«Trag die Zahnspange, dann wirst du schöner!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Trag die Zahnspange, dann wirst du schöner!»

Lesedauer: 2 Minuten

Zu ihrer Zahnspange hatte unsere Autorin sieben Jahre lang eine ganz besondere Liebes- und Hassbeziehung. Für Eltern zieht sie aus dieser Zeit eine wichtige Erkenntnis.

Wie haben Sie Ihrem Kind erklärt, warum es eine Zahnspange braucht? Meine Eltern haben mir gesagt, dass ich mit geraden Zähnen schöner aussehen und so den Männern besser gefallen würde.

Ja, ich weiss. Heute rollen sich auch mir bei dieser Erklärung die Zehennägel auf. Aber ich muss meine Eltern in Schutz nehmen: Mein Gebiss war ein furchtbarer Steinbruch – alte und neue Zähne kreuz und quer, ein nach hinten «fliehendes Kinn» und die neuen Zähne waren viel zu gross für meinen Mund. Die Vorher-Nachher-Gipsabdrücke meines Gebisses stehen heute noch in der Glasvitrine im Wartezimmer meines Kieferorthopäden: vorher Steinbruch, hinterher Perlenkette.

Warum sollte ich den Jungs gefallen wollen? Jungs waren eh doof!

Aber das Argument meiner Eltern war nicht nur pädagogisch fragwürdig, es fiel bei der siebenjährigen Bianca komplett durch. Ich fand mich nämlich prima, so wie ich aussah. Das zurückgeschobene Kinn machte mich besonders. Und was kümmerten mich Jungs? An die weiteren Details der Verhandlung erinnere ich mich nur bruchstückhaft. Ich hatte meine Eltern auf später vertrösten wollen, sie argumentierten, dass so eine Zahnspange sehr teuer sei und später die Krankenkassenzuschüsse wegfielen. Ich glaube, letztendlich haben sie die Argumente fallen lassen und beschlossen, dass es eine Spange gibt – fertig! Eltern müssen ja nicht alles erklären.

Es folgten sieben Jahren Tortur mit fester Spange, loser Spange, Gestell um den Kopf, Draht hinter den Zähnen, insgesamt zwölf gezogenen Zähnen, davon vier der Zweitzähne (plus vier Weisheitszähne) und ein durchgeschnittenes Lippenbändchen. Um dem Unheil die Krone aufzusetzen, war mein Kieferorthopäde ein kinderfeindlicher Sadist. Anstatt mir zu sagen, dass ich den Mund weiter aufmachen sollte, bohrte er mir die Daumen ins Kiefergelenk. Probieren Sie das mal aus: Sie schreien «Ahhh» – und der Mund ist weit offen!

Als die Zahnspange entfernt wurde, erschrak ich

Als Jungs mich dann tatsächlich zu interessieren begannen, trug ich einen Gartenhag. Wenn ich meinen Schwarm Manuel anlächelte, blitzte es silbern. Manuel fand das nicht schlimm – schliesslich trugen fast alle Mädchen eine Zahnspange. An dem Tag, als er im Kino meine Hand hielt, platzte ich schier vor Glück.

Eine Woche später wurde der Gartenhag entfernt. Ich erschrak, als ich mich im Spiegel sah. Wer war diese Frau? Ohne die silbernen Nuggets und die Drähte sahen meine Zähne riesig aus. Grosse, weisse Schaufeln. Und ich war schlagartig zwei Jahre gealtert. Das fiel auch Manuel auf: Das scheue Blicke-Zuwerfen in der Mathestunde fand ein jähes Ende. Ich heulte und beschimpfte meine Eltern, wie es nur Teenager tun: «Ich habt mich belogen! Jungs finden mich hässlich!!»

Heute bin ich natürlich froh um mein ebenmässiges Gebiss und weiss, dass meine Eltern nur das Beste für mich wollten. Aber wenn Sie, liebe Eltern, Ihren Kindern die Zahnspange schmackhaft machen wollen, passen Sie besser auf, wie sie argumentieren. Nicht alle Manuels und Manuelas finden gerade Zähne gut. Vielleicht behaupten Sie besser, dass man mit so krummen Zähnen sein Lieblingsessen nicht kauen kann? Oder dass die Zahnfee solche Gebisse ignoriert? Oder sie sagen einfach gleich: «Wir machen das jetzt so – fertig!»

Bild: Fotolia.de


Zur Autorin

Bianca Fritz leitet die Onlineredaktion des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi. Die Zahnspangenerfahrung hat bei ihr eine leichte Zahnarztphobie ausgelöst. Trotzdem trottet sie regelmässig hin und fühlt sich dabei jedes Mal furchtbar tapfer.
Bianca Fritz leitet die Onlineredaktion des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi. Die Zahnspangenerfahrung hat bei ihr eine leichte Zahnarztphobie ausgelöst. Trotzdem trottet sie regelmässig hin und fühlt sich dabei jedes Mal furchtbar tapfer.


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