Lisa Lehner träumt von einer idealen Schule ohne Hausaufgaben und mit kindgerechtem Stundenplan. Die Schulleiterin und Vizepräsidentin des Deutschschweizer Schulleiterverbands über neue Lernformen, die Rolle des Lehrers und Ansprüche der Eltern.
Ein strahlendes Glücksbild im Klassenzimmer, Fröhlichkeit aus jeder Ecke, auch der beschauliche Pausenplatz wirkt wie nicht von dieser Welt. Das ist Lisa Lehners Arbeitsort: Die Schule Rütihof in Baden. Die Schulleiterin, die gerne lacht und spontan antwortet, passt gut hierhin mit ihren grossen Augen, die neugierig in die Welt gucken – und den zierlichen Füssen, die während des Gesprächs wippen.
Ich denke, dass es einerseits einfacher ist, weil heutzutage viel mehr auf das einzelne Kind eingegangen wird. Die Schule nimmt auf den individuellen Lern- und Entwicklungsstand des Kindes mehr Rücksicht als in früheren Zeiten. Anderseits spüren die Kinder die hohen Erwartungen, die von verschiedenen Seiten an sie gestellt werden, was es nicht einfacher macht, ein Schulkind zu sein.
Das finde ich natürlich nicht gut, denn Kinder brauchen eine gezielte Förderung. In den Klassen sind Kinder, welche Lernschwierigkeiten haben, und andere, welche spezielle Begabungen mitbringen. Ein Lehrer mit durchschnittlich etwa 20 Schülern kann nicht immer allen gerecht werden. Es braucht deshalb zusätzliche Fachpersonen, die mit den einzelnen Kindern spezifische Bedürfnisse abdecken können. Was macht eine gute Lehrperson aus? Sie macht diesen Job, weil sie Kinder gern hat, flexibel und weltoffen ist und eine positive Lebenseinstellung hat. Zudem sollte sie motiviert sein, die Kinder auf dem Weg zu einem selbständigen, interessierten und selbstsicheren Menschen zu begleiten. Auf der Primarstufe ist der Lehrer Vorbild, dessen muss er sich bewusst sein. Eine Lehrperson, welche an die Stärken ihrer Schüler glaubt und diese gezielt fördert, dabei aber auch hohen Wert auf die Gemeinschaftsbildung legt, wird erfolgreiche Schüler haben. Davon bin ich überzeugt.
Sehr wichtig! Wenn ein Kind merkt, dass seine Eltern die Lehrperson nicht respektieren können, selbst wenn sie es nicht aussprechen, bringen sie das Kind in einen Loyalitätskonflikt. Das Kind möchte es seinen Eltern, aber auch seiner Lehrperson recht machen. In einem solchen Fall weiss es nicht mehr, wem es gefallen soll. Meist sinken dann auch seine Leistungen.
«Die Erwartungen an ein Schulkind sind heute grösser als früher.»
Lehrpersonen wiederum finden den Umgang mit Eltern komplizierter. Alles ist anspruchsvoller und vielfältiger geworden. In den meisten Fällen sind beide Eltern berufstätig. Die Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen, ist knapp. Der Umgang mit dieser neuen Situation erfordert viel gegenseitiges Verständnis und eine gute Kommunikation.
Sehr viele Informationen zwischen Schule und Elternhaus müssen schriftlich erfolgen. Wenn diese von den Eltern nicht richtig gelesen werden, kann es schon mal Pannen geben. So ging kürzlich eine Klasse einen ganzen Tag in den Wald, ein Kind kam zu spät, ohne Waldkleidung und Lunchpaket. Die Mutter hat den Ausflug völlig vergessen und war auch nicht erreichbar. Was zur Konsequenz hatte, dass das Kind die Exkursion mit der Klasse im Wald nicht mitmachen konnte und in der Schule bleiben musste.
Die wichtigsten Aufgaben in der Elternarbeit sind, gegenseitiges Vertrauen zu haben, Verständnis zu zeigen und das gemeinsame Ziel, nämlich die gute Förderung des Kindes, zu erkennen. Damit die Zusammenarbeit gewinnbringend ist, plädiere ich für Elternabende gleich in den ersten Schulwochen und einen guten gegenseitigen Informationsfluss. Wenn die Eltern nicht wissen, welche Ziele und Absichten die Lehrperson hat, beginnt das Misstrauen, welches Konflikte begünstigt. Ist hingegen das Vertrauen da und können die Eltern die Arbeit der Lehrperson mit ihrem Kind verstehen, so akzeptieren Eltern auch, dass die Lehrperson die nötige Fachkompetenz mitbringt. Auch in Sachen Beurteilung.
Wenn Eltern abends um 23 Uhr aus dem Affekt eine aggressive, vorwurfsvolle Mail an die Lehrperson schreiben. Man sollte mindestens einmal darüber schlafen. Verständnis für eine konstruktive Intervention habe ich auf jeden Fall. Wenn Eltern merken, dass ihr Kind leidet, weil der Umgang zwischen Lehrperson und Kind schwierig ist oder das Kind sich in der Klasse nicht zurechtfindet, ist es sehr wichtig, dass sie das Gespräch mit der Lehrperson oder in einem zweiten Schritt mit der Schulleitung suchen.
Das Kind verhält sich auffällig, es ist laut und aggressiv oder zieht sich in sich selbst zurück. Seine schulischen Leistungen nehmen ab. Daran merken es die Lehrpersonen. Die Eltern wiederum merken es, wenn ihr Kind nicht gern zur Schule geht, es nicht aufstehen will oder dauernd Bauchweh hat.
«Die Schule ist immer noch zu stark auf die Schwächen eines Kindes ausgerichtet.»
In früheren Zeiten war der Lehrer sein eigener Chef im Schulzimmer, eine Art Zehnkämpfer. Allerdings waren damals die Ansprüche der Eltern und der Gesellschaft noch nicht so hoch. Man übergab das Unterrichten und Erziehen der Kinder dem Lehrer, ohne seine Arbeit infrage zu stellen. Heute bestehen hohe Ansprüche an Schule und Erziehung, damit das Kind sich in dieser komplexen Welt als Heranwachsender zurechtfinden kann.
Das stellt eine Schule vor grosse Herausforderungen, weil Teamarbeit und Arbeiten für die Schule als Ganzes ein wichtiger Teil für eine gut funktionierende Schule ist.