«In den Wechseljahren steckt enorm viel Kraft»

Immer mehr Mütter befinden sich in den Wechseljahren, während ihre Kinder pubertieren. Zyklusexpertin Josianne Hosner über das Potenzial der Lebensmitte und warum sie das wachsende Bewusstsein dafür als Chance für die Mutter-Teenager-Beziehung sieht.
Frau Hosner, Sie sind 45 Jahre alt. Spüren Sie erste Anzeichen der Wechseljahre?
Ja, es fing bei mir mit 42 Jahren an. Aus dem Nichts bekam ich vor und während der Menstruation Herzrasen, nahm bei gleichem Ess- und Sportverhalten deutlich an Gewicht zu und begann nachts mehrmals aufzuwachen. Ich wurde dünnhäutiger, meine Haut schwabbliger und die Konsistenz des Menstruationsblutes veränderte sich.
Inwiefern?
Das Blut wurde klumpig. Es plumpsten halbe Fledermäuse raus, sogenannte Koagel. Das sind Blutgerinnsel, die aufgrund der veränderten Hormonzusammensetzung in der Perimenopause, also den Jahren vor der letzten Periode, entstehen können. Wüsste ich nicht so viel darüber, hätte ich Panik gehabt.

Es gibt verschiedene Wechseljahrphasen, nicht?
Richtig, es existieren vier Phasen: Prämenopause, Perimenopause, Menopause und Postmenopause. Der Begriff der Perimenopause ist gerade dabei, sich bei einer breiteren Öffentlichkeit als Synonym für die Wechseljahre zu etablieren.
Jede Frau erlebt die Wechseljahre auf ihre Weise. Es gibt nicht das eine Schema.
Viele Frauen wissen nicht, dass diese Phase bereits Anfang 40 startet und ungefähr zehn Jahre dauert. Wie intensiv die Wechseljahre und vor allem ihre Beschwerden wahrgenommen werden, verläuft bei jeder Frau individuell. Das finde ich eine sehr wichtige Information: Jede Frau erlebt die Wechseljahre auf ihre Weise. Es gibt nicht das eine Wechseljahrschema.
Mit Beschwerden meinen Sie bekannte Symptome wie Hitzewallungen, Schlafstörungen oder emotionale Achterbahn. Welche Symptome führen Frauen demgegenüber zu wenig auf die Wechseljahre zurück – oder gar nicht?
Depressionen, Gelenkschmerzen, Gedächtnislücken, Migräne, Inkontinenz, Herzrhythmusstörungen, trockene Augen, vaginale Trockenheit oder Libidoverlust werden oft nicht mit den Wechseljahren in Verbindung gebracht.
Sie beschäftigen sich beruflich seit über zehn Jahren mit dem weiblichen Zyklus und haben vor vier Jahren das Buch «Back to the Roots – Zyklisch leben mit immenser Freude» geschrieben. Wie kann das Wissen über den eigenen Zyklus den Alltag einer Mutter entlasten?
Wer zyklisch lebt, nutzt den weiblichen Zyklus mit seinen vier verschiedenen Phasen als inneren Kompass. Das hat viel mit Selbstanerkennung und Selbstfürsorge, dem Wissen, wie man tickt, richtigem Priorisieren, effizienter Planung und Grenzensetzen zu tun; zu merken, was drinliegt und was nicht, was man stehen lassen oder delegieren kann. Für den Familienalltag finde ich das Integrieren von Zykluswissen daher unbezahlbar.
Nennen Sie uns bitte ein Beispiel.
Es macht einen grossen Unterschied, ob eine Frau jeden Monat vom Eisprung und von der Menstruation überrascht wird und denkt: «Aha, deshalb hatte ich die Tage davor so viel Lust auf meinen Partner oder so schlechte Laune.» Oder ob sie diese beiden zyklischen Pole auf dem Radar hat und ihre Kräfte entsprechend einteilt. Mütter können beispielsweise für die Familie vorkochen, um am Tag der stärksten Blutung darauf zurückzugreifen. Oder um den Eisprung herum ein romantisches Date mit ihrem Partner planen.
Es geht auch um einen sinnvollen Energiehaushalt.
Richtig. Die Zyklusformel «Ungefähr zwei Wochen nach dem Eisprung blute ich» kann für die Alltagsplanung und Lebensqualität der Mutter wie auch der Teenagertochter bahnbrechend sein. Wenn sich Frauen zum Beispiel in der Zeit um den Eisprung regelmässig verausgaben und zu viele Termine reinquetschen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie vor oder während der Menstruation in eine Erschöpfung geraten oder sich prämenstruelle Symptome wie Reizbarkeit, Angst, Kopfschmerzen oder Gemütsschwankungen verstärken. Wenn eine Mutter weiss, dass sie in der Zyklusphase vor der Blutung keine Nerven für die Kinder hat, kann sie dort genug Ruheinseln einplanen oder die Kinder stärker in den Haushalt einbinden.
Die Zyklusphase vor der Blutung – Sie sprechen vom inneren Herbst – steht auch für die Zeit der Wechseljahre. Welche Erfahrungen aus Ihren Zyklusbeobachtungen können Sie für die Perimenopause nutzen?
Ein Fazit lautet: Übergänge sind wichtig und werden meist unterschätzt. Die Perimenopause ist ein solcher Übergang. Wie gelange ich von der Sommerfülle in die klare Herbstluft? Das passiert nicht von heute auf morgen, sondern mit vielen Nebeltagen und diffusen Wetterlagen. Für viele sind die Wechseljahre eine Zeit der Verletzlichkeit.

Die Zahl der Erstgebärenden über 35 Jahre hat sich in der Schweiz seit den 1970er-Jahren von 10 auf 30 Prozent verdreifacht. Das hormonelle Tohuwabohu der Mütter trifft also vermehrt mit der Pubertät ihrer Kinder zusammen. Was passiert da?
Es prallen zwei Umbauphasen aufeinander, zwei Baustellen mit tiefgreifenden hormonellen und neurologischen Veränderungen. Der Frontallappen etwa wird bei beiden neu ausgerichtet. Auf der einen Seite der Anfang der Fruchtbarkeit, ein grosses Aufblühen. Die jungen Menschen kommen in Fahrt, sind voll im Saft, werden sexuell aktiv. Bei den Müttern neigt sich die Fruchtbarkeit dem Ende zu.
Ein Verwelken, um beim Bild der Blume zu bleiben.
Dieses Bild stört mich ungemein. Es sagt: Du bist nicht mehr fruchtbar, also auch nicht mehr wichtig und begehrenswert. Deine Zeit ist vorbei. Ich habe mir daher ein neues Bild gesucht: die Hagenbutte. Ein leuchtend rotes Symbol für die Kraft und das Potenzial, das in dieser Veränderung drinsteckt. Die Zeit der Rose ist vorbei, jetzt kommt die Lebensmitte mit der Kraft der Hagenbutte.
Für viele sind die Wechseljahre eine Zeit des Wandels und der Entscheidungen.
Welches Potenzial sehen Sie denn für die Mütter?
Zyklisch betrachtet kehrt Ruhe ein. Sie sind nicht mehr jeden Monat diesen hormonellen Schwankungen ausgesetzt. Der Östrogennebel im Kopf schwindet, wie Gynäkologin und Autorin Christiane Northrup es ausdrückt. Es kommt zu mehr Klarheit. Das kann viel Energie freisetzen, die Mütter vermehrt für eigene Interessen und neue Aufgaben ausserhalb der Familie nutzen können. Für viele ist es eine Zeit des bewussten Wandels und der Entscheidungen: Was passt noch zu mir, was nicht? Wo will ich hin? Viele starten mit einer Weiterbildung, trennen sich vom Partner oder richten sich beruflich neu aus.
Die Mutter auch als Leitfigur und Vorbild?
Im Idealfall schon. Sie verfügt seit der ersten Periode über 35 Jahre Zyklus- und Lebenserfahrung. Die körperliche Mutterschaft wandelt sich in eine geistige Mutterschaft, wie die Psychologin Julia Onken es benennt. Mir gefällt die Idee der Wechseljahre als Auftakt zu einer neuen schöpferischen Lebensphase. Ein Upgrade hin zu mehr Selbstbestimmung, die auch mit einer gewissen Erleichterung einhergeht: Die Kinderfrage ist endgültig vom Tisch, die Jugend auch. Wir müssen ganz vieles nicht mehr. Auch nicht mehr gefallen. Darin steckt enorm viel Kraft.
Sie haben den Umbau der Hormone genannt. Was spielt in den Wechseljahren sonst noch eine Rolle?
Manche Frauen reagieren sensibler auf hormonelle Veränderungen, andere kämpfen eher mit dem Stoffwechsel oder dem Nervensystem. In der Alternativmedizin, zum Beispiel im Ayurveda, gibt es dazu verschiedene Typologien. Solche Kenntnisse können ebenfalls hilfreich sein. In Bezug auf die Wechseljahre pflegt Nadja Röthlisberger, eine befreundete Naturheilpraktikerin, zu sagen: «Es hat nicht alles mit den Hormonen zu tun. Wir werden auch einfach älter.» Einen Hyperfokus auf die Hormone fände ich falsch.
Während der Perimenopause kann es dennoch hoch zu- und hergehen, wenn die dünnhäutige Mutter auf den gereizten Teenager trifft.
Es kann, muss aber nicht. Denn es macht – analog zum Zyklisch-Leben – erneut einen grossen Unterschied, ob der Mutter bewusst ist, was in ihr vorgeht, oder eben nicht. Ob sie also für sich und ihr Kind Verständnis aufbringt, die notwendigen Pufferzonen in ihrem Leben einbaut, im Familien- und Freundeskreis darüber redet und sich bei starken Symptomen fachliche Hilfe holt.

Die Beziehungsebene bildet in beiden Phasen ebenfalls einen wichtigen Aspekt.
Und zwar die Beziehung zu sich selbst sowie nach aussen. Für die Tochter heisst das zum Beispiel: Welche Freundschaften pflege ich? Welchen Bezug habe ich zu Lehrpersonen und Fachausbildnerinnen? Gibt es eine erste Liebe? Und für die Mutter: Wie steht es um die Beziehung zum Partner oder zu den Kindern? Zu Freundinnen und Arbeitskollegen?
Und schliesslich existiert auch eine gesellschaftliche und damit eine politische Dimension. Wie werden Frauen in der Pubertät und wie in der Lebensmitte wahrgenommen? Gelten sie als wichtig? Wie viel Raum lässt man ihnen für diese Zeiten des Umbruchs? Macht man ihnen Mut, werden sie gefördert und wertgeschätzt?
Wie können Väter ihre Teenager und wie ihre Partnerin unterstützen?
Zunächst indem sie wissen und verstehen, was sich da abspielt. Während die Pubertät als turbulente Umbruchzeit anerkannt ist und es dafür zahlreiche Anlaufstellen gibt, finden die Wechseljahre, insbesondere in der Arbeitswelt, noch viel zu wenig Beachtung und Unterstützung. Väter können sich gesellschaftspolitisch für die Sensibilisierung der Wechseljahre einsetzen.
Dann können Care-Arbeit und Mental Load durchleuchtet und neu verhandelt werden. Wo im Haushalt kann der Vater verstärkt Aufgaben übernehmen? Stimmt das aktuelle Arbeitspensum noch oder könnte es angepasst werden? Ich kenne Elternpaare, bei denen die Mutter in der Perimenopause ihr Pensum erhöht und der Vater seines reduziert hat. Das hat das Familienklima deutlich verbessert.
Bis vor wenigen Jahren war das Thema Menopause ein Tabu. Kann das wachsende Bewusstsein dafür auch eine Chance für Mütter und ihre Teenager sein?
Wechseljahre treffen auf Pubertät: Da betreten wir Neuland. Ist das nicht aufregend? Ich sehe es auch als Chance für die Mutter-Teenager-Beziehung, wenn man im selben Boot sitzt und sagen kann: Ich verstehe dich sehr gut, dein emotionales Auf und Ab, deine Unsicherheiten und Zukunftsängste. Deine unregelmässige Periode. Die krassen körperlichen und mentalen Veränderungen. Es geht mir ähnlich.
Wie kann ich als Frau in Würde älter werden? Da gibt es noch viel Luft nach oben.
Wann wird es problematisch?
Viele Mütter erfahren die Wechseljahre als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Zu vieles hat sich im Familienalltag über die Jahre angestaut. Problematisch wird es, wenn Mütter sich innerlich zurückziehen und isolieren. Sich im Kummer vergraben und den Dialog verweigern. Oder wenn sie sich umgekehrt auf eine Mission begeben, bei der sich beispielsweise alles nur noch um Yoga und vegane Ernährung dreht, während der Teenager achselzuckend Fastfood konsumiert. Da sind Konflikte vorprogrammiert. Aber auch, wenn sich die Rollen vertauschen: Nicht der Teenager muss Verständnis haben für die Mutter, sondern die Mutter für den Teenager.
Die Wechseljahre können auch verdrängt werden.
Und grosse Ängste in Bezug auf den eigenen Körper, das Altern, die Attraktivität oder Sexualität auslösen. Das kann sich in einem verkrampften Jugendkult äussern, indem die Mutter optisch mit der Tochter konkurriert. Was dem Abnabelungsprozess wenig dienlich ist. Verdrängen führt in die Einsamkeit. Die zentrale, auch gesellschaftliche Frage bleibt: Wie kann ich als Frau in der Lebensmitte in Würde älter werden? Da gibt es noch viel Luft nach oben.
Was ist für Mütter schwierig auszuhalten?
Das ist sehr individuell. Eine Freundin erzählte mir kürzlich, dass sie bei ihrer Teenagertochter dieselben Beziehungsmuster beobachte: Auch sie habe sich der ersten Liebe völlig untergeordnet. Zuzuschauen, wie das Kind eigene Fehler wiederholt, kann sehr schmerzhaft sein.
Hinzu kommt, dass es nicht mehr bemuttert werden will.
Ja, diese Rolle löst sich auf. Wie kann ich jetzt für meinen Teenager da sein? Wer bin ich, wenn ich nicht mehr das Kochen-Waschen-Tränenputzen-Kuscheln-Vorlesemami bin? Wie fülle ich meine Zeit, wenn die Kinder autonomer werden? Sich hier ehrliche Antworten zu geben, beugt dem Empty-Nest-Syndrom vor.

Womit kämpfen Mütter in den Wechseljahren aus Ihrer Sicht am meisten?
Gravierend finde ich die wachsende Sandwichsituation, in der sich viele von ihnen befinden: eingeklemmt zwischen Job und Haushalt, pflegebedürftigen Eltern und pubertierenden Kindern in der Berufswahl. Viele Frauen schlafen in dieser Lebensphase auch schlecht. Und das, obwohl ausreichender und erholsamer Schlaf in der Perimenopause immer wichtiger wird.
Das Thema Schlaf scheint Mütter ab Geburt ihres Kindes immer wieder in neuen Formen einzuholen.
Das ist so. Ich kenne viele, die erst einschlafen können, wenn der Teenager nach dem Ausgang sicher nach Hause gekommen ist. Sich permanent Sorgen zu machen, dass dem Kind etwas passieren könnte, schafft wiederum ein Angstklima, das Konfliktherde nährt.
Was hilft ihnen in solchen Situationen?
Auch mit dem Teenager ehrlich über die eigenen Gefühle und Sorgen reden. Sich öffnen für eine Kommunikation auf Augenhöhe. In Bezug auf den Schlaf: Powernaps über den Tag verteilt bewirken viel Positives. Sie helfen übrigens auch bei Hitzewallungen.
- Die Prämenopause verorten die einen Fachpersonen auf die fruchtbaren Jahre der Frau von der Menarche, also der ersten Menstruation, bis Mitte 30. Dort beginnt das erste der zwei weiblichen Sexualhormone, das Progesteron, zu sinken. Andere bezeichnen die Phase ab 35 bis zum Beginn der Perimenopause Anfang 40 als Prämenopause.
- Perimenopause ist eine andere Bezeichnung für Wechseljahre. In dieser Phase, die durchschnittlich Anfang/Mitte 40 beginnt und bis zur Menopause ungefähr zehn Jahre dauert, sinkt die Konzentration des zweiten weiblichen Sexualhormons, des Östrogens. Aufgrund des Abbaus beider Hormone können zahlreiche Beschwerden auftreten.
- Die Menopause bezeichnet lediglich die letzte Regelblutung, wenn zwölf Monate lang keine Blutung mehr nachgekommen ist. Das heisst, diese Phase dauert nur ein paar Tage. Die durchschnittliche Schweizer Frau hat die Menopause mit 52 Jahren.
- Die Phase der Postmenopause kann wiederum 10 bis 15 Jahre dauern. Hier kommt der Hormonhaushalt langsam zur Ruhe. Es können Symptome auftreten, die sich erst jetzt zeigen oder in der Perimenopause dezent waren und nun an Intensität zulegen.
Es gibt zum Glück auch viele heitere Szenen mit Teenagern.
O ja! Wenn die müde Mutter am Abend bereits im Pyjama durchs Haus tapst und der Teenager spontan Freunde mit nach Hause bringt. Oder umgekehrt am Morgen doppelt so viele Paar Schuhe im Hauseingang stehen. Ich finde das Leben mit Teenagern unglaublich bereichernd. Sie halten die ganze Familie auf Trab, bilden eine Brücke zur nächsten Generation mit ihren teilweise völlig neuen Themen und können für Eltern ein geistiger und emotionaler Jungbrunnen sein.
Warum kichern wir zwischendurch nicht einfach mit und lassen uns von dieser jugendlichen Unbeschwertheit mitreissen?
Genau. Wann sind wir so streng mit uns geworden? So humorlos? So realistisch? Wohin sind unsere Träume geflogen? Apropos Träume: Ich ertappe mich dabei, wie ich den Faden zu Jugendleidenschaften wieder aufgreife. Ich hätte gerne wieder einen Töff und nehme seit Kurzem wieder Klavierunterricht.
- Josianne Hosner: Back to the Roots – Zyklisch leben mit immenser Freude. Quittenduft-Verlag 2020, 272 Seiten, ca. 29 Fr.
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