05. April 2018
Unter die Haut – Protokoll eines Alptraums
Text: Sophie-Theres Guggenberger
Bilder: privat
Bilder: privat
Lesedauer: 10 Minuten
Eine Teekanne zerplatzt, kochend heisses Wasser ergiesst sich über den einjährigen Nelson. Der Bub wird mit schweren Brandverletzungen in die Klinik eingeliefert. «Seit diesem Moment ist nichts mehr, wie es war», sagt seine Mutter. Hier erzählt sie Nelsons Geschichte.
Das war einer dieser Momente, dieser kurze Augenblick, ein Wimpernschlag, der ein Leben komplett verändert. In eine andere Richtung lenkt. Grosse Ereignisse, positive wie negative, kündigen sich niemals lange zuvor an. Sie passieren. Von jetzt auf gleich. Es geschah kurz vor Weihnachten, am 17. Dezember 2016. Die engste Familie war schon angereist und freute sich, endlich wieder beisammen zu sein und mit dem jungen Nachwuchs gemeinsam Zeit zu verbringen. Draussen wurde gegrillt, drinnen geplaudert, gespielt – und Tee gekocht. Alles ganz normal, wie schon unzählige Male zuvor auch. Der Wasserkocher brodelte und der Tee wurde frisch aufgegossen. Plötzlich platzte die Teekaraffe und zersprang in zwei Teile.
17. Dezember 2016, am Tag des Unfalls: Nelson in der Klinik.
Das kochend heisse Wasser sprudelte wie ein Wasserfall aus dem Gefäss und ergoss sich auf den Boden. Schon winzige Tröpfchen verursachten unangenehme Schmerzen. Ich springe instinktiv zur Seite und erblicke dabei im Augenwinkel meinen kleinen Sohn Nelson, gerade ein Jahr alt geworden. Er steht da auf dem Fussboden, regungslos. Um ihn herum eine Pfütze. Ehe ich registriere, was da gerade passiert ist, nehme ich ihn sofort hoch auf den Arm. Und erst als er sich mit der Hand Hals und Gesicht reibt, lässt sich erahnen, was hier gerade geschehen ist. Die Haut reibt sich ab wie weiche Butter. Das rohe, helle Fleisch wird sichtbar. Sofort wird die durchnässte Kleidung ausgezogen und mit Wasser gekühlt. Parallel der Notruf gewählt.
Ist alles nur ein fürchterlicher Traum?
Notärzte und Rettungswagen treffen innerhalb weniger Minuten ein, versorgen die grossflächigen Verbrennungen und bereiten alles für den Abtransport ins nahegelegene Unfallklinikum Berlin (UKB) vor, eine der besten und fortschrittlichsten Kliniken in Europa bei schweren Brandverletzungen. Die Fahrt im Rettungswagen scheint endlos. Draussen ist es dunkel, die Landschaft, die Bäume und Häuser ziehen an einem vorbei. Was ist hier gerade passiert? Und wie konnte das geschehen? Oder ist alles nur ein fürchterlicher Traum? Der Blick senkt sich wieder zum eigenen Kind, das da neben einem auf der Trage liegt. Mit geschlossenen Augen, an Schläuchen festgemacht, eingehüllt in Decken und eine goldgelbe Wärmefolie. Nelson bekommt von all dem nichts mehr mit. Die Schmerzmittel fliessen in seine Venen. Die Versorgung in der Unfallklinik dauert und dauert.
«Sofort nehme ich Nelson auf den Arm. Seine Haut reibt sich ab wie weiche Butter. Das rohe, helle Fleisch wird sichtbar. Ich wähle den Notruf.»
Minuten kommen mir vor wie Stunden. Nelson müssen wir mit den Ärzten alleine lassen – sicher auch zu unserem eigenen Schutz. Nach rund zwei Stunden hat das Warten ein Ende, Nelson wird mir schlafend in die Arme gelegt, regungslos wie eine Mumie liegt er da. An die ersten Nächte erinnere ich mich heute kaum noch. Sie waren schlaflos, das ist das Einzige, was ich noch weiss. Wir standen unter Schock. Dachten und lebten nur vom einen Moment zum nächsten. Von einem Verbandswechsel unter Narkose bis zum nächsten. Schritt für Schritt. Weiter kommt man nicht zum Nachdenken. Anfangs konnte uns noch niemand genau sagen, wie es weitergeht. All die quälenden Fragen blieben zunächst unbeantwortet. In einer solchen Schwebephase ist die sofortige psychologische und seelsorgerische Unterstützung sehr wichtig. Als betroffene Eltern hat man jetzt zahlreiche Fragen. Ein persönliches Gespräch hilft, über Sorgen und Ängste zu reden, Trost zu finden, neuen Mut zu fassen und erste Ungewissheiten zu klären.
Häufigste Unfallursache: Verbrühung
Ausser Nelson sind noch fünf weitere Kleinkinder auf der Station für Schwerverbrannte, ansonsten nur Erwachsene. Die Kinder haben alle sehr ähnliche Verletzungen und sind zwischen ein und vier Jahren alt. «Bei uns werden im Jahr durchschnittlich 120 brandverletzte Kinder behandelt», sagt Bernd Hartmann, Chefarzt des Zentrums für Schwerbrandverletzte mit plastischer Chirurgie am Unfallkrankenhaus Berlin. «Bei Ein- bis Vierjährigen ist die häufigste Unfallursache die Verbrühung, oft verursacht durch heruntergezogene Töpfe, Wasserkocher oder sonstige Gefässe, durch kaputte Wärmeflaschen oder zu heisse Kirschkernkissen», so Hartmann weiter.
Heisse Flüssigkeiten könnenbereits ab einer Temperaturvon 52 Grad die Haut einesMenschen schädigen.
Betroffen seien meistens Brust, Schultergürtel und das Gesicht. «Verbrühungen kommen das ganze Jahr über vor, allerdings wird in der kalten Jahreszeit mehr Heisses getrunken, so dass die Wahrscheinlichkeit von Verbrühungen in den Wintermonaten steigt», sagt Bernd Hartmann. Auch Kontaktverbrennungen an heissen Flächen sind in der kalten Jahreszeit häufiger, da beispielsweise die Kaminöfen in dieser Zeit mehr in Benutzung sind. Und natürlich sind auch die traditionellen Kerzen in der Adventszeit eine Gefahrenquelle – «man muss also immer aufmerksam sein und zuerst an die Kindersicherheit denken», bekräftigt Hartmann.
Heisse Flüssigkeiten können bereits ab einer Temperatur von 52 Grad Celsius die Haut eines Menschen schädigen. Je nach Tiefe der Verletzung spricht man von Verbrennungen ersten, zweiten oder dritten Grades – der dritte Grad ist der schwerste. «Bei schweren, komplizierten Verbrennungsunfällen greift eine operative Therapie und die Kinder müssen rund drei Wochen bei uns stationär behandelt werden, in leichteren Fällen nur eine gute Woche», so Chefarzt Bernd Hartmann. Bei Nelson sind die Verbrennungen an Hals, Schulter, Brust, Bauch und an den Armen, der Schweregrad liegt bei 2b bis 3. Haut vom Kopf soll auf die betroffenen Stellen transplantiert werden. Wir planen rund drei Wochen Klinikaufenthalt ein, mit kurzen Unterbrechungen an Weihnachten und Neujahr.
Ein Jahr nach dem Unfall feiert Nelson seinen 2. Geburtstag.
Neben den Verbrühungen kommen beim Kleinkind das ganze Jahr über häufig auch Kontaktverbrennungen durch Bügeleisen, Herdplatten oder heisse Lampen vor. Feuer, Strom und Säure sind weitere grosse Gefahrenquellen. Auf der Webite von Burncare, einer deutschen Praxis, die auf brandverletzte spezialisiert ist, heisst es: «Fast alle kindlichen Verbrennungen werden durch Unachtsamkeit verursacht, meist am Wochenende.» Natürlich ist Achtsamkeit im Alltag das Allerwichtigste, vor allem wenn man Kleinkinder zu Hause hat. Unfälle passieren, dafür kann niemand etwas. Auch Bernd Hartmann warnt vor Schuldzuweisungen. Die Eltern eines brandverletzten Kindes würden selber am meisten leiden und am liebsten alles auf sich nehmen. Nichts ist schwerer zu ertragen als ein Schicksal ohne Grund.
Gedanklich geht man alles wieder und wieder durch
Auch in unserem Fall hätte man nichts anders machen können. Das ist, wie vom Blitz getroffen zu werden. Natürlich fragt sich trotzdem jeder von uns, wie der Unfall hätte verhindert werden können. Gedanklich geht man alles wieder und wieder durch. Doch es ist, wie es ist. Weihnachten und der Jahreswechsel ziehen an uns vorbei. Das wichtigste Datum für uns ist der 2. Januar, der Tag, an dem Nelsons grosse Transplantation geplant ist.
Schuldzuweisungen bringen nichts. Die Eltern eines brandverletzten Kindes würden alles tun, um den Unfall ungeschehen zu machen.
Spalthaut soll von seinem Kopf entnommen und gemeshed werden, also maschenartig eingeschnitten, so dass sie an Oberfläche gewinnt, damit sie anschliessend bestmöglich auf die betroffenen Stellen transplantiert werden kann. «Spalthauttransplantate enthalten in der Regel nur die Oberhaut und sind dünner als Vollhauttransplantate. Der Vorteil: Die durch die Entnahme entstandenen Wundflächen verheilen innerhalb von nur zwei bis drei Wochen wieder komplett, und das Spendeareal könnte sogar mehrmals verwendet werden», erklärt Bernd Hartmann.
In den besten Händen
Protokollartig hielt ich damals die Zeit um die grosse Transplantationsoperation fest:
1. Januar: Wir sind positiv gestimmt und freuen uns jetzt auf morgen früh, wenn es endlich losgeht bei Nelson. Die Transplantation ist ja ein weiterer grosser Schritt in Richtung Heilung. Und wir wissen, in den besten Händen zu sein – gemeinsam mit unserer Familie, engen Freunden und den Ärzten schaffen wir das alles. Morgen müssen wir um 7.45 Uhr wieder in der Klinik sein, die Operation soll rund drei Stunden dauern.
2. Januar: Nach über vier Stunden können wir Nelson aus dem Aufwachraum abholen. Er hat die Operation und die Narkose gut überstanden. Das erste Feedback des operierenden Oberarztes zum Verlauf der OP ist positiv. Am Freitag wird zum ersten Mal der Verband gewechselt, und erst dann lässt sich sagen, ob die Transplantate anwachsen und wie der weitere Verlauf sein wird. Wir sind erst einmal froh, dass er wieder bei uns ist.
6. Januar: Gute Nachrichten: Nelsons Transplantate sind so gut angewachsen, dass wir schon am Nachmittag nach Hause dürfen. Eigentlich waren ja rund zehn Tage Klinikaufenthalt geplant. Wir sind so glücklich, endlich zu Hause zu sein. Am Dienstagmorgen müssen wir wieder in die Klinik zum Verbandswechsel und zur Kontrolle. Aber alles entwickelt sich sehr gut. Die letzten drei Wochen waren eine harte Prüfung, und wir sind unendlich dankbar, dass wir es bis hierhin gut geschafft haben – alle gemeinsam.
11. Januar: Heute darf Nelson seinen Verband endgültig ablegen. Nach 26 Tagen, was für ein Moment. Für uns wird heute zum ersten Mal das ganze Ausmass der Verletzungen sichtbar. Die Ärztin, die auch die meisten Behandlungen und Verbandswechsel begleitet hat, befreit Nelson von seinen engen Wundverbänden und ist mit dem Heilungsverlauf sehr zufrieden.
Über drei Wochen nach dem Unfall sind die Transplantate gut angewachsen und die restlichen Wunden schon recht ordentlich verheilt. Im Laufe des Tages lösen sich fast alle Krusten wie von selbst, und die junge Haut beginnt, sich an die normalen Bedingungen zu gewöhnen. Auch das erste Mal Baden nach über drei Wochen klappt prima. Glücklicherweise hält sich der Juckreiz in Grenzen.
1. Januar: Wir sind positiv gestimmt und freuen uns jetzt auf morgen früh, wenn es endlich losgeht bei Nelson. Die Transplantation ist ja ein weiterer grosser Schritt in Richtung Heilung. Und wir wissen, in den besten Händen zu sein – gemeinsam mit unserer Familie, engen Freunden und den Ärzten schaffen wir das alles. Morgen müssen wir um 7.45 Uhr wieder in der Klinik sein, die Operation soll rund drei Stunden dauern.
2. Januar: Nach über vier Stunden können wir Nelson aus dem Aufwachraum abholen. Er hat die Operation und die Narkose gut überstanden. Das erste Feedback des operierenden Oberarztes zum Verlauf der OP ist positiv. Am Freitag wird zum ersten Mal der Verband gewechselt, und erst dann lässt sich sagen, ob die Transplantate anwachsen und wie der weitere Verlauf sein wird. Wir sind erst einmal froh, dass er wieder bei uns ist.
6. Januar: Gute Nachrichten: Nelsons Transplantate sind so gut angewachsen, dass wir schon am Nachmittag nach Hause dürfen. Eigentlich waren ja rund zehn Tage Klinikaufenthalt geplant. Wir sind so glücklich, endlich zu Hause zu sein. Am Dienstagmorgen müssen wir wieder in die Klinik zum Verbandswechsel und zur Kontrolle. Aber alles entwickelt sich sehr gut. Die letzten drei Wochen waren eine harte Prüfung, und wir sind unendlich dankbar, dass wir es bis hierhin gut geschafft haben – alle gemeinsam.
11. Januar: Heute darf Nelson seinen Verband endgültig ablegen. Nach 26 Tagen, was für ein Moment. Für uns wird heute zum ersten Mal das ganze Ausmass der Verletzungen sichtbar. Die Ärztin, die auch die meisten Behandlungen und Verbandswechsel begleitet hat, befreit Nelson von seinen engen Wundverbänden und ist mit dem Heilungsverlauf sehr zufrieden.
Über drei Wochen nach dem Unfall sind die Transplantate gut angewachsen und die restlichen Wunden schon recht ordentlich verheilt. Im Laufe des Tages lösen sich fast alle Krusten wie von selbst, und die junge Haut beginnt, sich an die normalen Bedingungen zu gewöhnen. Auch das erste Mal Baden nach über drei Wochen klappt prima. Glücklicherweise hält sich der Juckreiz in Grenzen.
Das «Jedijäckchen» wird zur zweiten Haut
Heute wird Nelson zudem präzise vermessen, damit die Kompressionskleidung massgeschneidert werden kann. Ja, Nelson geht es gut; und wir freuen uns, dass sich alles so positiv entwickelt. Doch der ungewohnte Anblick tut in Herz und Seele weh. Die tiefen Spuren des Unfalls am gesamten Körper, der Kopf kahlrasiert, die linke Kopfhälfte noch auffällig gerötet und stellenweise verkrustet, dort, wo Spalthaut für die Transplantate entnommen wurde. Nelson wirkt reifer und älter, als habe er mit seinem Verband auch einen Teil seiner Unbeschwertheit abgelegt.
Warten auf die Transplantation: Nelson verbringt Weihnachten mit
seiner Familie in der Unfallklinik.
seiner Familie in der Unfallklinik.
20. Januar: Ein dünnes, extrem enges langärmeliges Hemdchen und eine grosse Halskrause muss Nelson jetzt rund zwei Jahre rund um die Uhr tragen, so verlangt es die Kompressionstherapie. Seine «Zauberrolle » und sein «Jedijäckchen», beides gehört jetzt zu ihm, sie sind zu seiner zweiten Haut geworden. Er macht alles so toll mit. Gewiss hilft es, dass er noch so jung ist; und später wird er sich nicht mehr daran erinnern. Nelson ist fröhlich, wissbegierig und generell sehr weit fortgeschritten in seiner Entwicklung. Er liebt es, wieder in die Kita zu gehen. Ja, der Unfall hat bei ihm (scheinbar) keinerlei seelische oder sonstige körperliche Spuren hinterlassen. Was für ein Glück!
Die Behandlung der Brandnarben
Nach dieser anfänglichen Akutphase beginnt die Langzeitbehandlung: die intensive Nachsorge mit Kompressionstherapie, und zwar so früh wie möglich, also bereits in der Heilungsphase. In den Leitlinien der Verbrennungsbehandlung hat sie ihren festen Platz. Innerhalb der ersten 18 bis 24 Monate laufen in der Verbrennungsnarbe noch Veränderungen ab. Häufig kommt es zu überschüssigen Bindegewebsbildungen. Der ständige Druck durch die Kompressionskleidung verhindert in dieser Zeit das Wuchern und Hartwerden der Brandnarbe. Auch der Juckreiz, unter dem Brandverletzte stark leiden, wird durch den permanenten Druck vermindert.
Nelson wirkt reifer und älter – als habe er mit dem Verband auch seine Unbeschwertheit abgelegt.
Die meisten Patienten dürfen die Klinik schon bald wieder verlassen, da die empfindliche Haut durch die Kompressionsbekleidung geschützt ist. Die nach Mass individuell angefertigte Kleidung besteht aus einem quer und längs dehnbaren Gummigewebe, das sehr dünn und luftdurchlässig ist. Sie muss in der Regel zwei Jahre lang Tag und Nacht getragen werden – auch beim Spielen und Schwimmen. Kompressionsfreie Zeit ist lediglich morgens, wenn die Narben eingecremt und massiert werden, und beim Duschen oder Baden.
Für jede Verbrennung die entsprechende Kompressionsbekleidung
Durch den ständigen Druck wird die Haut in der Vernarbungszeit glatt, weich und geschmeidig. «Nur eine rechtzeitige und konsequente Kompressionsbehandlung der Narben kann Funktion und Aussehen nachhaltig verbessern und allfällige spätere Korrekturoperationen umgehen», weiss Gertrud Krenzer-Scheidemantel, Kompressionstherapeutin aus Würzburg und Betreiberin der Praxis Burncare. Sie gilt als Koryphäe auf diesem Gebiet – vor allem für Kinder. Wir hatten sie auf Empfehlung von Freunden konsultiert – was für ein Glück.
6. Januar 2017: Vier Tage nach der Transplantation darf Nelson nach Hause.
Für jede Verbrennung gibt es die entsprechende Kompressionsbekleidung. So gibt es beispielsweise Ganzkörperanzüge, Jacken, Hosen, Handschuhe, Strümpfe, Halsrollen, auch «Paulinchen»-Rollen genannt, Kinnschlingen und Gesichtsmasken in verschiedenen Variationen. Nelson hat für seine Narbe am Hals einiges ausprobiert, am Ende war es die Paulinchen-Halsrolle, die ihren Zweck optimal erfüllte, eine Entwicklung von Gertrud Krenzer-Scheidemantel. Nelson bekommt eine Wechselgarnitur, alle 24 Stunden muss seine Kompressionskleidung behutsam gewaschen werden. Ohne eine spezielle Anziehhilfe wäre es unmöglich, die hautenge Kleidung anzubekommen. Alle Eltern können sicher nachvollziehen, wie schwierig es manchmal schon ist, kleinen Kindern überhaupt irgendetwas anzuziehen. Und wenn es dann noch so hauteng ist …
Hier müssen Eltern erfinderisch sein – und vor allem durchhalten. Auch wenn das Elternherz dabei sicher immer wieder einmal schmerzt. Es lohnt sich für das ganze Leben. Bei Kindern wird alle zwei bis drei Monate kontrolliert, ob die Kleidung noch passt und ausreichend Druck ausübt, da sich die Kleinen ja noch in der Wachstumsphase befinden. So trägt Nelson momentan schon seine achte Garnitur. Was gerade in den ersten Wochen und Monaten sehr schwer zu ertragen ist, sind die teils mitleidigen, teils vorwurfsvollen Blicke der anderen.
Die wildfremden Menschen, die einen neugierig ansprechen. Und auch nachdem bestätigt wurde, ja, der Kleine habe einen Unfall gehabt, jetzt sei aber alles wieder gut, hindert das die Wissbegierigen nicht daran, weiter und weiter nachzufragen. Es ist ein sehr persönlicher, schmerzlicher Schicksalsschlag, den man nicht so nebenbei während einer Spielplatzplauderei ausführen und schon gar nicht mit Fremden teilen möchte. Doch leider scheint es manchen Menschen da an Empathie zu fehlen. Hingegen tut der Austausch mit Familien, die Ähnliches erleben mussten, sehr gut. Die Gespräche geben Zuversicht und etwas mehr Sicherheit. Sie sind wie ein Rettungsanker in einem tosenden Gefühlswirrwarr. Denn was alle hier eint, ist der Umgang mit einem schweren gemeinsamen Schicksal.
Ironie des Schicksals
Vor sieben Jahren schrieb ich eine Reportage über den Einlieferungsweg eines brandverletzten Menschen ins Unfallklinikum Berlin – vom Moment, wenn er mit dem Krankenwagen oder Hubschrauber angeliefert und über Aufzug und Gänge in den speziell temperierten Schockraum transportiert wird. Was für eine Ironie des Schicksals, denke ich heute rückblickend. Damals hätte ich mir niemals vorstellen können, dass auch ich einmal diesen Weg gehen müsste. Viel schlimmer noch – als Begleitung meines eigenen Kindes.
Nelson heute: Unter seinem Pullover trägt er spezielle Kompressionsbekleidung.
Nur ganz allmählich verblassen die Schreckensbilder, wie die Narben an Nelsons Körper. Verschwinden werden sie nie, sie werden immer sichtbar sein, eingebrannt in Körper und Seele. Auch die Zeit heilt manchmal nicht alle Wunden. Doch ein solcher Schicksalsschlag relativiert vieles, man besinnt sich wieder auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Situationen, die in der Vergangenheit belastend waren, bekommen eine viel geringere Bedeutung. Als wir so lange mit Nelson im Krankenhaus waren, haben wir uns nur nach dem Tag gesehnt, an dem alles wieder gut ist.
«Die schwerste Zeit liegt hinter uns. So ein Schicksalsschlag relativiert vieles», sagt Nelsons Mama und Autorin Sophie-Theres Guggenberger. «Wir fühlen Demut und Dankbarkeit».
Wir alle gemeinsam zu Hause sind, Nelson irgendwo fröhlich spielt und wir alle gesund sind. Und auf einmal war dieser Tag da. Die wohl schwerste Zeit liegt hinter uns, wir haben Vieles zusammen gemeistert. Ein ganzes gemeinsames Leben liegt noch vor uns. Ein solcher Schicksalsschlag lehrt einen Demut. Dankbarkeit verspüren wir jeden Tag. Und wir regen uns über die kleinen Dinge, die auch einmal nicht ganz so rund laufen, nicht mehr auf. In dieser intensiven Zeit sagte ein guter Freund einmal zu uns, dass solche Phasen Familien entweder zerbrechen oder stärker zusammenwachsen lassen. Letzteres scheint bei uns der Fall zu sein: Im Frühling bekommt Nelson eine kleine Schwester.
Erste Hilfe bei Verbrennungen – das müssen Eltern wissen
- Notruf 112 wählen
- Verbrennungswunden zur Schmerztherapie ca. 10 Minuten mit handwarmem Wasser kühlen (ca. 20 ° C), bis der Rettungsdienst eintrifft.
- Wichtig: Wegen Unterkühlungsgefahr nur die verletzten Stellen kühlen! Nicht kühlen bei grossflächigen Verletzungen (mehr als 15 % der Körperoberfläche), bei Neugeborenen und Säuglingen und bei bewusstlosen Personen.
- Flammen durch Wälzen am Boden oder mit Wasser löschen.
- Bei Verbrennungen eingebrannte Kleidung nicht entfernen.
- Bei Verbrühungen dem Kind die durchnässte Kleidung sofort ausziehen.
- Bei Stromverletzungen sofort den Stromkreis abschalten.