Auf Safari im Schulbiotop
Immer wieder passen sich Eltern und Lehrer veränderten Lebensbedingungen an. Dabei haben sie eine erstaunliche Artenvielfalt entwickelt – eine Übersicht typischer Spezies.
Die Eltern
Die Engagierte
Und so paukt sie Formeln, Jahreszahlen und Vokabeln mit ihm und geht, wenn es sein muss, in einer Nachtschicht noch mal verbessernd über das Referat für den nächsten Tag. Entsprechend hart trifft sie eventueller schulischer Misserfolg. Bei all dem Engagement bleibt dann nur noch die Hoffnung, die schlechten Noten durch ADHS, Legasthenie, Dyskalkulie oder unerkannte Hochbegabung rechtfertigen zu können. Aber das Einzige, was Psychologen und Ärzte ihrem Kind attestieren können, sind durchschnittliche Faulheit und überdurchschnittliche Verwöhntheit.
Hat das Kind den Schulabschluss, muss die Engagierte ihr Burn-Out kurieren.
Lieblingslehrer: Der Idealist. Mit ihm tauscht sie beim Sommerfest Kuchenrezepte aus, und er ist auch der einzige Lehrer, den sie jederzeit auf dem Handy anrufen kann, wenn sie mit den Hausaufgaben des Kindes nicht weiterkommt.
Der Passive
Der Passive weiss zwar grob, wo das Schulgebäude liegt, aber nicht, wie der mit drei Buchstaben abgekürzte Schulname ausgesprochen lautet. Und ob das Kind nun in der 9a oder in der 9b ist, ist seiner Meinung nach absurdes Detailwissen. Er hat zwar auch keinen Schimmer, welches Jahrhundert der Nachwuchs gerade in Geschichte behandelt, aber zu Hause klopfter dem über die Schulhefte gebeugten Kind hin und wieder auf die Schulter und sagt ermutigend: «Sehr gut, mach weiter so.» Macht das Kind in der Schule Probleme, reagiert er mit einem hilflos-überforderten Achselzucken und antwortet: «Was will man machen, das Kind ist nun einmal so.»
Sollte er versehentlich in die Planungssitzung des Schulsommerfestes geraten sein, sitzt er in der letzten Reihe, und kurz bevor die Aufgaben verteilt werden, huscht er, Entschuldigungen nuschelnd, auf die Toilette. Bis er wieder da ist, hat die Engagierte alle noch offenen Arbeiten übernommen. Für den Passiven ändert sich nach dem Schulabschluss des Kindes nicht viel. Dass der Nachwuchs nun an der Uni ist und irgendwas mit «…wissenschaften» studiert, registriert er allerdings insofern wohlwollend, als dass ihn nie wieder jemand zwingt, mit Lehrkräften darüber zu reden.
Lieblingslehrer: Och, dieser eine da, der Herr Dingsbums, der mit dem Pulli und den Haaren, der schien doch ganz in Ordnung zu sein.
Der Ankläger
Da es ihm blöderweise nicht zusteht, den Lehrer wegen Unfähigkeit zu feuern, bleibt ihm als Sanktionsmassnahme nur die Androhung eines «juristischen Nachspiels». Bei der Planung des Sommerfestes bringt er seinen Laptop mit und wirft per Beamer eine Präsentation an die Wand, die erklärt, wie die gleiche Arbeit von weniger Leuten effektiver erledigt werden kann. Hat das Kind trotz unfähigen Lehrpersonals sein Abitur geschafft, ist der Ankläger erleichtert. Ab jetzt wird alles besser: Der Sohn wird in des Vaters ehemalige Studentenverbindung geschleust, und ab da kümmern sich die Alten Herren und Geschäft spartner des Vaters darum, dass die Karriere läuft .
Lieblingslehrer: Der Idealist, weil der sich so herrlich leicht einschüchtern lässt und aus lauter Angst vor dem Ankläger extra eine teure Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat.
Die Ökotussi
Ihr Kind hiess schon Emil, bevor der Name wieder hip wurde, es trägt die Haare lang und muss sie nur kämmen, wenn es sich danach fühlt. Nachdem ihr Kind zweimal eine Vier in Musik hatte, vermutete sie eine Wasserader unter seinem Sitzplatz. Seine Hausaufgaben macht Emil auf einem ergonomischen Kniestuhl hockend – aber nur, wenn er sich danach fühlt. Falls nicht, schreibt sie dem Lehrer eine erklärende Mail über freie Persönlichkeitsentfaltung. Bei der Schulfestplanung plädiert sie für Essensstände mit strikt regional produzierten Biolebensmitteln, und der Kaffee solle bitte «Fair Trade» sein.
Das stets moralisch korrekte Auftreten der Ökotussi führt dazu, dass sich alle anderen Eltern schlecht und schuldig fühlen, weil es sie glauben lässt, sie würden sich nicht richtig um ihre Kinder und die Welt, in der sie einmal leben werden, sorgen.
Lieblingslehrer: Natürlich ebenfalls der Idealist. Mit ihm diskutiert sie darüber, dass beim nächsten Schulausflug unbedingt ein Bus mit Hybridmotor gemietet werden sollte.
Die Lehrer
Die Oberstudienrätin
Müde ist sie sowieso oft, das ist die Resignation. Sie hat aufgegeben, den Schülern noch so etwas wie Respekt beibringen zu wollen, von allein lernen sie es ja eh nicht, und disziplinieren darf sie sie nicht mehr. Stattdessen soll sie in ihren Lateinstunden nun weniger Frontalunterricht und mehr Gruppenarbeit machen. Pädagogik wie im Kindergarten, denkt sie und teilt stumm die Übungsblätter aus. Während die Klasse lärmend diskutiert, rechnet sie im Kopf immer wieder nach, wie viele solcher Stunden sie noch über sich ergehen lassen muss bis zu ihrer Pensionierung.
Trifft die Oberstudienrätin auf Eltern, verliest sie monoton die Zensuren des Kindes und redet nur das Nötigste. Meistens legen die Eltern sowieso keinen Wert auf ihre Auskünfte – dass es gesellschaftlich anerkannt ist, in Latein schlechte Leistungen zu bringen, hat sie inzwischen begriffen. Im Lehrerzimmer sitzt sie meist allein, weil sie mit diesen jungen, engagierten Kollegen nichts anfangen kann. In ihrer Lunchbox liegen täglich eine Scheibe Graubrot mit Bierschinken und ein Apfel.
Der Idealist
Der Idealist möchte ein ratgebender Freund für seine Schüler sein.
Der Nerd
Bei Elternsprechtagen sitzt er ratlos da, weiss nicht, was er sagen soll. Oft meldet er sich krank, was nicht mal richtig gelogen ist, denn der Gedanke an solche zwischenmenschliche Begegnungen macht ihm wirklich Bauchschmerzen. Im Lehrerzimmer sitzt er kichernd mit den Pullunder tragenden Informatikkollegen zusammen – ist er unter seinesgleichen, fühlt der Nerd sich wohl.
Der Exzentriker
Im Unterricht hat der Exzentriker oft starke Stimmungsschwankungen, mal erklärt er sachlich etwas, dann wird er plötzlich laut und ungehalten. Er unterrichtet Chemie, die Schutzbrille vergisst er nach der Stunde oft abzunehmen. Kollegen meiden ihn, was er gar nicht merkt. Über den Exzentriker kursieren wildeste Gerüchte. Finn aus der 8b schwört, er habe ihn mal mit einer toten Katze in der Hand auf der Strasse gesehen. Zu Eltern von Schülern hat der Exzentriker keinen Kontakt – auch die kennen die Geschichten und möchten nicht mit ihm in einem Raum sein.
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Dieser Beitrag ist in «Schule & Familie» erschienen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des ZEIT-Verlags.