Neurodermitis: «Kratz nicht!» hilft nicht
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20 von 100 Kindern in der Schweiz sind von atopischer Dermatitis oder Neurodermitis betroffen. Der damit verbundene Juckreiz macht ihnen das Leben schwer. Doch die Hautkrankheit lässt sich im Zaum halten: mit guter Pflege.
Dagmar Simon ist Leitende Ärztin in der Universitätsklinik für Dermatologie in Bern und sagt, worunter Menschen mit Neurodermitis am stärksten leiden: «Juckreiz, Juckreiz, Juckreiz!» Gleich dreimal nennt sie das Wort. Ein oft unerträglicher Juckreiz ist das Hauptsymptom von atopischer Dermatitis, so der Fachbegriff. «Atopisch» kommt von «Atopie» und bezeichnet die Neigung zu allergischen Reaktionen. Allerdings spielen bei Neurodermitis nicht nur allergische, sondern noch viele andere Faktoren eine Rolle.
In der Schweiz sind ungefähr 20 Prozent der Kinder betroffen. Bei den Erwachsenen sind es rund vier bis fünf Prozent, wie aus einer Broschüre des Allergiezentrums aha! hervorgeht. Atopische Dermatitis kann die Lebensqualität mindern, die Schulleistungen beeinträchtigen und zu Schwierigkeiten im sozialen Umfeld führen: Wenn es juckt, schläft man schlecht und kann sich schwer auf Hausaufgaben konzentrieren; mit Ausschlag im Gesicht kostet es Überwindung, auf andere zuzugehen.
Die genetische Veranlagung
Bei atopischer Dermatitis ist die Barrierefunktion der Haut defekt: Sie verliert leichter Feuchtigkeit und trocknet aus. Dadurch kann sie rot und rissig werden, nässen und sich entzünden – häufig in Kniekehlen und Armbeugen, im Gesicht, an Hals und Händen. An falscher Ernährung liegt das in den meisten Fällen nicht, und auch die seelische Verfassung ist nicht allein ausschlaggebend, auch wenn diese Faktoren das Hautbild beeinflussen können. «Neurodermitiker sind nicht labil, sondern ganz normal», stellt Simon klar. Die Betroffenen haben auch keine Nervenkrankheit, wie man früher fälschlicherweise annahm und die Krankheit «Neurodermitis» benannte (abgeleitet vom griechischen Wort für «Nerv»). Vielmehr existiert eine genetische Veranlagung: Biochemische Untersuchungen sprechen dafür, dass die Hautlipide und Strukturproteine bei Menschen mit atopischer Dermatitis anders zusammengesetzt sind als in gesunder Haut. Daher schützt ihre Haut sie weniger gut vor Umwelteinflüssen und entzündet sich leichter.
Eine Studie zeigt: Kinder, die auf dem Bauernhof gross werden, haben seltener eine atopische Dermatitis.
Fünf Tipps für die Haut
1. Richtig reinigen: Nicht zu heiss duschen und hinterher am ganzen Körper eincremen. Das gilt auch für Schwimmbadbesuche. Seifenfreie Duschgels verwenden, auch fürs Händewaschen. Duftstoffe vermeiden. Wer Weichspüler verwendet, gibt stattdessen besser einen Spritzer Essig ins letzte Spülwasser, damit keine Duftstoffe in der Wäsche verbleiben.
2. Gut anziehen: Irritationen der Haut vermeiden, indem man weiche, atmungsaktive Materialien wie gekämmte Baumwolle, Viskose, Lyocell trägt und keine kratzige Wolle. Luftige Schnitte sind besser als enganliegende Kleidung. Unterwäsche mit den Nähten nach aussen tragen. Es gibt spezielle Schlafanzüge aus Seide, und antimikrobielle Kleidung kann die Keime auf der Haut reduzieren.
3. Juckreiz lindern: Immer eine Pflegelotion im Kühlschrank haben und auf stark juckende Stellen auftragen. Was ebenfalls hilft, etwa im Schulunterricht: kneifen statt kratzen; Hände mit etwas anderem beschäftigen, zum Beispiel einem Spinner.
4. Sich informieren: Die Stiftung «aha! Allergiezentrum Schweiz» bietet Infobroschüren etwa über atopisches Ekzem oder Kortison zum kostenlosen Download an, www.aha.ch > Shop > Haut. Unter «Leben mit Allergien» finden sich Termine für Kinderlager, Jugendcamps und schweizweite Neurodermitisschulungen für Kinder und Eltern. Lesenswert: das Lehrbuch «Neurodermitis – Ein Leitfaden für Ärzte und Patienten» von Dagmar Simon (Uni-Med 2018, 96 Seiten, ca. 50 Fr.).
5. Rücksicht nehmen auf die Haut: Das gilt auch bei der Berufswahl. Mit empfindlicher Haut geht man besser nicht in Berufe, in denen man sich häufig die Hände waschen oder mit hautreizenden Stoffen umgehen muss, etwa als Coiffeur, Bäckerin, Florist oder Pflegekraft, im Metallhandwerk oder in der Zahntechnik. Sonst können sich Handekzeme verschlechtern oder neu auftreten.
Die meisten erkranken in den ersten fünf Lebensjahren
«Die Krankheit verläuft schubweise», erklärt Dagmar Simon. Im Team mit Ärztinnen, Psychologen und Pflegekräften führt sie regelmässig Neurodermitisschulungen durch. Dort wird den teilnehmenden Kindern und deren Eltern ein Stufenplan an die Hand gegeben. «Die Patienten sollen lernen, ihr eigener Doktor zu sein. Sie können ja nicht bei jedem Schub eine Praxis aufsuchen.» Wichtig ist der Dermatologin, dass die Massnahmen, die man trifft, am Ende nicht belastender sind als die Erkrankung selber. Ihr Tipp: «Am besten pragmatisch rangehen und sich nicht vereinnahmen lassen von der Krankheit.»
Lotionen, Cremes und Ölbäder
Die zweite Stufe des Behandlungsplans beginnt, wenn sich Haut rötet, schuppt und anfängt zu jucken. Hier werden in der Regel kortisonhaltige Salben und Cremes oder sogenannte Immunmodulatoren (Wirkstoffe: Pimecrolimus, Tacrolimus) empfohlen, damit der Juckreiz gar nicht erst so schlimm wird. Diese Produkte werden direkt auf die roten Stellen aufgetragen und wirken dort antientzündlich auf Zellen, die eine Entzündung in der Haut hervorrufen.
Bei der Behandlung ist eine gute Basispflege das A und O. Das müssen schon die Jüngsten lernen.
Auf der dritten Stufe, während eines akuten Schubs mit sehr starkem Juckreiz, verschreiben die Fachleute in der Regel Kortisonsalben in stärkerer Dosierung (Klasse 3) und/oder den Immunmodulator Tacrolimus. In besonders schweren Fällen muss in der Regel eine antientzündliche Systemtherapie mit Tabletten oder Spritzen zum Einsatz kommen. UV-Lichttherapien wie bei Erwachsenen sind bei Kindern keine Option, um ein Hautkrebsrisiko zu vermeiden. «In den nächsten Jahren wird sich einiges tun bei der Therapie von Neurodermitis», sagt Dagmar Simon. Kürzlich sei ein neuer Antikörper zur Behandlung von betroffenen Jugendlichen ab zwölf Jahren und Erwachsenen zugelassen worden (Dupilumab, Handelsname: Dupixent), der aber noch für Kinder getestet werden müsse.. Es lohnt, sich regelmässig bei einer Hautarztpraxis auf den neuesten Stand bringen zu lassen.
Eine Auszeit nehmen
einfach fort. Das sei sehr wertvoll für die Betroffenen, sagt Ramseier. «Sie sehen: ‹Ich bin nicht alleine damit, es gibt auch andere Kinder, die so eine mühsame Haut haben.› Das kann sie für zu Hause motivieren.» Denn dort geht das Cremen weiter.
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