Wir haben uns mit der Gamesucht ins Aus gespielt …
Bilder: Christian Aeberhard / 13 Photo
Benjamin Marbach und Gabriel Bernet* haben als Jugendliche gegamt, bis sie keine Freunde mehr hatten und nicht mehr aus dem Haus wollten. Heute sind sie erwachsen und machen eine Therapie in einer psychiatrischen Klinik in Basel. Mit uns haben sie über ihre Gamesucht gesprochen.
(*Namen geändert)
Gabriel Bernetist 23 Jahre alt. Er ist seit fünf Jahren in Therapie. Auch bei ihm hat sich das Computerspielen zur Sucht entwickelt. Zu einer Sucht, die ihn völlig in Beschlag nimmt, wenn er ihr den Platz lässt. Seine Teenagerjahre hin durch ist Gabriel stundenlang vor dem Computer gesessen, tagtäglich. «Früher war ich auch noch oft mit Freunden unterwegs», erzählt er. «Das hat sich nach und nach geändert, bis ich die Freunde sogar angelogen und Ausreden gesucht habe, wenn sie mich gefragt haben, ob ich rauskomme.»
«Gaming Disorder» – Ein junges Phänomen
Damit diese Diagnose gestellt werden kann, muss dieses Verhalten das gesellschaftliche Funktionieren des Betroffenen während mindestens einem Jahr stark beeinträchtigen, im familiären Kontext, im Unterricht, im Beruf- oder im Sozialleben. Bei Jugendlichen ist es oft die schulische Leistungsfähigkeit, die als Erstes merklich leidet.
Ein Fünftel von den 12-19 Jährigen gamen täglich.
Ergebnisse aus der JAMES-Studie
Besonders suchtanfällig sind Jugendliche, die in einer Krise stecken oder die mit einer persönlichen Schwäche zu kämpfen haben. Die psychiatrischen Institutionen reagieren auf die neue Diagnose: In Basel wurde im Juli dieses Jahres die Station für Verhaltenssüchte ins Leben gerufen, die auch für Gamesüchte zuständig ist.
Ab wann wird das Hobby zur Gefahr?
«Spielen verbraucht einfach unglaublich viel Zeit», sagt er. «Und in dieser Zeit verpasst man Dinge, die man eigentlich als Jugendlicher lernen müsste. Die kann man dann nicht.» Dafür müsse man die Eltern sensibilisieren, meint er. «Sie müssen wissen, dass Jugendliche eine richtige Sucht entwickeln können. Eine Sucht genau wie beim Alkohol. Mit der muss man ein Leben lang umgehen.»
Für Gabriel Bernet wird es mit 17 so richtig schlimm. Er ist Schüler an der Berufsmaturitätsschule und interessiert sich für ein Mädchen, ein Schulkollege auch. Der Rivale macht Gabriel Angst, er droht ihm. Gabriel geht nicht mehr zur Schule, er hat zu viel Angst. Nach zwei Wochen unentschuldigter Absenz fliegt er von der Schule.
Gabriel bleibt zu Hause und spielt Computer, vom Aufstehen bis zum Einschlafen. «27 Stunden am Tag», sagt Gabriel und lacht. Natürlich haben seine Eltern mit ihm gesprochen. «Geh mehr raus», sagten sie ihm, «deine Augen gehen doch kaputt.» Nur: Draussen kann er genauso gut gamen, auf dem Handy.
Als sein Vater ihm vorschlägt, eine Therapie zu machen, willigt er ein. Dort lernt er viel darüber, wie die Sucht funktioniert. Und wie er anders damit umgehen könnte, wenn das Spielen ihn wieder zu vereinnahmen droht. «Wenn mir mein Vater damals nicht geholfen hätte, wäre ich wohl heute noch vor dem Bildschirm verloren», sagt er.
«League of Legends» heisst das Spiel, das ihn damals hauptsächlich beschäftigte. Noch heute bekommt er per Mail jede Veränderung am Spiel mit: Wenn ein Held «gebufft» wird, also bessere Skills bekommt, oder wenn neue Items, sprich Gegenstände, ins Spiel kommen. Gabriel sagt: «Das finde ich immer noch sehr spannend. Es fällt mir schwer, das abzustellen.» Aber das ist sein Ziel, deshalb ist er auf der Station für Verhaltenssüchte der UPK. Schon seit zwei Monaten, Vollzeit, weil er einen Rückfall hatte. «Da habe ich meiner Therapeutin gesagt: Das muss sich ändern. Nun bin ich hier.»
Wie funktioniert die Therapie in der UPK?
Die Patienten verbringen rund zwei oder drei Monate auf der Station. Nach dieser Zeit ist die Arbeit aber noch nicht erledigt. «Das ist in der Regel eher ein Boost, um mit der Arbeit anzufangen. Danach empfehlen wir den Patienten, ein Anschlussangebot wahrzunehmen», sagt Renanto Poespodihardjo. Dies könne zum Beispiel eine ambulante Therapie ausserhalb der Station für Verhaltenssüchte sein, die auch neben der Arbeit stattfinden kann.
Der Einstieg ins Berufsleben gestaltet sich schwierig
Die Station für Verhaltenssüchte ist zwar für Erwachsene eingerichtet, aber auch Jugendliche finden hier einen Ansprechpartner. «Wir arbeiten eng mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammen», sagt Renanto Poespodihardjo. «Wenn wir gemeinsam zum Schluss kommen, dass die Onlinesucht im Vordergrund steht, kann ein Patient auch schon mit 17 oder auch mal mit 16 zu uns wechseln.»
Manchmal entwickelt das Verhalten erst in späteren Jahren einen akuten Leidensdruck bei Patienten. Erst wenn es an die Jobsuche und ans Überleben als junger Erwachsener geht, wird die Gamesucht zum echten Stolperstein. Die Vorläufer davon entstehen jedoch meistens schon in der frühen Jugend.
«Plötzliche Defizite im schulischen Bereich können Anzeichen für eine mögliche Gamesucht sein.»
Renato Poespodihardjo, psychologischer Leiter der neuen Station für Verhaltenssüchte in der UPK Basel
Andere Anzeichen sind etwa, wenn Jugendliche anfangen, ihre Eltern über ihren Gamekonsum anzulügen. Oder wenn sie die abgemachten Computerzeiten nicht einhalten können und beispielsweise anfangen, die halbe Nacht durchzuspielen. Immer läuft es darauf hinaus, dass das Gamen mehr und mehr zum Lebensmittelpunkt des Teenagers wird.
Das Glücksgefühl führt in den Teufelskreis…
Das Gehirn schüttet bei einer positiven Erfahrung – im Falle der Gamesucht beispielsweise beim Erreichen eines höheren Levels – den Botenstoff Dopamin aus. Dopamin ist ein Lernsignal, welches das Verhalten positiv verstärkt, der Spieler erlebt ein Glücksgefühl, das er mit dem Gamen verbindet und das er wieder erleben möchte.
Gleichzeitig kann das Spielen auch zur Strategie werden, um negative Gefühle besser auszuhalten oder soziale Beziehungen im geschützten Rahmen der virtuellen Welt zu erleben. Daraus kann ein Teufelskreis entstehen: Jedes Mal, wenn sich der Süchtige vor den Computer setzt und positive Erfahrungen macht, wird die Sucht verstärkt.
«Natürlich ist die Behandlung der Gamesucht ganz und gar nicht dieselbe wie bei anderen Verhaltenssüchten», sagt Poespodihardjo. «Es braucht eine Spezialisierung der Therapeuten, damit sie verstehen, was alles dahinterstecken kann.» Denn Gamesüchtige sind nicht alle gleich. Es gibt Computerspiele, bei denen sich die Spieler online organisieren wie in einem Verein. Und andere, bei denen sie alleine gegen die ganze Welt kämpfen.
Wie ein Alkoholiker in der Beiz …
Es ist wie eine Überlebensstrategie, die sich verselbständigt hat: Statt Freude und Aufgabe bedeutet das Gamen heute nur noch einen Ausweg aus der Verantwortung. Benjamin leidet darunter. «Und gleichzeitig würde ich natürlich gerne spielen. Das werde ich immer wollen.» Deshalb ist es ja auch so schwierig. Denn er darf nicht mehr. Sonst ist er wieder mittendrin in der Sucht. «Wenn ich hier wieder rauskomme, bin ich wie ein Alkoholiker in der Beiz: Jedes Mal, wenn ich am Computer sitze, habe ich die Möglichkeit, zu spielen.»
Gabriel Bernet sagt, er wolle nicht ganz auf das Spielen verzichten. Auch wenn er wisse: «Die Sucht, die geht nie mehr weg.»
Hier finden Betroffene Hilfe
- Safezone.ch: bietet hilfesuchenden Eltern und Jugendlichen einen leichten Einstieg in eine Beratung: per Mail, in Foren oder einer Sprechstunde. Zudem gibt es auf der Plattform Selbsttests, die dabei helfen können, die Lage besser einzuschätzen. Es gibt auch viele Informationen zu verschiedenen Suchtformen, unter anderem zur Game- oder Onlinesucht.
- Kantonale Suchtberatungsstellen: Fast jeder Kanton bietet mindestens eine Suchtberatungsstelle an. Das kann für betroffene Familien die erste Anlaufstelle sein. Hier arbeiten geschulte Suchtberaterinnen und -berater, die auch weitere Anlaufstellen aufzeigen können. Eine Übersicht über die Beratungsstellen gibt es hier: www.safezone.ch/suchtindex.htmlwww.sos-spielsucht.ch/de/kantone
- suchtschweiz.ch: Dieses Portal bietet eine sehr umfassende Informations- und Anlaufstelle für Eltern: Auf suchtschweiz.ch gibt es viele Informationen zur aktuellen Forschungslage, weiterführende Informationen zu Hilfsstellen und Selbsttests zu Online- und Gamesucht.
- feel-ok.ch: Feel-ok informiert Eltern und Jugendliche über eine ganze Reihe von Themen, darunter Game- und Onlinesucht. Unter anderem findet man eine Checkliste von Warnsignalen für die Entwicklung einer Sucht.
- spielsucht-radix.ch: Das Zentrum für Spielsüchte und andere Verhaltenssüchte bietet Beratung für betroffene Jugendliche und deren Eltern an.
- Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel: Das neu gegründete Zentrum für Verhaltenssüchte bietet intensive stationäre Behandlung für Patienten mit einer Game- oder Onlinesucht, bei denen eine ambulante Behandlung nicht ausreicht.
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