Mach doch, was dir Spass macht!
Nutzen junge Menschen ihre Freizeit und Ferien sinnvoll oder beschäftigen sie sich nur mit Aktivitäten, die zwar Spass machen, aber keinen Lerneffekt haben? Eltern und Kinder haben oft sehr unterschiedliche Ansichten darüber. Die Kinder haben aber meist recht.
Fürsorgliche Eltern möchten unbestritten nur das Beste für ihre Kinder. Sei es in Sachen Bildung, Ernährung oder bei der Freizeitgestaltung. Letztere wird oft wie eine gesunde, ausgewogene Mahlzeit zusammengestellt: viel Gemüse, viel Proteine, etwas Kohlenhydrate und möglichst keinen Zucker. Die vermeintlich ideale Freizeitgestaltung sieht dann in etwa so aus: viel Sport, viel musische Bildung, etwas Fremdsprachenunterricht und möglichst keine Computerspiele.
Um einen Lerneffekt zu erzielen, müssen im Gehirn die emotionalen Zentren aktiviert werden. Das passiert, wenn uns etwas begeistert.
Doch eine ausgleichende Freizeit gibts nicht auf Rezept, und nicht alle Kinder brauchen dasselbe. Viel wichtiger ist, dass Kinder und Jugendliche das machen können, was ihnen Spass macht. Ihre Bedürfnisse, gerade wenn es darum geht, wie sie ihre Freizeit gestalten möchten, gilt es ernst zu nehmen. Diese Haltung hat aber nichts mit antiautoritären, alternativen Erziehungsmethoden zu tun, sondern mit neurobiologischen Prozessen – sie ergibt aus wissenschaftlicher Sicht durchaus Sinn. Der deutsche Neurobiologe und Autor Gerald Hüther beschreibt den Prozess des Lernens als eine Veränderung von Netzwerken im Gehirn. Diese Veränderung komme durch positive Erlebnisse zustande. Um einen Lerneffekt zu erzielen, müssen im Gehirn die emotionalen Zentren aktiviert werden. Das passiert nur dann, wenn uns etwas begeistert.
Raum zum Probieren und Scheitern
Dann schüttet das Mittelhirn neuroplastische Botenstoffe aus, die neue Verbindungen schaffen. Mittlerweile ist bekannt, dass das Gehirn für einen nachhaltigen Lernerfolg zwingend Pausen braucht, ja, sich regelrecht langweilen muss. Nur so können die neuen Verknüpfungen im Gehirn ausgebaut und gestärkt werden. Der Mensch braucht also gleichermassen Begeisterung und Entspannung, wenn er sich weiterentwickeln will. Daher setzt Hüther auf Kreativität und Begeisterung anstatt auf Leistungsdruck und Stress. Eine «sinnvolle Freizeitgestaltung » kann also ganz unterschiedlich aussehen. Sinnvoll ist das, was das Kind gerne tut – und ihm natürlich nicht schadet. Freude und Freiwilligkeit sind dabei wichtige Faktoren. Angst und Zwang lassen den Menschen erstarren und ersticken jegliche Kreativität.
«Wir Erwachsene müssen lernen, die Kinder so anzunehmen, wie sie sind, und nicht, wie wir sie haben wollen.»
Insbesondere Kinder müssen den Raum erhalten, ausprobieren zu können, nach neuen Wegen zu suchen und vor allem scheitern zu dürfen, ohne die stete Angst im Nacken zu haben, dass ein vermeintlicher Misserfolg negative Konsequenzen haben könnte. Wir Erwachsenen müssen lernen, die Kinder so anzunehmen, wie sie sind, und nicht, wie wir sie haben wollen. Das erhöht deren Selbstwert ungemein, was wiederum eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches und glückliches Erwachsenenbeziehungsweise Berufsleben ist. Die Wahl eines Hobbys sollte also nicht von den Eltern für die Kinder getroffen werden.
Doch Freizeit und Ferienaktivitäten sollen Jugendliche nicht nur in ihrer kognitiven Entwicklung fördern, sondern auch in ihrer sozialen und persönlichen Entfaltung. Soziale Kontakte sind für junge Menschen besonders wichtig. Sie wollen sich einer Gemeinschaft zugehörig fühlen und für sie als zukünftige Erwachsene ist es wichtig, verantwortungsbewusste und partizipierende Mitglieder einer solchen Gemeinschaft zu werden. Auch dafür brauchen sie Zeit, um sich in ihren Gruppierungen oder Vereinen zu engagieren. Die Teilhabe an einer Freizeitbeschäftigung in einer Gruppe fördert den Gemeinschaftssinn, die Empathie und kann, je diverser solche Gruppen zusammengesetzt sind, Vorurteile gegenüber anderen abbauen. Das sind wichtige Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben.
Lukrecija Kocmanic ist Leiterin Freizeit im Kinderdorf Pestalozzi.
Über die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi ist ein international tätiges Kinderhilfswerk. Seit 1946 stehen Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Das Kinderdorf in Trogen ist ein Ort der Friedensbildung, an dem Kinder aus der Schweiz und dem Ausland im
Austausch lernen, mit kulturellen und sozialen Unterschieden umzugehen. In zwölf Ländern weltweit ermöglicht die Stiftung benachteiligten Kindern den Zugang zu qualitativ guter Bildung.
www.pestalozzi.ch