Braucht mein Kind eine Spange? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Braucht mein Kind eine Spange?

Lesedauer: 6 Minuten

Ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer haben in ihrem Leben eine Zahnspange getragen – meist aus ästhetischen Gründen. Für eine kieferorthopädische Behandlung bieten sich besonders zwei Zeitfenster an, sagen Experten.

Text: Claudia Füssler
Bilder: Getty Images & Plainpicture

Kieferorthopädie: Das Wichtigste in Kürze

Bei einer kieferorthopädischen Behandlung wirken Druck- und Zugkräfte sanft auf die Zähne ein und bewegen sie so. Möglich ist das dank spezieller Apparaturen, die entweder herausnehmbar oder festsitzend gestaltet werden. Dafür werden beispielsweise sogenannte Brackets aussen auf die Zähne geklebt und durch Drahtbögen miteinander ­verbunden, die klassische Zahnspannge. Für kleinere Stellungskorrekturen eignen sich sogenannte Aligner, durchsichtige Kunststoffschienen, die für jeweils zwei Wochen getragen und dann durch eine neue Schiene ersetzt werden, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. 

In diesem Artikel lesen Sie, wann genau der Zeitpunkt kommt für eine Zahnspange und ob ein schiefer Zahn wirklich schlimm ist oder auch so bleiben kann.

Es ist ein typisches Bild: Teenager sitzen im Park oder am See zusammen und albern miteinander herum, einige lachen und das Metall der Zahnspangen blitzt in den offenen Mündern. Gut ein Drittel aller Schweizerinnen und Schweizer haben laut einer Studie des Bundesamtes für Statistik in ihrem Leben schon einmal eine Zahnspange getragen, bei den 15- bis 24-Jährigen ist es mehr als die Hälfte. 

Der Grund für eine solche Korrektur ist allerdings nicht hauptsächlich medizinischer Natur. Vielmehr entscheiden sich Eltern heutzutage vor allem aus ästhetischen Gründen für eine kieferorthopädische Behandlung ihres Nachwuchses. «Es gibt sehr wenige Eltern, die sagen, man solle eine Korrektur der Zahnschiefstände nur dann vornehmen, wenn es medizinisch notwendig ist», sagt Daniel Feldmann, Fachzahnarzt für Kieferorthopädie aus Zug, «die meisten wollen, dass ihr Sohn oder ihre Tochter schöne Zähne hat – auch wenn manche sich durchaus scheuen, das so offen zu sagen.»  

Der Zeitpunkt ist entscheidend

Die entscheidende Frage bei kieferorthopädischen Behandlungen ist die nach dem Timing. Werden Interventionen zum richtigen Zeitpunkt vorgenommen, können sie mitunter deutlich weniger aufwendig sein, als wenn man sich zu spät dafür entscheidet. Bei Kindern und Jugendlichen haben Zahnärzte und Kieferorthopäden vor allem zwei Zeiträume im Blick. Da wäre das erste Fenster, das sich etwa im Alter von sieben bis acht Jahren öffnet. Dann kommen die bleibenden Frontzähne. «Jetzt lässt sich der Oberkiefer noch gut dehnen, da die Gaumennaht noch weich und offen ist», sagt Feldmann. Notwendig kann ein früher Eingriff auch bei einem funktionellen Kreuzbiss in der Front sein, wenn die oberen Schneidezähne hinter die unteren geraten. 

Werden Interventionen zum richtigen Zeitpunkt vorgenommen, können sie mitunter deutlich weniger aufwendig sein, als wenn man sich zu spät dafür entscheidet.

Behandlungen in diesem Alter haben noch nichts mit Ästhetik zu tun, sondern haben tatsächlich eine medizinische Relevanz. Theoretisch könnte man die Fehlstellung auch noch bei 14-Jährigen korrigieren, dann ist das Ganze aber komplizierter. Noch schwieriger wird es, bei Erwachsenen Dehnungen auf skelettaler Ebene – also beispielsweise des Oberkieferknochens – vorzunehmen. «Wenn Zahnarzt und Kieferorthopäde sich an der Entwicklung des Kindes orientieren, kann vieles mit noch relativ geringem Aufwand in die richtige Bahn gelenkt werden», sagt Feldmann.

Gut zu wissen
So alt werden Zähne

Zähne haben kein Verfallsdatum, sie bleiben bis zum Tod eines Menschen im Gebiss. Es sei denn, sie werden beschädigt. Das kann durch einen Schlag oder Sturz passieren, aber auch durch Erkrankungen wie Karies und Parodontitis. Dann können Bakterien ins Zahninnere eindringen, die Wurzel ­zerstören und zum Abbau des Kieferknochens führen. Auch schwere Erkrankungen wie Diabetes oder Osteoporose sowie ein geschwächtes Immunsystem können zu Entzündungen und Schäden an den Zähnen und in der Folge zum Zahnverlust führen.

Das Kind muss die Spange wollen 

Die zweite, aus kieferorthopädischer Sicht spannende Phase beginnt etwa mit zehn bis elf Jahren. Dann nämlich fängt bei den meisten Kindern der Zahnwechsel im Seitenzahn­bereich an. Die Eckzähne sowie die ersten und zweiten Milchmolaren fallen aus, die bleibenden Zähne kommen nach. «Nehmen wir einmal an, es kommt durch einen Platzmangel im Kiefer dazu, dass die Zähne krumm stehen», sagt Feldmann, «dann ist jetzt ein guter Zeitpunkt für eine Intervention.» Die aber, darauf legt der Kieferorthopäde Wert, von Eltern und Kind gemeinsam entschieden werden muss. Gerade in der Pubertät ist für einige Mädchen und Jungen der Gedanke, für zwei bis drei Jahre mit einer Zahnspange durchs Leben gehen zu müssen, der blanke Horror. Da hilft es oft nicht einmal, dass Freundinnen und Freunde bereits eine haben. In seltenen Fällen, wenn ein Kind sich rundheraus weigert, ist das für Feldmann in Ordnung: «Ich sage dann: Dieses Problem kannst du mit 20, 30 Jahren auch noch korrigieren. Das ist dann vielleicht etwas schwieriger, aber irgendeine Lösung gibt es schon.»

Nicht alle Eltern und Teenager stört ein schiefer Zahn

Feldmann erlebt auch, dass die ästhetischen Ansprüche seiner Patienten sich stark unterscheiden. Nicht alle Eltern und Teenager stört ein schiefer Zahn. «Das muss ich dann auch akzeptieren, ich kann nicht jemandem eine Behandlung für 10’000 bis 12’000 Franken aufdrängen, die die Eltern und Kinder eigentlich gar nicht wollen», sagt der Zuger Facharzt. Umgekehrt sei es für ihn wichtig, ein vorhandenes Bedürfnis nach Korrektur ernst zu nehmen und nicht abzuwiegeln mit dem Hinweis, das sei ja nicht medizinisch relevant. Die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung müssen privat getragen werden, nur in schwerwiegenden Fällen übernimmt das die Invalidenversicherung. «Viele Eltern schliessen daher eine Zusatzversicherung für ihre Kinder ab, die dann – je nach Versicherung – 50 bis 90 Prozent der Behandlungskosten übernimmt», sagt Feldmann.
Viele entscheiden sich aus ästhetischen Gründen für eine Zahnspange. Manchmal ist sie aber unerlässlich.  Bild: Deepol / Plainpicture
Viele entscheiden sich aus ästhetischen Gründen für eine Zahnspange. Manchmal ist sie aber unerlässlich.
Bild: Deepol / Plainpicture
Eltern, die sich nicht sicher sind, ob ihr Kind wirklich eine kiefer­orthopädische Be­handlung braucht oder sich nicht doch irgendwie alles von allein richtet, sollten auf jeden Fall die Mühe auf sich nehmen und eine zweite Meinung einholen. 

Die ästhetischen Ansprüche unterscheiden sich stark: Nicht alle Eltern und Teenager stört ein schiefer Zahn.

Auch wenn ein Kieferorthopäde in der Regel erst aktiv wird, wenn die ersten bleibenden Zähne sich zeigen: Bei bestimmten Anomalien kann eine viel frühere Behandlung nötig sein. «Es ist daher sinnvoll, dass bei Auffälligkeiten auch bereits im Milchgebiss ein Kieferorthopäde konsultiert wird, selbst wenn dann zunächst einmal nichts zu tun ist», erklärt Peter Proff, «Präsident elect» im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie.

Wann Massnahmen unerlässlich sind

Für den Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie am Universitätsklinikum Regensburg sind kieferorthopädische Massnahmen vor allem dann unerlässlich, wenn das Abbeis­sen oder Kauen nicht richtig funktioniert, ebenso bei Störungen der Lippen- und der Zungenfunktion, der Atmung und des Sprechens sowie bei Fehlbildungen, die den Zahnbestand gefährden, weil sie beispielsweise Parodontalerkrankungen und Karies begünstigen. «Zudem korrigieren wir Anomalien, die das Kind oder den Jugendlichen psychisch beeinträchtigen, wie zum Beispiel profilverändernde Fehl­bisse, Lippen-Kiefer-Gaumensegel-Spalten oder nach aussen stehende Eckzähne», sagt Proff. 

Gut zu wissen
Wie sich Zähne entwickeln

Bereits bei der Geburt liegen die Milchzähne voll entwickelt im Kiefer des Kindes. Ab etwa dem sechsten Lebensmonat brechen sie nacheinander durch, sodass zum ersten Geburtstag meist alle oberen und unteren Schneidezähne sichtbar sind. Bis zum 16. Monat folgen die ersten Backenzähne, die ­Eckzähne zeigen sich bis zum 20. Monat. Ein dreijähriges Kind hat mit 20 Zähnen ein vollständiges Milchzahngebiss. Die neuen, bleibenden Zähne ­entwickeln sich unter dem Milchgebiss. Das dauert einige Zeit. Währenddessen lösen sich die Milchzahnwurzeln langsam auf, die Zähne lockern sich. Zwischen dem 6. und dem 14. Lebensjahr werden die Milchzähne nach und nach durch die bleibenden Zähne ersetzt – wann genau, ist von Kind zu Kind verschieden. In der Regel ist der Zahnwechsel ­abgeschlossen, bis die Kinder zwölf Jahre alt sind. Ein bleibendes Gebiss besteht aus 32 Zähnen.

Keine Pflicht, sondern Kür sind hingegen geringfügige Drehungen oder Kippungen einzelner Zähne, die den Patienten funktionell nicht beeinträchtigen. Die gute zahnärztliche Versorgung und Prophylaxe, sagt Proff, sei auch ein Grund dafür, weshalb man heutzutage mehr Kinder und Jugendliche mit Zahnspangen sehe als noch vor einigen Jahren. So fielen weniger von ihnen durch das Raster, weil Anomalien nicht oder nicht rechtzeitig erkannt und behandelt würden. 

Die Grenzen der Kieferorthopädie 

Wie jeder anderen Behandlung sind auch den kieferorthopädischen Massnahmen Grenzen gesetzt. Zwar spielt den Fachärzten in die Hände, dass Zähne sich in einem gesunden Gebiss bis ins höhere Alter auf dem Kieferknochen bewegen lassen. «Bei sehr ausgeprägten skelettalen Anomalien kann eine kieferorthopädische Behandlung allein nicht mehr ausreichend sein, sodass kieferorthopädische Massnahmen dann mit einer kieferchirurgischen Operation kombiniert werden müssen», erklärt Proff. Das sei allerdings wirklich die Ausnahme.
Wichtig: Ein Kind sollte einverstanden sein mit der Spange.  Bild: Getty Images
Wichtig: Ein Kind sollte einverstanden sein mit der Spange.
Bild: Getty Images
In der Regel sei eine normale Behandlung mit einer Zahnspange bei Kindern und Jugendlichen aus­reichend, um Fehlstellungen zu korrigieren. «Vor allem bei herausnehmbaren Zahnspangen ist es hier wichtig, dass die Mädchen und Jungen verstehen, warum sie das oftmals ungeliebte Gerät tragen sollen und mitarbeiten», sagt Proff.

Claudia Füssler
arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin. Am liebsten schreibt sie über Medizin, Biologie und Psychologie.

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