«Ich lebe bei Mami – und bei Papi» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Ich lebe bei Mami – und bei Papi»

Lesedauer: 4 Minuten

Seit 2017 ist die alternierende Obhut explizit im Zivilgesetzbuch aufgeführt. In diesem Fall leben die Kinder nach einer Scheidung abwechselnd bei der Mutter und beim Vater. Welche Vorteile bietet diese Betreuungsform?

Als werdendem Vater war Robert klar, dass er seine Tätigkeit als Informatiker reduzie­ren wird. Seine Frau Mara wollte in ihrem Beruf als Buchhalterin in einem kleinen KMU Teilzeit weiterarbeiten. Bei der Ge­burt des ersten Kindes reduzierte Robert sein Arbeitspensum auf 80 Prozent, Mara senkte ihre Tätigkeit zuerst auf 20 Prozent, stockte später, nachdem für das zweite Kind die obligatorische Schulzeit begonnen hatte, auf 40 Prozent auf. An einem von Maras beiden Arbeitstagen blieb Robert zu Hause bei den Kindern, den zweiten verbrachten die Kinder bei einer Tagesmutter, die in der Nachbarschaft wohnt.

Verschiedene Modelle der Kindesobhut 

Mittlerweile sind die Kinder zehn und sieben Jahre alt, und die Ehe ihrer Eltern kriselt: Robert und Mara wollen sich trennen. Nachdem diese wichtige Entscheidung gefallen ist, beginnt die Diskussion um die Re­organisation ihres Familienlebens. Robert will auch zukünftig seinen «Papitag» wahrnehmen. Noch lieber würde er jedoch seine Betreuungs­zeit ausweiten und sein Arbeitspen­sum weiter reduzieren. Mara ist zwar froh um seine Unterstützung, ist sich aber auch im Klaren darüber, dass durch die Trennung Zusatzkosten für zwei getrennte Haushalte anfal­len werden.

Trennen sich die Eltern, steht nebst den finanziellen Sorgen häufig die Reorganisation der Kinderbetreuung im Raum. Die Eltern sind an sich in der Gestaltung sehr frei. Sind sie sich einig, wird das Gericht oder die Kindesschutzbehörde die Betreuungsaufteilung nicht infrage stellen – soweit nicht ersichtlich ist, dass das Kindeswohl darunter leiden wird. Gemeinhin wird unterschie­den zwischen dem Residenzmodell, dem Nestmodell und der alternierenden Obhut.

Beim Nestmodell bleiben die Kinder in der Wohnung, und die Eltern wechseln sich ab.

Das Residenzmodell vermittelt dem Kind einen klaren Lebensmit­telpunkt bei einem Elternteil. Zu bestimmten Zeiten «besucht» das Kind den anderen Elternteil bei ihm zu Hause und verbringt in den Feri­en Zeit mit ihm. Viele Scheidungs­eltern wählen das Residenzmodell, etwa weil es der zuvor gelebten Rol­lenverteilung entspricht oder weil die geografische Distanz zwischen den Wohnorten der Eltern kein an­deres Betreuungsmodell erlaubt.

Beim sogenannten Nestmodell bleiben die Kinder in derselben Wohnung respektive in demselben Haus, und die Eltern wechseln sich dort mit der Betreuung der Kinder ab. Gleichzeitig tragen die Eltern also Verantwortung für zwei Haus­halte – denjenigen der Kinder und den jeweils eigenen.


Dieses Modell wäre für die Kinder von Vorteil, da sie immer in derselben Umgebung bleiben dürfen. Für die Eltern stehen jedoch hohe Anforderungen im Raum: Mutter und Vater müssen einerseits über grosszügige finanzi­elle Ressourcen verfügen, anderer­seits eine ausserordentlich gute Kooperationsfähigkeit mitbringen, müssen sie doch abwechselnd, in permanenter Absprache miteinan­der, den Kinderhaushalt weiterführen. Daher wählt kaum eine Familie diese Betreuungsform.

Die alternierende Obhut verlangt eine Flexibilität von den Kindern.

Die alternierende Obhut zielt auf eine zeitlich ausgewogene Betreu­ung der Kinder durch beide Eltern­ teile. Die Kinder wechseln in regel­mässigem Abstand – häufig alle paar Tage oder jeweils nach einer Woche – vom einen zum anderen Elternteil. Von den Kindern verlangt diese Lösung eine gewisse Flexibilität, die je nach Persönlichkeit mehr oder weniger vorhanden ist. Durch die häufigen Wechsel zwischen den Elternteilen muss vor allem bei jungen Kindern ebenfalls eine konflikt­freie Übergabe möglich sein.

Online-Dossier Trennung:

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Dieser Artikel gehört zu unserem Online-Dossier Trennung. Lesen Sie weitere Artikel und Tipps, wie Eltern es schaffen, nach einer Trennung als Familie weiter zu bestehen und sich zum Wohle des Kindes zu verhalten. 

Wie sieht das Antragsrecht für alternierende Obhut aus?

Mit den Bestimmungen zum Kin­desunterhalt, die seit dem 1. Januar 2017 gelten, wurde ein ausdrückli­ches Antragsrecht für die alternie­rende Obhut in das Zivilgesetzbuch eingeführt. Stellt ein Elternteil einen entsprechenden Antrag, ist dieser von den Gerichten zu prüfen. Dabei hat das Gericht oder die Behörde eine Prognose zu fällen, ob die von den Eltern gewählte Betreuungs­lösung dem Kindeswohl entspricht.

Um diese Prognose fällen zu kön­nen, zieht das Gericht einen breiten Katalog an Kriterien heran. Auf der Elternseite müssen Vater und Mut­ter ihre Kinder den Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechend erzie­hen können. Sie müssen in dem Ausmass gemeinsam Absprachen treffen und zusammenarbeiten kön­nen, das eine gemeinsame (Kinder­) Alltagsbewältigung erlaubt. Eine abwechselnde Betreuung verlangt in höherem Mass organisatorische Absprachen und gegen­seitige Information als die anderen Betreuungsformen. Je höher der Koordinationsbedarf – vor allem bei jüngeren Kindern – ist, desto höher sind die Anforderungen an die Eltern.

Der Schulweg muss bewältigt werden können

Robert und Mara stellen die Erzie­hungsfähigkeit des anderen nicht infrage. Sie sind sich ebenfalls be­wusst, dass sie ihre Eheprobleme nicht auf die Kinder übertragen wol­len. Insofern können sie sich sachlich über ihre Kinder austauschen und dem anderen die notwendigen Infor­mationen mitteilen. 

Weiter muss die geografische Distanz zwischen den Wohnorten so gering sein, dass die Kinder den Schulweg von beiden Wohnorten bewältigen können.

 Robert ist gern bereit, im gleichen Quartier eine Wohnung zu suchen, damit die Kinder problemlos zwi­schen den Wohnungen pendeln können.

 Mit dem Verbleib im gleichen Quartier würde auch einem weite­ren Kriterium, nämlich der Stabilität im sozialen Umfeld und einer mög­lichst persönlichen Betreuung durch die Eltern, entsprochen. Für die Kinder wären immer noch diesel­ben Betreuungspersonen verantwortlich. Ist für Kinder bereits die Trennung der Eltern eine Belastung, erschwert darüber hinaus ein allfäl­liger Wechsel ihres sozialen Umfelds und ihrer Betreuungsstrukturen die Verarbeitung dieser herausfordern­ den Neuorganisation der Familie.

Die Gerichte haben die Wünsche der Kinder zu berück­sichtigen.

Robert und Mara besprechen gemeinsam mit ihren Kindern ihre Vorlieben und Wünsche. So berücksichtigen sie in ihrer Betreuungs­lösung etwa, dass ihr Sohn auch weiterhin am Samstag und zweimal unter der Woche Fussball spielen will. Auch die Gerichte haben bei einer hoheitlichen Entscheidung die Wünsche der Kinder zu berück­sichtigen. Können sich Robert und Mara gemeinsam auf eine Vereinba­rung einigen, die auch den Bedürf­nissen und den Wünschen der Kin­der entspricht, so wird eine wichtige Grundlage für eine nachhaltige Lösung gelegt.

Ideale Voraussetzungen für alternierende Obhut:

  • Vater und Mutter können ihr Kind an dessen Bedürfnissen und Fähigkeiten orientiert erziehen. 
  • Die Eltern können betreffend Fragen der Kinder zusammenarbeiten und miteinander sprechen. 
  • Die geografische Distanz zwischen den Eltern lässt eine alternierende Betreuung zu. • Die persönliche Betreuung der jungen Kinder beziehungsweise bei zunehmendem Alter die Stabilität des sozialen Umfelds wird durch diese Lösung gewahrt. 
  • Der Wunsch des Kindes darf ebenfalls in den Entscheid einfliessen.

Je nach Alter erhalten die verschiedenen Voraussetzungen ein anderes Gewicht. Der Entscheid hat sich nicht an den Interessen der Eltern, sondern am Wohl des Kindes auszurichten.

Zur Autorin:

Gisela Kilde , Dr. iur., ist Koordinatorin und Lehrbeauftragte am Institut für Familienforschung und -beratung an der Universität Freiburg.
Gisela Kilde , Dr. iur., ist Koordinatorin und Lehrbeauftragte am Institut für Familienforschung und -beratung an der Universität Freiburg.