Süsse Getränke mit grossem Risiko
Viele Kinder und Jugendliche greifen regelmässig zu Energydrinks. Deren Inhaltsstoffe können sich schädlich auf die Herzgesundheit auswirken – wobei die Gefahr mit der Menge steigt, die konsumiert wird.
Sie schmecken nach Wassermelone, Kokos-Blaubeere oder Pink Grapefruit und kommen alle mit einem Versprechen: Leistungsfähiger und wacher sei man, wenn man die süssen Energydrinks konsumiere. Die Werbeversprechen wirken: Der Datenplattform Statista zufolge sind 2023 in der Schweiz rund 500 Millionen Franken mit Energy- und Sportdrinks umgesetzt worden, 2018 waren es noch 300 Millionen Franken gewesen.
Zu denen, die besonders gern zu den bunt designten Dosen greifen, gehören Kinder und Jugendliche. Gemäss einer grossen europäischen Studie sind 68 Prozent der Energydrink-Konsumenten Jugendliche. Bei Kindern zwischen drei und zehn Jahren machen Energydrinks 43 Prozent ihres Koffeinkonsums aus. Ein Mindestalter für den Kauf dieser Getränke gibt es in der Schweiz nicht. Dazu schreibt Sucht Schweiz: «Seit ihrer Kommerzialisierung tragen Energydrinks stark zur Steigerung des Koffeinkonsums in der Bevölkerung bei. Koffein wird somit von neuen Zielgruppen, in neuen Kontexten und höheren Mengen als beim herkömmlichen Kaffee konsumiert.»
Ein Energydrink enthält 30 Gramm Zucker. Das entspricht etwa zehn Stück Würfelzucker.
Tatsächlich stecken in den süssen Muntermachern nicht nur leere Werbeversprechen. Energydrinks wirken, und das ist auf ihre Inhaltsstoffe zurückzuführen. Da wäre zunächst Koffein. Die Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) über Getränke erlaubt höchstens 160 Milligramm Koffein pro 500 Milliliter Energydrink. Die meisten auf dem Markt erhältlichen Energydrinks schöpfen dieses Limit aus. In einer 250-Milliliter-Dose befinden sich entsprechend 80 Milligramm Koffein.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) stuft für Kinder und Jugendliche eine Koffeindosis von maximal 3 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht am Tag als unbedenklich ein – was allerdings nicht heisst, dass der Koffeinkonsum keine Auswirkungen auf das Befinden der Konsumenten hat.
Kurzer Schub, schnelle Ermattung
Neben Koffein wirkt vor allem der Zucker in Energydrinks aufputschend. Im Durchschnitt enthält eine 250-Milliliter-Dose 30 Gramm Zucker. Das entspricht etwa zehn Stück Würfelzucker. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt höchstens 25 Gramm sogenannten freien, also zugesetzten Zucker pro Tag für Erwachsene, die Werte für Kinder liegen entsprechend niedriger.
Energydrinks begünstigen also wie alle zuckerhaltigen Getränke eine Gewichtszunahme und die Bildung von Karies. Weil zudem viel Säure in ihnen steckt, warnt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV) vor Schäden an den Zähnen, denn der Zahnschmelz wird dadurch angegriffen. Der hohe Zuckergehalt sorgt auch dafür, dass man schnell wieder zu einem Energydrink greift: Trinkt man einen, steigt der Blutzuckerspiegel rasch in die Höhe, man fühlt sich energiegeladen. Doch ebenso schnell fällt er wieder. Man fühlt sich schlapp und müde, hat das Bedürfnis nach mehr Energie – und öffnet die nächste Dose.
Ein regelmässiger Konsum von Energydrinks kann zu einem dauerhaft hohen Blutdruck führen, was die Gefässe schneller altern lässt.
Felix Oberhoffer, Kinderkardiologe
Es gibt bislang nahezu keine Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, welche Auswirkungen der Konsum von Energydrinks auf den Körper von Kindern und Jugendlichen hat. Laut einer Übersichtsarbeit von 2021 leiden junge Konsumentinnen und Konsumenten häufig unter Schlaflosigkeit, Nervosität und Kopfschmerzen.
Ein Team um Felix Oberhoffer von der Abteilung Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Klinikum der Universität München hat in einer von der Deutschen Herzstiftung geförderten Studie als Erstes untersucht, wie Energydrinks akut die Herz-Kreislauf-Funktion von jungen Menschen beeinflussen. «Dazu gibt es bereits Studien bei Erwachsenen, die einen negativen Effekt festgestellt haben», sagt Studienleiter Oberhoffer. «Unsere Ergebnisse zeigen nun, dass Kinder und Jugendliche noch stärker auf Energydrinks reagieren als Erwachsene.»
Muntermacher
Über das Blut und die Blut-Hirn-Schranke gelangt das Koffein ins Gehirn. Dort bindet es an sogenannte Adenosin-Rezeptoren. Adenosin blockiert stimulierende Substanzen wie Dopamin und fördert den Schlaf. Wenn Koffein statt Adenosin an die Rezeptoren bindet, hebt es die Effekte von Adenosin auf: So macht Koffein munter.
Halbwertszeit
Es dauert etwa 45 Minuten, bis unser Körper das Koffein aus einer Dose Energydrink aufgenommen hat. Nach etwa 2,5 bis 5 Stunden ist die Hälfte des Koffeins in der Leber abgebaut.
Gewöhnungseffekt
Koffein ist keine suchtauslösende Substanz. Unser Körper gewöhnt sich allerdings daran. Bei regelmässiger Zufuhr empfindet man die Koffeinwirkungen daher deutlich weniger stark.
Wirkungen
Koffein wirkt auf fast jedes Organ des Menschen. Bestehende Angststörungen können durch Koffein verstärkt, das Risiko für eine Depression kann verringert werden.
Die gesundheitlichen Risiken von Energydrinks
An der Studie haben körperlich gesunde Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren teilgenommen. Sie erhielten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ein Getränk – einmal einen Energydrink, einmal ein zuckerhaltiges Vergleichsgetränk ohne die üblichen Bestandteile eines Energydrinks. Die maximale als unbedenklich erachtete Tagesdosis an Koffein wurde dabei nicht überschritten.
«Damit die Ergebnisse nicht verfälscht wurden, wusste niemand, welche Art von Getränk er oder sie gerade getrunken hatte», sagt Oberhoffer. Danach wurden 24 Stunden lang in regelmässigen Abständen die Herz- und Gefässfunktion sowie die Herzströme der Probanden gemessen. Die Medizinerinnen und Mediziner fanden heraus, dass nach dem Konsum von Energydrinks der Blutdruck 24 Stunden lang deutlich höher war.
«Man kann sich also gut vorstellen, dass ein regelmässiger Konsum von Energydrinks zu einem dauerhaft hohen Blutdruck führen kann. Und das hat potenziell massive Konsequenzen für die Gefässe, sie altern schneller», so der Experte. Zudem müsse das Herz dadurch gegen einen erhöhten Widerstand ankämpfen und verdicke sich so. Diese Wirkung der Energydrinks führen die Münchner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf das enthaltene Koffein zurück. «Ob eventuell noch andere Substanzen eine Rolle spielen, müsste in weiteren Studien untersucht werden», so Oberhoffer. Das sei allerdings nicht einfach, weil so viele verschiedene Substanzen enthalten sind.
Eine Dose pro Woche liegt drin
«Eines ist sicher: Gesund sind diese Getränke nicht», sagt der Mediziner, «und am besten wäre es, man würde sie überhaupt nicht konsumieren.» Doch das ist bei einem solchen Lifestyleprodukt, das gerade Kindern und Jugendlichen gut schmeckt und das man gerne mit sich trägt, einfacher gesagt als getan.
Studienleiter Oberhoffer: «Wer unbedingt Energydrinks trinken möchte, sollte sich auf eine kleine Dose pro Woche beschränken. So kann man ausschliessen, dass es zu chronischen Folgeschäden kommt.» Menschen mit Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, mit Übergewicht oder einer Diabeteserkrankung sollten kein unnötiges Risiko eingehen und prinzipiell auf Energydrinks verzichten.
Das Thema wird unterschätzt
Dass Kinder in der Klinik landen, weil sie zu viel Energydrinks konsumieren, kommt leider durchaus vor. «Obwohl die Problematik seit gut 20 Jahren bekannt ist, wird immer noch viel zu sorglos damit umgegangen», sagt Christian Balmer, leitender Arzt Kardiologie am Universitäts-Kinderspital Zürich. So kann es passieren, dass Kinder und Jugendliche eine Tachykardie bekommen – ihr Herz also plötzlich besonders schnell schlägt. Vielen Eltern sei nicht klar, dass das mit dem Konsum von Energydrinks zusammenhängen könne. «Hier müssen wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten», sagt Balmer.
Energydrinks mit Alkohol gemischt bewirken, dass Jugendliche nicht merken, wenn sie zuviel trinken.
Christian Balmer, Kinderkardiologe
Energydrinks würden oft als pappsüsse Getränke gesehen, der hohe Zuckergehalt mache sie attraktiv für Kinder. Den hohen Koffeingehalt haben Eltern hingegen nicht präsent. «Eine kleine Dose enthält so viel Koffein wie eine Tasse Kaffee», sagt Balmer, «und man würde seinem Kind ja auch keinen Kaffee geben.» Der beschleunigte Puls ist denn auch spürbar, sogar die Kinder und Jugendlichen merken es, wenn man sie dafür sensibilisiert.
Es ist also plausibel, dass der Konsum von Energydrinks Herzrhythmusstörungen auslösen und bereits bestehende verstärken kann. Werden grosse Mengen getrunken, könne es sogar zum Kammerflimmern kommen, sagt Balmer – eine lebensbedrohliche Situation. Mit einem massvollen Konsum von ein oder zwei Energydrinks pro Woche bestehe dieses Risiko allerdings nicht.
Alkohol und Energydrinks: Eine riskante Mischung
Eine geradezu gefährliche Handlungsweise ist das Mischen von Alkohol mit Energydrinks. So, wie es Jugendliche beispielsweise gern vor Partys tun: Mit ein paar Energydrinks machen sie sich fit für die Nacht, um möglichst lange tanzen zu können. «Der Effekt eines Energydrinks hebt die sedative Wirkung von Alkohol auf, sodass die Jugendlichen gar nicht merken, dass sie mehr trinken als sonst», sagt Kardiologe Balmer. «Es kommt zu einer Anflutung und plötzlich hat man viel zu viel Alkohol im Blut.»
Wenn Eltern merken, dass ihre Kinder Energydrinks konsumieren, sollten sie auf Ursachensuche gehen.
Felix Oberhoffer, Kinderkardiologe
Wenn man unbedingt einen süssen Wachmacher brauche, solle man daher eher zu Cola greifen: Das enthält weniger Koffein und ist somit weniger riskant. Auch Raoul Furlano warnt vor der Kombination von Energydrinks und Alkohol. «Diese Mischung kann zu signifikanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen», sagt der Abteilungsleiter Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB). Ob aber beispielsweise das Alter beeinflusse, wie stark eventuelle Nebenwirkungen auftreten, wisse man nicht.
«Vermutlich kommt es eher auf das Körpergewicht und die Fettverteilung an», so Furlano. «Wir können aber bisher wissenschaftlich evident weder ausschliessen noch bestätigen, dass das Alter der Konsumentinnen und Konsumenten eine Rolle spielt.» Auch zur Frage, ob und wie ein Langzeitkonsum die Gesundheit beeinträchtige, gebe es bislang keine verlässliche Aussagen.
Die Idee dafür stammt ursprünglich aus Japan. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen japanische Piloten Drinks mit der organischen Säure Taurin, die die Sehleistung verbessern sollten. So kamen Energydrinks in Asien in Mode. Dietrich Mateschitz, der Vermarkter von Red Bull, holte die Idee Ende der 80er-Jahre nach Europa und feierte damit in der alternativen Jugend- und Clubszene grosse Erfolge.
Weitere Infos zu Red Bull finden Sie in unserem Artikel «Das macht eine Dose Red Bull mit dem Körper Ihres Kindes».
Wenn Eltern merken, dass ihre Kinder Energydrinks konsumieren, sollten sie das Gespräch suchen und versuchen herauszufinden: Warum denkt der Nachwuchs, er brauche ein leistungssteigerndes Getränk? Leidet das Kind an Schlafmangel? Ist es aus anderen Gründen müde? Können eine gesündere Ernährung und mehr Sport vielleicht Alternativen sein?
«Wenn man auf die Wirkung eines Energydrinks zurückgreift, egal ob als Kind oder Erwachsener, weil es gefühlt ohne nicht geht, sollte man dringend schauen, an welchen Stellschrauben sich drehen lässt», sagt Felix Oberhoffer. «Bei Kindern und Jugendlichen sollten die Eltern auf Ursachensuche gehen.»