauen – danach ist es verschwunden. Ebenso steht es mit Bildern. Hier kann der Sender sogar wählen, wie viele Sekunden man ein Bild betrachten kann, bevor es gelöscht wird. Genau diese Eigenschaft hat Snapchat zu Beginn den Ruf einer Schmuddel-App eingebracht, die sich besonders für Sexting, also zum Verschicken anzüglicher Nachrichten eignet. Sicher sind unter den 700 Millionen verschickten Fotos und Videos pro Tag auch nackte Tatsachen zu finden. Aber dank der vielen Gestaltungsmöglichkeiten mit Filtern und Videobearbeitungsfunktionen liegt der Fokus vermutlich eher auf Kreativität und Witz als auf Erotik. Bisher gab es zumindest keine grösseren Skandale rund um die App.
Und dass auch Fotos, die vom Bildschirm wieder verschwinden, irgendwie gespeichert werden können, via Screenshot oder externer App, wissen Ihre Teenager bestimmt schon. Wenn nicht – machen Sie sie ganz schnell darauf aufmerksam!
Die Vergänglichkeit hat jedenfalls einen Vorteil: Snapchat-Nutzer sind keine Multitasker. Dieses soziale Netzwerk läuft nicht nebenher, sondern man muss sich bewusst Zeit nehmen und Nachrichten ungeteilte Aufmerksamkeit schenken – sonst sind sie wieder weg. Ein bisschen so wie bei einer richtigen Unterhaltung: Da kann man ja auch nicht zurückspulen und wiederholen.
Ein einfacher Werkzeugkasten zum kreativen Geschichtenerzählen – bis hin zur Albernheit.
Klingt alles ein bisschen albern? Mag sein – aber erstens macht die App ja genau deshalb so viel Spass, und zum anderen kann der Spieltrieb durchaus auch zu kreativen und durchdachten Videoproduktionen genutzt werden. Snapchat-Videos erkennt man übrigens am besonders Selfie-geeigneten Hochformat. Eine kleine Revolution in der von Querformaten dominierten Welt der bewegten Bilder.
Die zweite wichtige Funktion der App neben dem Chat sind die Storys. Hier werden Geschichten und Videos für 24 Stunden zur Verfügung gestellt. Jeder, der einen Nutzer als Freund hinzufügt, kann also in einer Art Collage sehen, was bei ihm heute so los war. Das kann so langweilig sein wie bei Paris Hilton (Nutzername: realparishilton), die Snaps von sich selbst vor dem Spiegel online stellt und zwischendurch shoppt und auf Partys geht.
Es kann aber inhaltlich auch spannend sein wie beim deutschen Journalisten Daniel Bröckerhoff (doktordab), der Nachrichten kommentiert, erklärt und zudem einen Blick hinter die Kulissen des Fernsehsenders ZDF gibt. Storys sind oft auch gestalterisch spannend, weil neben den Filtern auch Videobearbeitungsfunktionen wie Beschleunigen, Verlangsamen, Comics und Co. zum Einsatz kommen. Um so manchen Film wäre es schade, wenn man ihn verlöre. Deshalb kann der Ersteller selbst seine Story oder einzelne Szenen daraus speichern.
Fazit: Snapchat ist privat, nah und persönlich. Zum Beispiel zeigt sich das Schweizer Model Xenia (xenia) in ihren Snaps bei Weitem nicht nur perfekt gestylt, sondern erzählt auch ungeschminkt im Hotelbett, was sie heute erlebt hat. Comedian und Moderator Stefan Büsser (stefanbuesser) verrät auf Snapchat, schon bevor es öffentlich ist, wo er als Nächstes auftritt. Snapchat zwingt uns zu einer sehr aufmerksamen Mediennutzung und stellt viele spannende Werkzeuge für kreatives Storytelling zur Verfügung. Die Gefahr, dass über Snapchat zu private Inhalte versendet werden, ist gross. Eltern sollten also mit ihren Kindern darüber sprechen, dass auch die Chatinhalte eben nicht einfach von Handy zu Handy gehen, sondern über amerikanische Server gesendet werden. Snapchat verspricht zwar, keine Daten zu speichern, sondern alle Snaps nach 24 Stunden tatsächlich zu löschen – aber eine Garantie dafür gibt es nicht.
Snapchat-Tipps für Eltern
- Snapchat ist erst ab 13 Jahren erlaubt.
- Ihr Kind sollte Ihnen Snapchat erklären! Die Bedienung ist nicht intuitiv.
- Üben Sie mit Ihren Kindern doch einmal, Geschichten zu erzählen – mit Snapchat-Bildern, Videos, Filtern und Stickern. Storytelling gehört durchaus zur Medienkompetenz, und hier kann Snapchat ein tolles Hilfsmittel sein.
- Sprechen Sie mit Ihren Kindern darüber, dass auch Snapchat Internet ist. Bilder und Videos, die gesnappt werden, sind also keinesfalls privat. Sie können von anderen Nutzern heimlich gespeichert werden. Ausserdem gibt es keine Garantie dafür, dass Snapchat die Daten nicht ebenfalls speichert.
- Übertreiben Sie nicht! Snapchat ist gerade deshalb «cool», weil die Erwachsenen noch nicht dort sind und von ihrem Alltag erzählen. Es ist gut, wenn Sie als Eltern die App kennen und verstehen. Sie müssen sie aber nicht regelmässig nutzen.
Wertvolle Links:
- snapmeifyoucan.net: Kostenloser Snapchat-Guide als PDF
- snapgeist.com: Sammlung spannender Snapchatter
- Auf dem Medienpädagogik Praxisblog gibt es eine vierteilige Artikelserie, die Snapchat speziell für Eltern, Lehrpersonen und Medienpädagogen ausführlich erklärt und Tipps gibt.