Foodporn – wenn viele Augen ­mitessen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Foodporn – wenn viele Augen ­mitessen

Lesedauer: 3 Minuten

Nicht nur auf dem Teller, sondern auch in den sozialen Medien soll Essen und Trinken heute eine gute Form machen – und Aufmerksamkeit erregen.

Warte bitte mit dem Essen, ich mache noch ein Foto», heisst es vor beinahe jeder Mahlzeit. Nachdem dann das gefühlt zehnte Foto passt, wird es noch bearbeitet und mit Hashtags versehen. Essen oder besser gesagt Ernährung hat an Bedeutung gewonnen. Es geht nicht mehr nur darum, dass es mir selbst und meiner Familie schmeckt und die Menüs abwechslungsreich und ausgewogen gewählt sind. Was auf dem Teller landet, sollte zudem hübsch aussehen, gesund sein – was auch immer das heisst – und wenn immer möglich textlich und bildlich etwas hermachen. Denn je mehr eigene Erfahrungen und Emotionen verbildlicht oder in Text gefasst werden, desto besser sind die Chancen, dass es vielen Menschen gefällt und der Online-Freundeskreis, sprich die Followerzahl, sich vergrössert.

Ernährungsberatung unter Laien

Die sozialen Medien sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken. Bereits Kinder und natürlich Jugendliche tummeln sich in den Netzwerken und tauschen sich über verschiedenste Themen aus. Die Tochter findet schnell eine Antwort auf ihre Fragen rund um das Thema «intuitives Essen», während der Sohn sich Videos über den Alltag eines Veganers ansieht.

Der Austausch über gesunde Ernährung beziehungsweise über Ernährungstrends findet meist unter Laien statt, welche von ihren persönlichen Erfahrungen berichten. In den Augen des jüngeren Publikums zählen persönliche, ehrliche Meinungen mehr als Expertenmeinungen oder wissenschaftsbasierte Aussagen. Dabei kann es vorkommen, dass Aussagen über gesunde Ernährung eher rigide werden und einige Zutaten wie Zucker, Fleisch, Milch ganz gestrichen werden. Die Gefahr besteht, dass eigene Wahrheiten entwickelt werden und die Ernährung nicht mehr intuitiv gestaltet, sondern durch Empfehlungen von Influencern gesteuert wird. Nur weil der Influencer X eine milchfreie und zuckerfreie Ernährung als die richtige Ernährungsform betrachtet, heisst das aber nicht, dass sie auch für einen selbst richtig ist.
 
Themen rund um Übergewicht und Abnehmen werden meist über eigene Erfahrungen angesprochen. Der Weg zum Traumgewicht wird oft haargenau, mit allen schönen und weniger schönen Details, dargelegt. Mit Erfolgen, Rückschlägen und Hürden im Alltag. 

Bloggen als Therapie

Der positive Zuspruch von Followern kann gerade in schwierigen Phasen enorm wertvoll sein und Betroffene stark unterstützen. ­Diese berichten davon, dass Online-Freundschaften sehr wichtig seien, manchmal fast wichtiger als echte, reale Freunde. Es sei einfacher, sich via Social Media zu offenbaren. Daher wird oft mehr und genauer erzählt, entsprechend grösser ist das Feedback. 
Es wird sogar berichtet, dass zwischen Bloggern und Followern ein therapeutisches Verhältnis entstehen könne – ganz ohne persönlichen Kontakt. Auch Menschen mit Essstörungen unterstützen sich gegenseitig via soziale Medien auf dem Weg in ein gesünderes Essverhalten. Doch leider gibt es auch Gruppierungen, die den Erhalt der Essstörung als Ziel haben und alles daran setzen, dass diese bestehen bleibt.

Die sozialen Medien geben Fachpersonen eine optimale Plattform, viele Menschen zu erreichen, völlig unabhängig von Tageszeit und Standort. Experten haben die Möglichkeit, die von ihnen als gut empfundenen Blogs und Kanäle vorzustellen und zu empfehlen und gleichzeitig in der weiten sozialen Medienwelt Sicherheit zu vermitteln. Die empfohlenen Blogs von Betroffenen beziehungsweise Laien können die Glaubwürdigkeit optimal unterstützen und das Ganze nahbarer und dadurch auch interessanter für die «Zuschauer» machen. Diese Mischung ist in einigen Bereichen auf einem guten Weg, aber noch ausbaufähig. Die Experten hinken den Laien in Sachen Präsenz im Netz etwas hinterher.

Das persönliche Ernährungsverhalten wird von zahlreichen Faktoren geprägt. In erster Linie sind da familiäre Bedingungen, die enorm wichtig und prägend sind. Später dann ist es das Umfeld, einschliesslich der sozialen Medien. Es kann gut sein, dass Ihr Sohn oder Ihre Tochter verschiedene Ernährungstrends ausprobieren möchte, mal extreme, mal weniger extreme. ­Diese müssen Sie nicht alle gut finden oder unterstützen. Trotzdem ist es wichtig, zu wissen, dass dieses Ausprobieren völlig normal ist und zur Selbstfindung gehört. Fragen Sie bei Ihrem Kind nach, wer oder was aktuell gerade spannend ist, und versuchen Sie, so gut es geht, über die Aktivitäten auf Social Media im ­Bilde zu sein. 
Übrigens: Es gibt viele Videos, in denen gezeigt wird, wie schöne Food-Fotografie entsteht. Schauen Sie diese bei Interesse zusammen mit Ihren Kindern an und werden Sie gemeinsam mit Ihrer Familie zu Hobby-Food-Stylisten und -Fotografen. Ich verspreche Ihnen, die Suchtgefahr ist programmiert. Und wer weiss, vielleicht teilen Sie es bald auch mit der ganzen Welt. Oder behalten es für sich und Ihre Familie.

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Ernährung im Netz

Laut Forschungsergebnissen können die Ernährungsthemen, welche am meisten via soziale Medien publiziert werden, in folgende Gruppen unterteilt werden: 

  • Kommunikation zu gesunder Ernährung: Ernährungstrends wie Veganismus, Paleo-Diät oder Low Carb werden vorgelebt
  • Themen rund um Übergewicht und Abnehmen: Diäten, Ernährungsformen, Erfahrungsberichte, Erfolge und Misserfolge
  • Essstörungen: Erfahrungsberichte, ­Therapiekonzepte, Alltagserlebnisse, Erfolge und Misserfolge
  • Nachhaltige Ernährung: Klimaneutrale Ernährung, weniger Fleisch, weniger ­tierische Produkte, weniger Konsum im Allgemeinen
  • Foodie-Bewegung: Schöne, ästhetische Fotos aus der ganzen Welt rund ums Essen, hier steht der Genuss im Vordergrund

Zur Autorin:

Vera Kessens ist BSc ErnährungsberaterinSVDE bei Betty Bossi AG.
Vera Kessens ist BSc Ernährungsberaterin
SVDE bei Betty Bossi AG.