Pflegekind Shana: Sie vertraute ihren neuen Eltern sofort - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Pflegekind Shana: Sie vertraute ihren neuen Eltern sofort

Lesedauer: 3 Minuten

Shana ist 13 Jahre alt, ihre leibliche Mutter Fatima 48. Shana lebt werktags bei ihren Pflegeeltern, am Wochenende Fatima. Wie und warum damit allen geholfen ist.

Das Langzeitgedächtnis bildet sich erst im zweiten Lebensjahr. Deshalb hat Shana kaum Erinnerungen an ihre Babyzeit. Die 13-Jährige schliesst die Lücken mit Hilfe des Fotoalbums, das ihre Mutter mit Schnappschüssen von damals angelegt hat. Shana auf der Krabbeldecke, Shana im Buggy. Herzige Aufnahmen, heile Welt. Die Bilder erzählen aber nur einen Teil der Geschichte. Könnte sich das Mädchen erinnern, wäre es vermutlich überfordert von den zum Teil widersprüchlichen Eindrücken, die der Rückblick mit sich bringen würde.

Schmerzhafte Erinnerungen

Fatima, Shanas Mama, hat hingegen keinen Augenblick vergessen. Es ist alles noch da, eingraviert in ihre Seele: die schönen Momente, aber auch die Erinnerung an die Angst, Verzweiflung und Ausweglosigkeit, die sie damals, vor über 13 Jahren, empfand. Die heute 48-Jährige kam Ende der Achtzigerjahre in die Schweiz, um bei ihrem Schweizer Ehemann zu leben. Die Marokkanerin arbeitete schon bald als Übersetzerin. Die Ehe scheiterte. Als ein neuer Partner in Fatimas Leben trat, wurde sie schwanger, freute sich auf das Kind. Der werdende Vater verschwand jedoch von der Bildfläche.

Die Strapazen von Shanas Geburt und die ersten Wochen alleine mit dem Neugeborenen brachten die junge Frau aus dem Gleichgewicht. Sie konnte nicht mehr schlafen und nicht mehr essen, wachte Tag und Nacht am Bett des Säuglings. Asthmaanfälle, Panikattacken und die ständige Angst, nicht mehr für das Kind da sein zu können. Dass das auch die Symptome einer schweren Wochenbettdepression waren, wurde ihr erst später klar.

Ein gutes Team: Shana lebt während der Woche bei Roger und Lilly.
Ein gutes Team: Shana lebt während der Woche bei Roger und Lilly.

Freiwillige Auszeit

Fatima bekam Hilfe. Leider griffen die Massnahmen nicht wie erhofft. Die Mutter kümmerte sich liebevoll um ihr Kind, sie selbst schien aber vor den Augen der anderen zu verschwinden. Nach anderthalb Jahren schlug eine Familienbegleiterin eine Art Auszeit vor. Das kleine Mädchen könne für ein paar Tage in einem Kinderheim untergebracht werden, damit Fatima wieder Tritt fassen könne. Wohlgemerkt ohne Behördenanordnung, auf freiwilliger Basis. Denn: Es gab eigentlich nur eine Person, die an Fatimas Fähigkeiten als Mama zweifelte, und das war sie selbst. Obwohl man ihr versicherte, dass sie ihr Kind jederzeit wieder zu sich holen könne, fürchtete sie sich davor, Shana zu verlieren. Loslassen, durchatmen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten fassen – das war gar nicht so einfach.

Fatima besuchte ihr Kind im Heim, verbrachte viel Zeit mit ihm, kehrte aber immer nach Hause zurück, um Kraft zu tanken. Konnte das ein tragfähiges Modell für die Zukunft werden? Jemand brachte den Begriff «Pflegeeltern» ins Spiel. Vielleicht könne sich Fatima die Elternrolle mit anderen Menschen teilen. Die Mutter überlegte. Was würde das Kind dazu sagen, wenn es sprechen könnte?

Kinderwunsch

Während die Alleinerziehende versuchte, die beste Lösung zu finden, bemühten sich Lilly Kahler und Roger Gyger am anderen Ende der Stadt ebenfalls, nach vorne zu blicken. Sie wussten nach medizinischen Abklärungen, dass ihr Wunsch nach leiblichen Kindern nicht in Erfüllung gehen würde. Die Erwachsenenbildnerin und der Schulsozialarbeiter blickten dennoch nach vorne. Als das Paar sich über die Möglichkeit einer Adoption informierte, fiel auch das Stichwort «Pflegeelternschaft». Lilly Kahler und Roger Gyger waren offen für diese Möglichkeit, zumal er als Kind ebenfalls fremdbetreut worden war. Da sie ihr Leben mit einem Kind teilen wollten, bewarben sie sich bei der Zürcher Fachstelle Pflegekinder als Pflegeeltern.

Die Kindsmutter wünschte sich weltoffene, tolerante Bezugspersonen für Shana.

Ein glücklicher Zufall?

Schwer zu sagen, ob es Zufall war oder ob eine aufmerksame Mitarbeiterin erkannte, wie gut die Familien – zumindest auf dem Papier – zusammenpassen. Jedenfalls schlug man Fatima das Ehepaar als mögliche Pflegeeltern vor. Die Kindsmutter wünschte sich weltoffene, tolerante Bezugspersonen für ihre Tochter. Da ein erstes Treffen gut gelaufen war, wagte Fatima den nächsten Schritt. Nun sollte auch Shana Lilly und Roger kennenlernen. Während sich die Erwachsenen weiter beschnupperten, hatte die damals Zweijährige, die normalerweise eher abwartend war, genug von der vornehmen Zurückhaltung und spielte mit den Pflegeeltern in spe, als kenne sie sie schon seit Jahren.

Bei einem dritten Treffen durfte Shana dann ein paar Stunden im fremden Haushalt verbringen. Dort schlief sie prompt ein. Ein riesiger Vertrauensbeweis. Als die Mitarbeiterin der Fachstelle Fatima fragte, ob sie weitere Kandidaten kennenlernen wolle, schüttelte diese den Kopf. Warum auch? Es war mehr als offensichtlich, dass Shana sich entschieden hatte.

Shana, ihre Mutter und ihre Pflegeeltern verbringen oft Zeit zusammen.
Shana, ihre Mutter und ihre Pflegeeltern verbringen oft Zeit zusammen.

Ein ungewöhnliches Modell

Aus dem kleinen Mädchen von damals ist längst ein Teenager geworden. Seit elf Jahren hat Shana zwei Lebensmittelpunkte: Werktags wohnt sie bei Lilly und Roger, geht dort in die Quartierschule, an den Wochenenden lebt sie bei ihrer Mama. Manchmal ist auch alles anders, dann gehört das Wochenende den Pflegeeltern oder alle unternehmen gemeinsam etwas.

Shana, Fatima, Lilly und Roger sind eine Familie. Das ungewöhnliche Modell funktioniert. Es ist aber kein Selbstläufer. Mit der dauerhaften Unterstützung der Mitabeitenden der zuständigen Stellen haben die Erwachsenen realisiert, wie wichtig es ist, miteinander zu reden. Nicht nur über das Kind, sondern auch über eigene Werte, Erfahrungen und Erwartungen. Je genauer alle einschätzen können, was und wie die anderen Beteiligten denken, desto besser.


Die Übergänge, wenn Shana die Familie «wechselt», sind etwas besonders. Eine Seite muss loslassen, Vertrauen haben, die andere Seite gibt das Versprechen, ihr Bestes zu geben. Als Fatima vor einiger Zeit an Brustkrebs erkrankte, wusste sie eines: Egal, was die Zukunft bringen würde, Shana war und ist bei Lilly und Roger in den besten Händen.


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