Wenn die Schul-Software Schwänzer verrät... - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wenn die Schul-Software Schwänzer verrät…

Lesedauer: 4 Minuten

Unsere Autorin, eine angehende Sek-II-Lehrerin, schreibt eine Polemik darüber, wie Kinder mit einer neuen Administrations-Software im Kanton Baselland in der Schule an ein Leben in totaler Überwachung gewöhnt werden. Eine gute Nachricht für alle Helikoptereltern?

SAL, die Schuladministrationslösung:  Was Lehrpersonen eine Lösung verspricht, kann auch zur Überwachung der Schülerinnen und Schüler dienen und verleitet zu professionellem Rätschen. Das Administrationstool, welches seit rund einem Jahr an den Baselbieter Sekundarschulen obligatorisch ist, verlangt von den Lehrerinnen und Lehrern, dass sie alle Noten und Absenzen der Schülerinnen eintragen. Und: Die Eltern haben Zugriff auf diese Daten.

Klar, so eine SAL kann man praktisch finden, und mit solchen Argumenten wurde es auch eingeführt: «Schaut her, nun könnt ihr online den Computerraum reservieren! Toll!» 

Aber Überwachung kommt immer freundlich daher und die Freundlichkeit kann sich als Trojanisches Pferd erweisen. SAL enthält nämlich auch eine besonders fragwürdige Spalte: Beobachtungen. Darin können Lehrkräfte vermerken, wie sich Jan heute so angestellt hat in der Schule. Wenn die Lehrperson das freigibt, können die Eltern von Jan auch diese Spalte lesen. «Du hast mit deinem Banknachbar geredet?! Pfui! Du hast statt effizient zu arbeiten ein bisschen zu lange aus dem Fenster geschaut? Wehe Dir, das schreib ich auf!»

Lehrpersonen, die schon immer lieber über ihre Schülerinnen und Schüler gelästert haben, als deren guten Ruf zu verteidigen, haben nun das passende Tool und die Legitimation von ganz oben dafür. Noch ist das Ausfüllen der Beobachtungsspalte  freiwillig und nur die besonders rätschigen und zum Denunziantentum neigenden Lehrpersonen schreiben bisher da was rein. Lehrpersonen, die in vorauseilendem Gehorsam jede Spalte ausfüllen, würden das wahrscheinlich auch dann tun, wenn nach der vermuteten sexuellen Orientierung gefragt würde. Diese dürfte die Eltern schliesslich auch brennend interessieren.
 
Die mühsamen Seiten der Schüler werden nun also nicht mehr im Lehrerzimmer besprochen, und gehen dann  wieder vergessen. Nein, jetzt kann es einen offiziellen Eintrag geben, den Mama und Papa auch sofort per Mausklick anschauen können. Liebloser geht immer. 

Der SAL-Ausdruck in den Bewerbungsunterlagen

Was, wenn die Beobachtungs-Spalte nächsten Sommer schon nicht mehr freiwillig ist? Das läuft doch meistes so. Gilt es etwas Heikles neu einzuführen, dann ist es erst mal freiwillig, nur für die, die wollen. Irgendwann hat man sich an den Gedanken gewöhnt, dass es da so eine Beobachtungsspalte gibt, und dann stört es auch nicht mehr, wenn  das Ausfüllen obligatorisch wird.

Die reine Existenz dieser Spalte ist doch schon ein Hinweis darauf, dass sie zukünftig bitte auch genutzt werden soll. Warum wäre sie sonst da? Verwaltungen machen nicht einfach so Spalten aus Freude an Spalten. Was die sich ausdenken, soll früher oder später auch Ergebnisse liefern.

Zum Beispiel solche, die man dann auch bei Bewerbungen für eine Lehrstelle beilegen muss.
Dann sind das häufige Schwatzen mit dem Banknachbar, das aus dem Fenster gucken und das hin und wieder Schwänzen nicht mehr tempi passati. Nix mit Strich drunter und neu anfangen. Nein, die kleinen Vergehen sind dann festgehalten im unerbittlichen SAL-Gedächtnis, in welches nun auch der Lehrmeister Einblick hat. Ja, das ist Zukunftsmusik. Aber schon heute sind die Baselbieter Schülerinnen und Schüler bereits ein Stück gläserner geworden. 

Sind Schwänzer nicht selbst schuld?

Nun könnte man achselzuckend fragen, wo denn das Problem sei? Man kann die Jungen ja gar nicht früh genug an die systematische Überwachung und Sanktionierung gewöhnen.
Man könnte aber auch die Pubertät verteidigen, als Phase mit eigenen Gesetzen. Eine Phase, die zu schützen ist, vor der totalen Kontrolle durch Lehrerkräfte oder Eltern. 

Heute gilt es als fortschrittlich, selbstorientiert zu lernen. Schülerinnen und Schülern wird vorgegaukelt, sie selbst steuerten ihren Lernprozsess, sie selber setzten sich ihre Lernziele. Schliesslich würden sie als autonome Individuuen ernst genommen.  Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Schüler gleichzeitig so streng überwacht werden wie noch nie zuvor. Man nennt das in der Psychologie wohl Doublebind. Soll ungesund sein. 

Schwänzen ist ein Gefühl von Freiheit und lehrt uns solidarisch zu sein!

Und wenn jetzt Eltern sofort sehen, ob ihre Töchter und Söhne in der Schule waren, dann ist nichts mehr mit Schwänzen. Und Hand auf Herz, hin und wieder schwänzen war mit eines meiner Highlights in der Schulzeit. Unterschriften der Eltern nachahmen und sich ureigene Zeit verschaffen, ein klitzekleines Stück  Freiheit verteidigen. Schwänzen ist in erster Linie ein Gefühl: an einem Donnerstagnachmittag statt in der Geographie am Rhein oder auf einem Dach zu sitzen und dort tun und lassen, was man will und mit wem man will.

Und Schwänzen lehrt einen Handlungsmacht, es lehrt auch solidarisch zu sein, seine Gspänli nicht zu verraten. Wir lernten dabei aber auch, nicht dann zu schwänzen, wenn die Gspänli auf einen angewiesen sind. Hängen lassen gilt nicht. Und wenn es doch rauskommt, gilt: hinzustehen, sich zu entschuldigen und die Strafe abzusitzen.

Nun aber wissen die Mütter, dass man nicht in der Geo war, noch bevor sich jemand eine Ausrede einfallen lassen kann, für sich selber oder für seine Gspänli.

War die Botschaft der Schule – neben all den humanistischen Botschaften – schon immer auch: Spuren sollst du! Dann ist diese Botschaft im Baselbiet nun lauter als je zuvor. 
 
Liest man in der Schule eigentlich noch Orwell?

Bild: Fotolia

Anna Jungen ist freischaffende Journalistin und besucht als angehende Sekundarschullehrerin die Pädagogische Hochschule in Basel, wo sie auch lebt. 
Anna Jungen ist freischaffende Journalistin und besucht als angehende Sekundarschullehrerin die Pädagogische Hochschule in Basel, wo sie auch lebt. 


Hintergrundinformationen zur Schulsoftware SAL

Die Schul-Administrations-Software SAL ist im Kanton Baselland für die Gymnasialschulen und Sekundarschulen obligatorisch, die Primarschulen können es freiwillig benutzen. In anderen Kantonen ist die Software schulNetz in vielen Schulen im Einsatz. SAL ist eine Weiterentwicklung der schulNetz-Software, als erste über mehrere Schulstufen hinweg einheitlich betriebene Lösung. Laut Autorin könnte SAL der Weiterentwicklung in anderen Kantonen als Vorbild dienen. Konkrete Pläne sind aber noch keine bekannt.

Im Bildungsgesetz des Kantons ist geregelt, wer alles auf die Daten aus dem Schul- Administrations-Programm zugreifen kann. Dies sind unter anderem die Kinder selbst – und die Erziehungsberechtigten über den Account ihrer Kinder. Dieser Gesetzesparagraf wurde erst bei der Teilrevision des Bildungsgesetzes im Juni 2016 vom Landrat beschlossen – ein Volksreferendum wurde nicht dagegen ergriffen. Die genaueren Zugriffsberechtigungen werden in einer Verordnung geregelt, die Arbeiten dazu sind im Kanton im Gange. «Der Zugriff der Eltern auf die Schuldaten der Kinder entspricht somit dem Willen des Gesetzgebers», sagt Thomas Held, akademischer Mitarbeiter der Aufsichtsstelle Datenschutz Kanton Baselland. Redaktion FUF