Hochbegabt – na und?

Fotos: Gabi Vogt / 13 Photo
«Der klassische IQ-Test greift viel zu kurz»
ihrer Forschung. Der neunjjährige Jeremia untersucht momentan den Körper von Salzwasserkrebsen. Die Tierchen sind nur wenige Millimeter lang. Sie zu untersuchen, braucht Geduld und technische Hilfsmittel. Jeremia präsentiert ein stark vergrössertes Foto. «Ich habe diese Härchen hier entdeckt. Die haben wir vorher noch nie gesehen. Wir vermuten, dass nur die Männchen solche Härchen am Körperende haben.» – «Das wäre natürlich spannend», sagt Karol, 11 Jahre, «das wäre ein weiteres Merkmal für die Geschlechterunterscheidung. »
Dossier: Hochbegabung
«Der grösste Unterschied zum Unterricht in der Regelklasse ist, dass wir hier viel mehr Zeit haben. Wir können uns viel länger einem Thema widmen. Dieses Setting lässt es auch zu, dass die Kinder Misserfolge haben, dass sie mit ihrer Forschung in eine Sackgasse geraten. Solche Prozesse brauchen Zeit, sind aber enorm lehrreich.» Hinter all dem steht für Thomas Berset ein Ziel: «Im Grunde geht es darum, die hochbegabten Kinder anzustacheln und für die Welt der Wissenschaft zu begeistern.» Derweil werkeln die Schüler im Atelier Plus in Zweierteams an ihren Aufgaben. Es sind ausschliesslich Knaben. Das einzige Mädchen ist heute am Skitag. Der elfjährige Karol programmiert eine Webseite. Zusammen mit einem anderen Schüler hat er im Tierpark stundenlang die Fütterung von Steinböcken beobachtet und verhaltensbiologisch untersucht.
Jeremia, Karol und Noel im Interview
«Als er etwa fünf Jahre alt war, besuchte er zusammen mit einem Kind aus dem Dorf einen Schnuppernachmittag eines Bewegungs- und Musikkurses. Er hat dort sofort mitgemacht, während das andere Kind nur bei seiner Mutter sass. Am Schluss sagte Noel, es habe ihm nicht so gefallen, er wolle nicht wieder hingehen. Sogar wenn für ihn nicht alles hundertprozentig passt, hat er kein Problem, sich sofort in einer neuen Gruppe zurechtzufinden.»
Es sei schon wichtig, dass man dranbleibe, ergänzt seine Frau: «Wenn er jetzt nicht lernt zu lernen, dann wird es für ihn später schwierig.» «Hochbegabte müssen nicht nur lernen zu lernen, sondern auch lernen zu scheitern», sagt Victor Müller-Oppliger. Früher oder später kommt auch ein hochbegabtes Kind an einen Punkt, an dem es nicht sofort weitergeht. «Irgendwann kann hohe Leistung nur mit harter Arbeit erreicht werden. Dazu gehören auch immer Misserfolge. Nur wenn ein Kind genug früh auf seinem Niveau herausgefordert wird, lernt es, dass Scheitern dazugehört.» Kann Noel überhaupt noch Kind sein? «Definitiv, zum Kindsein braucht er keine Förderung. Er liebt Sport oder blödelt rum, was Kinder halt so machen», sagt Cornelia Hohl. «Uns ist aber auch wichtig, dass er sich auch neben der Schule engagiert und Kinder trifft. Im Chor oder im Fussball.» Noel, der bis jetzt zugehört hat, schaltet sich ein: «Im letzten Fussballmatch gewann unser Team acht zu eins. Ich habe sieben Tore geschossen! »
Jeremia, Karol und Noel im Interview:
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Jeremia, 9 Jahre alt: «Am liebsten schreibe ich an meiner Geschichte»Jeremia, was machst du in deiner Freizeit? Am liebsten schreibe ich an meiner Geschichte. Es geht um vier Jugendliche und um Monster. Die Jugendlichen haben Elementarkräfte, damit müssen sie die Monster besiegen. Welches ist dein Lieblingsfach? Mensch und Umwelt gefällt mir am besten. Oder auch Deutsch, je nachdem, was für ein Thema wir gerade haben. Einmal hatten wir Abenteuergeschichten, das fand ich cool. Wie hat man gemerkt, dass du hochbegabt bist? In der ersten Klasse war ich einfach immer viel schneller als die anderen. Wie ist es, hochbegabt zu sein? Mir gefällt das gut. Man ist anders als die anderen und darf ins Atelier Plus gehen. Was gefällt dir besonders gut im Atelier Plus? Am besten gefällt mir, wenn ich beim Forschen einen Fortschritt erziele. Was möchtest du einmal werden? Autor oder Schauspieler. Nicht Forscher? Vielleicht, mal schauen.1/3 -
Karol, 11 Jahre alt: «Ich will später Millionär werden»Karol, was machst du in deiner Freizeit? Ich spiele Tennis und gehe ins Karatetraining. Und ich nehme Gitarrenunterricht. In der Freizeit spiele ich auf dem Computer oder gehe raus mit Freunden. Welches ist dein Lieblingsfach? Sport, es ist eine gute Abwechslung zum vielen Sitzen in der Schule.Wie hat man gemerkt, dass du hochbegabt bist? In der ersten Klasse war ich einfach etwas besser, war immer schneller mit den Arbeitsblättern. Wie ist es, hochbegabt zu sein? In den Filmen werden die Hochbegabten immer ausgeschlossen, aber bei mir ist das nicht so. Ich habe viele Freunde und mir gefällt es, ins Atelier Plus zu gehen. Was gefällt dir besonders gut im Atelier Plus? Mir gefällt, dass der Lehrer die Antwort auf unsere Fragen manchmal selber nicht weiss, dann können wir etwas Neues erforschen. Was möchtest du einmal werden? Anwalt oder Bankdirektor. Am liebsten aber Millionär. Nicht Forscher? Vielleicht, aber eher nicht.2/3 -
Noel, 9 Jahre alt: « In Mathe hatte ich noch nie eine Note unter Sechs» Noel, was machst du in deiner Freizeit? Ich bin im Fussballklub und singe einmal die Woche in einem Chor. Ausserdem spiele ich gerne Tennis und falte Origamifiguren aus Papier.Welches ist dein Lieblingsfach? Ich mache alles gerne, aber Mathematik ist klar das Lieblingsfach, dort hatte ich noch nie eine Note unter einer Sechs.Wie hat man gemerkt, dass du hochbegabt bist?Ich konnte im Kindergarten schon plus- und malrechnen.Wie ist es, hochbegabt zu sein? Ich finds cool, vieles fällt mir leicht.Was gefällt dir besonders gut im Atelier Plus? Dass wir richtig forschen können. Am besten hat mir gefallen, als wir unsere Forschungsergebnisse mit einem Vortrag an der Uni Freiburg vorstellen durften. Was möchtest du einmal werden? Flight-Attendant, weil das auch meine Mami ist und weil ich gerne fliege. Oder sonst Sänger. Nicht Forscher? Vielleicht, das kann ich noch nicht sagen.3/3
Hochbegabtes Kind? Was Eltern wissen müssen
- Interessiert sich Ihr Kind auffällig früh für die verschiedensten Themen oder ist es den anderen Kindern allgemein weit voraus, könnte es hochbegabt sein.
- Im Zweifelsfall kann eine Abklärung helfen. Solche Abklärungen macht zum Beispiel der schulpsychologische Dienst.
- Ist Ihr Kind hochbegabt, informieren Sie die Schule und suchen Sie gemeinsam nach Möglichkeiten, Ihr Kind zu fördern.
- Geben Sie Ihrem hochbegabten Kind die Chance, Kind zu bleiben. Unterstützen Sie auch Interessen des Kindes, die nicht die Schule betreffen
«Hochbegabte Kinder gibt es überall»
Adrian Dummermuth, warum haben Sie damals mit der Hochbegabtenförderung begonnen?
Die Finanzierung war nie ein Problem?
Wird in der Schweiz genug unternommen in Sachen Hochbegabtenförderung?
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