Was einen guten Vater ausmacht

Bilder: Johan Bävman
Kinder sind Frauensache. Das glaubten bis vor Kurzem auch die meisten Wissenschaftler. Doch seit einigen Jahren geraten zusehends die Männer in den Fokus der Forscher. Väter sind offenbar viel wichtiger für die Entwicklung eines Kindes als lange Zeit vermutet.
Seit mehr als 30 Jahren untersucht sie, was die Väter anders machen als die Mütter, wie sie mit ihren Kindern spielen – und wie wichtig sie für die Entwicklung ihrer Töchter und Söhne sind. «Anfangs hat mich kaum einer von den Kollegen ernst genommen», erzählt Brenda Volling. «Die komplette Forschung drehte sich nur um die Mütter.» Doch die Welt hat sich verändert. Für Familienpsychologen – und für die Familien selbst. Gemeinsam mit ihrer schwangeren Partnerin erleben heute die meisten Männer den Moment, in dem das Bild ihres Kindes zum ersten Mal auf dem Monitor eines Ultraschallgeräts erscheint.
Heute kuscheln mehr als 84 Prozent der Väter mit ihren Kindern und stellen darüber eine körperliche Nähe her.
Aber was heisst es heute, ein «guter Vater» zu sein? Immer neue wissenschaftliche Studien geben darauf überraschende Antworten. Und auch die Vernetzung zwischen den Wissenschaftlern wird zunehmend besser. So haben Forscher aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland ein eigenes Netzwerk namens CENOF gegründet. Die Abkürzung steht für «Central European Network on Fatherhood».
Väter sehen sich selbst oft als eine Art Aushilfs-Babysitter
So bestreitet heute kaum noch ein Psychologe, dass Kinder von ihren Vätern in einem unglaublichen Masse profitieren. Doch die Daten beleuchten auch eine komplett andere Seite des Familiensystems: Väter sehen sich selbst oftmals noch als Bezugsperson zweiter Klasse, als eine Art Aushilfs-Babysitter für die Zeiten, in denen Mama gerade nicht kann.

Sechs verschiedene Grundsätze bündeln die Erkenntnisse der aktuellen Forschung. Nicht alle klingen besonders neu oder revolutionär. Doch sie erklären, warum die allermeisten Väter mit dem, was sie tun, genau auf dem richtigen Weg sind.
1. Gute Väter sind gute Partner
Diese «erste Beziehung» scheint auf naturgegebene Weise die Beziehung zur Mutter zu sein. Klar: In ihrem Bauch wächst das Kind heran. Aus ihr wird es geboren. Von ihr wird es gestillt. Sie gibt dem Kind die Geborgenheit, die es braucht. Der Vater – so die traditionelle Aussage der Bindungstheorie – soll seine Partnerin unterstützen, wo er kann, und ihr das Leben leichter machen.
«Die Väter haben noch immer nicht bemerkt, wie wichtig sie sind.»
Brenda Volling, Väterforscherin
Die Kinder überfordert das, sie können nicht gut damit umgehen.» Gute Väter sind gute Partner – oder versuchen zumindest, gute Partner zu sein. Allerdings erfuhr die Bindungstheorie letzthin einige überraschende Erweiterungen.
Forscher aus Israel haben untersucht, was geschieht, wenn nicht die Mutter, sondern der Vater zur ersten Bezugsperson eines kleinen Kindes wird. Die Ergebnisse waren eine Sensation: Die Väter zeigten dasselbe sensible und aufmerksame Verhalten, das man sonst bei Müttern beobachten kann. Im Gehirn ereignen sich Aktivierungsmuster, die eher für Mütter typisch sind, besonders in jenen Arealen, in denen Emotionen verarbeitet werden.
Sogar der Hormonhaushalt der Väter veränderte sich. Die Psychobiologin Ulrike Ehlert von der Universität Zürich hat schon vor einigen Jahren herausgefunden, dass Väter kleiner Kinder häufig einen auffällig niedrigen Testosteronspiegel haben und dadurch vermutlich geduldiger mit ihren Kindern umgehen.

Mit anderen Worten: Wenn ein Vater will und die Gelegenheit dazu bekommt, dann kann er tatsächlich so etwas sein wie eine tolle Mutter.
2. Gute Väter raufen
Besonders Forscherteams aus Kanada und Australien beschäftigen sich seit einiger Zeit mit Rauf- und Kampfspielen von Vätern und Kindern. Die ersten Grunderkenntnisse dieser jungen Forschungsrichtung stammen übrigens aus der Beobachtung von Tieren. So fand man heraus, dass Ratten einen Teil ihrer Sozialkompetenz den spielerischen Ringkämpfen ihrer Kindheit verdanken und dass sie Probleme besser lösen, wenn sie sich als Jungtiere ausgiebig balgen dürfen. Natürlich sind Menschen keine Ratten. Wir raufen anders als andere Säugetiere – und die Eltern spielen bei uns eine viel grössere Rolle.
Gute Väter trösten, gute Väter spielen, gute Väter helfen – gute Väter kümmern sich.
Soll man sein Kind dabei gewinnen lassen? Manchmal ja und manchmal nein. Die meisten Forscher sind überzeugt: Kinder sehnen sich danach, zu spüren, wie stark Papa ist, wie gut er die Familie beschützen kann. Andererseits kann man bei den Kampfspielen aller Säugetiere beobachten, dass der Stärkere den Schwächeren manchmal gewinnen lässt – und damit signalisiert, dass alles nur ein grosser Spass ist.
Gute Väter verlieren also manchmal und ermutigen ihre Kinder dadurch, sich anzustrengen. Aber meistens gewinnen sie. Tatsächlich verschwinden die guten Konsequenzen der Toberei, sobald man den Kindern immer den Sieg schenkt. Die beste Formel für gutes Raufen stammt vom australischen Väterforscher Richard Fletcher. Sie lautet: «Ich bin viel stärker als du. Und ich hab dich sehr lieb.»
3. Gute Väter lesen vor und fragen nach
Langfristig werden sie zu besseren Lesern; sie werden besser in Mathe; sie können sich besser konzentrieren; sie zeigen weniger Verhaltensauffälligkeiten. So steht es etwa in einer Studie der University of North Carolina, die dafür mehr als 5000 amerikanische Familien untersucht hat. Der Beitrag der Väter fiel dabei kleiner aus als der der Mütter. Sie lesen im Durchschnitt weniger vor – weil sie spät von der Arbeit nach Hause kommen, weil ihnen das Lesen kein Vergnügen bereitet oder weil sie glauben, es schlechter zu machen als ihre Partnerin.

Forscher glauben: Väter wirken durch ihre Nachfragen wie eine «Brücke» hinaus in die Welt. Mag sein, dass Mama den Kindern jeden Wunsch von den Lippen abliest. Dem Rest der Welt muss man aber erklären, was man möchte – und die Gespräche mit Papa sind dafür das beste Trainingslager.
4. Gute Väter trösten – so gut es geht
Die Berner Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm hat nachgewiesen, dass heute mehr als 84 Prozent der Väter mit ihren Kindern kuscheln und darüber eine körperliche Nähe herstellen. Trotzdem: Noch immer gelingt es einem höheren Prozentsatz an Kindern und Jugendlichen, ein engeres Vertrauensverhältnis zur Mutter aufzubauen als zum Vater. Wenn sie Hilfe brauchen, dann gehen sie eher zu ihr als zu ihm. Welche Auswirkungen hat das auf die Entwicklung der Kinder?
Der Vater soll seine Partnerin unterstützen, wo er kann, und ihr das Leben leichter machen.
Bei ihnen fiel der Schutzeffekt jedoch deutlich schwächer aus. «Diese Ergebnisse zeigen, dass wir uns genauer anschauen müssen, welche Rolle eine enge Beziehung zwischen Heranwachsenden und ihren Vätern spielt», heisst es in einem Forschungsbericht der Universität Tel Aviv. «Manche Studien schauen nur auf die Männer, andere nur auf die Frauen», erklärt Brenda Volling. «Aber es bringt nichts, Väter und Mütter gegeneinander auszuspielen. Es geht schliesslich darum, das grosse Bild zu zeichnen und zu zeigen, wie Eltern gemeinsam das Beste für ihre Kinder tun können.»
5. Gute Väter bleiben (manchmal) zu Hause
«Damals ist Papa von der Arbeit heimgekommen und hat darauf gewartet, dass seine Frau ihm einen Martini serviert. Sein Job bestand darin, das Geld für die Familie zu verdienen. Die Erziehung war komplett Angelegenheit der Frau», sagt Brenda Volling. «Diesen Vatertypus gibt es heute kaum noch. Die Väter gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie an der Erziehung der Kinder beteiligt sind.»
Mit anderen Worten: Es sind die neuen Väter, die eine neue Art von Forschung notwendig machen. Doch diese neuen Väter haben es nach wie vor schwer. In der Schweiz arbeiten mehr als 80 Prozent von ihnen noch immer Vollzeit und verbringen weniger Stunden mit ihren Kindern, als sie das gerne würden. Arbeit in Teilzeit wird von den Arbeitgebern häufig nicht unterstützt. Doch was geschieht, wenn Väter einen radikalen Schritt wagen, wenn sie ganz zu Hause bleiben und die Aufgabe des Brotverdieners ners an ihre Partnerin übergeben?
Wassilios Fthenakis, die graue Eminenz der deutschsprachigen Väterforschung, hält das für eine «wichtige Erfahrung» (siehe Interview). Eine Untersuchung aus Kanada zeigt jedoch eine andere Seite: Die Forscher wollten wissen, wie moderne Väter in Filmen und TV-Serien dargestellt werden. Das Ergebnis: Der engagierte, aber voll berufstätige Vater wird eher als sympathischer Gewinner gezeichnet. Wer dagegen als Vater zu Hause bleibt, erscheint fast immer als unmännlicher Versager, der sein Leben nicht auf die Reihe bekommt – Vollzeitpapa scheint zumindest auf der anderen Seite des Atlantiks noch immer kein begehrtes Karriereziel zu sein.
6. Gute Väter sind echte Männer
Doch auch die reine Interpretation ihrer Rolle ist betont maskulin. Die Väter inszenieren sich zum Beispiel nicht als «Hausmänner», sondern als «Familienunternehmer» («dadpreneurs»), die mit durchdachten Plänen die Haushaltsausgaben senken. Andere Väter holen sich ihren Männerstolz aus der Tatsache, dass sie gemeinsam mit den Kindern Reparaturen am Haus selbst erledigen, ohne einen Handwerker rufen zu müssen.

Der Macher der Reihe, der Psychoanalytiker Donald Winnicott, hat Unermessliches geleistet für das Wohlbefinden von Familien auf der Insel. Seine zentrale These lautete: Keine Mutter muss perfekt sein. Damit ihr Kind glücklich aufwächst, reicht es, wenn sie «gut genug» ist. Die Väterforschung des Jahres 2017 erzählt eine ganz ähnliche Geschichte: Mag sein, dass der eine Papa ein toller Partner ist, dass der andere rauft, vorliest, tröstet, zu Hause bleibt und sich dabei seine Männlichkeit bewahrt. Doch so lange er all das von Herzen tut, auf seine eigene Art, wird er «gut genug» sein – und für sein Kind der beste Vater, den man sich nur wünschen kann.
Literatur
- Wassilios E. Fthenakis u. a.: Engagierte Vaterschaft. Die sanfte Revolution in der Familie. Verlag Leske und Budrich, 1999, ca. Fr. 18.–
- Richard Rohr, Thomas Gesterkamp, Wassilios E. Fthenakis: Vater, Sohn und Männlichkeit. Verlag Tyrolia, 2001, ab Fr. 6.–
- Walter Hollstein: Was vom Manne übrig blieb. Das missachtete Geschlecht. Verlag Opus Magnum, 2012, ca. Fr. 26.–
- Victor Chu: Vaterliebe. Verlag Klett- Cotta, 2016, ca. Fr. 26.–
- Dave Engledow: Papa allein zu Hause. 77 Dinge, von denen Mama nicht wissen darf. Heyne-Verlag, 2015, ca. Fr. 14.–
Links
- www.vaeter.ch (generelle Information)
- www.vaternetz.de (Väterbücher)
- www.avanti-papi.ch (Veranstaltungen)
- www.vaterrechte.ch (Rechtliches)
- www.mencare.swiss/de (Plattform zur Stärkung väterlicher Präsenz)
- www.maenner.ch (Dachverband)
- www.vaterverbot.ch (für Väter in Trennung/Scheidung)
- Väter: Wer sie sind, was sie tun und wie sie wirken (Projekt Tarzan). Eine Studie von Prof. Margrit Stamm (2015), www.margritstamm.ch.
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