Deep Work? Mikael Krogerus übers Homeschooling
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Für den heimischen Fernunterricht holt sich unser Kolumnist Hilfe aus dem Silicon Valley. Sein Fazit nach drei Wochen.
Es sind Frühlingsferien. Und damit: Pause vom Homeschooling. Inzwischen hat wohl jeder und jede einen Weg gefunden, damit falsch umzugehen. Ich kann rückblickend auf die letzten drei Wochen eigentlich nur eines sagen: Ich habe einen ungeheuer grossen Respekt vor Lehrpersonen bekommen.
Zugleich war es ein interessantes Experiment. Denn man kann beim Homeschoolen eine Menge über sich selbst lernen. Hast du Geduld? Kannst du Quader berechnen? Wie bildet man den Subjonctif? Kommt da ein Komma? Was ist ein fakultatives Referendum? Hast du Geduld?
Aber ein bisschen, muss ich gestehen, hat es auch Spass gemacht, die uralte Frage, die mich schon seit meiner eigenen Schulzeit umtrieb, probeweise beantworten zu dürfen: Wie sähe ein Stundenplan aus, wenn ich ihn selber bestimmen könnte?
Deep work, das ist jene Arbeit, bei der wir vertieft sind und alles um uns herum vergessen.
Die allerste Massnahme: Die Schule begann erst um 9 Uhr 30. Aber was dann? Ich betrachte mit unserer Tochter die kryptischen Aufgaben und Lernanforderungen, die stossweise per Mail und Whatsapp aus der Schule eintrudelten. Wirklich?, fragte ich mich, wirklich einfach die Auflagen der Schule befolgen und diese einmalige Chance verstreichen lassen, einen eigenen Stundenplan zu bauen? Auch die Tochter schaute etwas missmutig.
Da fiel mir ein, dass ein Bekannter von mir mit einer dieser Zukunftsschulen im Silicon Valley verbunden war. Ein paar Telefonate später schickte er mir ein Dokument, das die Schule ihren Lehrerinnen und Lehrern für den Lockdown mitgegeben hatten. Es trug den doppeldeutigen Titel: «This is a trying time for everyone».
Ausprobieren für alle. Das gefiel mir. Während des Lockdowns, las ich, müssten die Kids nicht unbedingt streng den Schulstoff lernen, sie sollten eher das üben, was man «Deep Work» nennt.
«Deep work», das ist jene Arbeit, bei der wir vertieft sind und alles um uns herum vergessen. Dem gegenüber steht «Shallow Work», also Arbeiten, bei denen wir uns leicht ablenken lassen. Und während des Lockdown solle man doch mal herausbekommen, bei welchen Tätigkeiten, die Kinder ins «Deep Work«» finden.
Aber was ist mit den richtigen Fächern, Mathe zum Beispiel? Hier gab es den nächsten sensationellen Tipp: Egal, wie alt das Kind ist, beginnen Sie mit Erste-Klasse-Aufgaben, danach solche aus der zweiten Klasse, dann aus der dritten und so weiter. Mit der Folge, dass meine Tochter plötzlich so schnelle Fortschritte macht wie nie zuvor. Mathe als leicht empfand, und vor allem, sich in die Aufgaben vertiefte. Langsam begann ich zu verstehen, worauf die Schule hinauswollte.
Und so sah dann ein Schultag bei uns aus: Anfänger-Mathe, Stricken (eine Tätigkeit, die unsere Tochter liebt), Tagebuchschreiben, Klimmzüge, Buch lesen, Film schneiden, Singen mit der Mutter, nicht-jugendfreie-Serie schauen mit dem älteren Bruder. Ich war nicht ganz sicher, ob das mit der Schweizer Schulordnung konform war. Ich war allerdings auch nicht ganz sicher, ob es die Schweizer Schulordnung nach dem Ende von Corona noch geben würde. Das Ergebnis: Unsere Tochter war tatsächlich mehrere Stunden pro Tag im Deep-Work-Modus.
Und dann, nach einigen Tagen, brach alles zusammen. Ihre Schule begann nachzufragen, wo denn die Aufgaben blieben? Also stellten wir um auf Normalbetrieb, und ich wurde zu einem zunehmend frustrierten Vater, der eine zunehmend frustrierte Tochter zwang, Dinge zu lernen.Immerhin hatten wir es mal für einen Augenblick. Das bleibt.