«Hilfe, mein Kind vergleicht sich ständig mit anderen!»
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Für unsere Entwicklung ist es wichtig, dass wir uns mit anderen messen. Was aber sollen Eltern tun, wenn das eigene Kind sich ständig vergleicht und daraus Enttäuschung und Frust entstehen?
«Meine Eltern haben das grössere Auto als ihr!» – «Dafür haben wir ein Haus!» – «Aber ein altes! Wir haben eine neue Wohnung und mehr Geld!» Jetzt wurde es schwierig für meinen Onkel: «Dafür hat mein Vater mehr Kinder!» – «Aber wir reisen dafür in den Ferien weiter weg!» Mein Onkel hörte sich fast verzweifelt an, als er seinen letzten Trumpf ausspielte: «Dafür hat mein Vater viel mehr Haare auf dem Bauch als deiner!» Mit dem haarigen Argument hatte mein Onkel, damals fünf Jahre alt, den Schlagabtausch gewonnen.
Eltern fragen mich immer wieder, wie sie ihren Kindern das Vergleichen abgewöhnen und sie darin bestärken können, mehr auf die eigenen Stärken und Fortschritte zu achten.
Bevor ich auf diese Frage eingehe, möchte ich betonen, dass es zur natürlichen Entwicklung eines Kindes gehört, sich mit anderen zu vergleichen und zu messen.
Kleinere Kinder achten vor allem auf äussere Unterschiede.
Jüngere Kinder sind dabei meist noch sehr von sich selbst überzeugt. Und natürlich sind auch ihre Väter die Stärksten und Grössten, das Mami das Schönste. Nach und nach entdecken sie, dass andere in bestimmten Dingen besser abschneiden. Erste Enttäuschungen schleichen sich ein, und gleichzeitig wird das Bild von sich und anderen differenzierter: «Papa, der Papa von Marius ist grösser als du!»
Im Grundschulalter, wenn die Gleichaltrigen wichtiger werden und die Kinder sich und andere immer besser einschätzen können, nimmt das Vergleichen meist zu. Dabei lernen wir uns mit unseren Stärken und Schwächen kennen. Das eigene Bild wird im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte nuancierter und realistischer. Wenn wir Glück haben, gelingt es uns in diesem Prozess, uns selbst immer besser anzunehmen, unsere starken Seiten zur Geltung zu bringen und uns mit unseren Deffiziten und Schwächen auszusöhnen.
Wie soll ich reagieren, wenn mein Kind sich mit anderen vergleicht?
Wenn Kinder dabei schmerzhafte Erfahrungen machen, können wir sie als Eltern begleiten – im Vertrauen darauf, dass Kinder auch mit gelegentlichen Enttäuschungen zurechtkommen.
Als ich nach einem zusätzlichen Kindergartenjahr in die Schule kam, war ich noch immer auffallend langsam und verträumt. Eine wunderbare Lehrerin und meine Eltern bestärkten mich und gaben mir das Gefühl, auf gutem Weg zu sein. Ende der ersten Klasse trug ich stolz mein Zeugnis nach Hause. Ich öffnete den Umschlag kurz vor unserem Haus und betrachtete die zwei Vierer und den Viereinhalber, die in schöner Handschrift eingetragen waren.
Mein bester Freund lief neben mir und schaute sich seines an. Als ich durch das Gartentor zu unserem Haus wollte, meinte er: «Zeig mal deines!» Er hielt die Zeugnisse nebeneinander. Ich sah seine Fünfeinhalber und Sechser und er erklärte mir, dass meine Noten «schlecht» seien. Alle Beteuerungen meiner Eltern, dass eine Vier doch bedeute, dass ich «genügend» sei und sie sich darüber freuten, halfen wenig. Ich wusste nun, wo ich stand.
Vertrauen Sie darauf, dass Ihr Kind stark genug ist, mit Enttäuschungen und Schwächen umzugehen.
In den letzten Jahren konnte ich oft beobachten: Je besser die Eltern eine Enttäuschung und negative Gefühle ihres Kindes aushalten können, desto leichter fällt es dem Kind, damit umzugehen.
Wir können beispielsweise gelassener bleiben, wenn wir mehr auf die Gefühle des Kindes anstatt den Vergleich eingehen. Sagt das Kind, dass es dumm und alle anderen viel klüger seien, reagieren wir meist, indem wir das entschieden zurückweisen: «Du bist doch nicht dumm!» Meist treten wir damit eine Diskussion los, in der sich das Kind auf seinen Standpunkt versteift.
«Du fühlst dich gerade richtig dumm? Das kenne ich.»
Wir können dem Kind auch direkt vermitteln, dass wir ihm zutrauen, mit der Situation umzugehen. Beklagt sich beispielsweise der Sohn darüber, dass die Tochter in der Schule viel besser ist, antworten wir gerne mit einem Satz wie: «Dafür bist du viel besser im Sport.» Damit bleiben wir jedoch im Schema des Vergleichens und zeigen dem Kind indirekt: Es ist eben doch wichtig, besser zu sein.
Unbewusst heizen wir das Vergleichen damit an und reduzieren in diesem Beispiel vielleicht sogar die Motivation für die Schule, weil wir unseren Kindern fixe Rollen zuteilen: der Sportler, die gute Schülern usw. Es kann sein, dass sich die Kinder in der Folge mehr und mehr auf den Bereich zurückziehen, in dem sie glänzen können.
Doch vielleicht hat das Kind ja eine Stärke, die ihm hilft, sich seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Schwäche zu stellen: «Ja, deine Schwester hat es momentan in der Schule leichter. Und weisst du was? Ich bin stolz auf dich, dass du dranbleibst und übst, auch wenn es dir schwerfällt. Du hattest schon immer ein Kämpferherz.»
Kurztipps:
- Vergleiche können schmerzhaft sein. Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie da sind und es diese Gefühle haben darf.
- Falls sich Ihr Kind nur noch intensiver abwertet: Versuchen Sie etwas anderes, indem Sie es beispielsweise fragen, was ihm gut tun würde, oder ihm erzählen, was Ihnen in solchen Momenten hilft.
- Machen Sie Ihrem Kind bewusst, dass es stark genug ist, um mit gelegentlichen Enttäuschungen und eigenen Schwächen umzugehen, anstatt es sofort davon abzulenken.
Zum Autor:
www.mit-kindern-lernen.ch www.biber-blog.com