«Warum, warum?» – «Frag nicht immer so blöd!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Warum, warum?» – «Frag nicht immer so blöd!»

Lesedauer: 5 Minuten

Viele Eltern nervt es, wenn ihre Kinder alles hinterfragen. Der Wunsch nach Begründungen entspringt aber dem Bedürfnis, unsere Umwelt und das Handeln anderer zu ­verstehen. Warum-Fragen helfen einem Kind, sein eigenes Leben und Tun als sinnvoll zu begreifen.

Text: Fabian Grolimund
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Warum muss ich das lernen? Wozu diese Regel? Viele Erwachsene reagieren geradezu allergisch auf Warum-Fragen von Kindern und Jugendlichen. Sie empfinden diese als frech und fühlen sich angegriffen.

Oft wird dabei der Standpunkt vertreten, dass Kinder und Jugendliche lernen müssten, «einfach mal zu tun, was man ihnen sagt», da sie später im Beruf auch spuren müssten, wenn der Chef ihnen etwas aufträgt. Oft wird auch ungläubig gefragt, ob «man jetzt eigentlich für alles einen Grund liefern muss».

Bedürfnis, die Welt zu verstehen

Wenn wir etwas tun sollen – etwas lernen, uns an Regeln halten, eine Aufgabe erledigen –, möchten wir eine Begründung dafür erhalten. Dahinter steht das Bedürfnis, die Welt um uns herum zu verstehen und unser Handeln als sinnvoll zu begreifen.

Wie wichtig diese Aspekte sind, beschrieb der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky bereits in den Achtzigerjahren. Er stellte sich die Frage, wie Gesundheit entsteht, und machte drei Faktoren aus, die wesentlich dazu beitragen, dass wir psychisch und physisch gesund bleiben: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit.

Wann immer ein Kind die Warum-Frage stellt, bietet sich uns die Möglichkeit, seine Persönlichkeit und sein seelisches Wohlbefinden zu stärken.

Damit es uns langfristig seelisch gut geht, brauchen wir somit das Gefühl, Zusammenhänge des Lebens zu verstehen, die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können, und den Glauben, dass unser Leben und das, was wir tun, einen Sinn ergeben.

Wann immer ein Kind die ­Warum-Frage stellt, bietet sich uns die Möglichkeit, seine Persönlichkeit zu stärken und etwas zu seinem psychischen Wohlbefinden beizutragen. Wenn wir gemeinsam Antworten suchen, fördern wir die Motivation, sich auf eine Arbeit oder einen Lerninhalt einzulassen, und das Engagement, diese mit der nötigen Ausdauer umzusetzen.

Ich habe einige Eltern gebeten, ihre Kinder zu fragen, weshalb sie Rechnen lernen. Die 7- bis 10-jährigen Schüler/innen meinten: 

  • Damit man beim Rezept die doppelte Menge berechnen kann.
  • Man kann dann ausrechnen, was günstiger ist.
  • Rechnen macht einfach Spass.
  • Alles auf der Welt kann man errechnen, das ist unglaublich.
  • Man lernt, sich zu konzentrieren.
  • Man übt, selbständig zu werden, und wenn man eine Aufgabe geschafft hat, fühlt man sich wie ein Held.
  • Rechnen fördert das logische Denken.
  • Man lernt, gute Ideen zu entwickeln.
  • Da muss man mitdenken, und wenn man mit anderen zusammen übt, muss man sich absprechen.
  • Rechnen ist wie ein Abenteuerland, bei Rechenaufgaben kann man sich Sachen vorstellen.

Wow! Merken Sie, wie ein Schulfach durch jeden einzelnen dieser Punkte plötzlich an Sinn gewinnt? Und wie dadurch die Motivation steigt, sich darauf einzulassen?

Muss man alles ­ausdiskutieren?

Wenn ich mit Eltern oder Lehrpersonen darüber spreche, weshalb wir Warum-Fragen von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen und darauf reagieren sollten, taucht immer wieder folgende Aussage auf: «Muss man jetzt etwa alles ausdiskutieren? Manchmal müssen Kinder doch einfach tun, was man ihnen sagt.»

Hier finde ich es wichtig, zwei Aspekte auseinanderzuhalten: Als Eltern, Lehrpersonen oder Chefs ist es unsere Aufgabe, Kinder, Schülerinnen oder Mitarbeiter zu führen. Wenn wir diese Aufgabe gut machen möchten, sollten wir unser Handeln erklären. Das heisst aber nicht, dass immer alle mit allem einverstanden sein müssen.

Letzte Woche hatte ich meinen Kindern ein neues Hörspiel aufs Tablet heruntergeladen – dummerweise eine halbe Stunde vor dem Abendessen. Sie waren gerade mittendrin in der Geschichte, als ich sie zum Essen rufen musste.

Natürlich wollten sie es während des Essens weiterhören. Ich bestand darauf, dass sie es ausschalten. Sie wurden wütend und wollten den Grund wissen. Ich sagte: «Mir ist es wichtig, dass wir während des Essens Zeit miteinander verbringen und ungestört miteinander reden können. Deswegen schalte ich das Handy aus und ihr stellt das Hörspiel ab.»

Die Kleine fand «blöder Papa» und der Grosse redete fünf Minuten demonstrativ kein Wort mit mir. Wenn wir eine Erklärung anbieten, ist es nicht nötig, so lange auf die andere Person einzuschwatzen, bis sie diese annimmt. Andere Menschen – auch Kinder – haben ein Recht darauf, anderer Meinung zu sein oder anders zu empfinden.

Aber: Wenn wir die Warum-Frage aufgreifen und ernsthaft beantworten, wird unser Handeln nicht als Willkür erlebt. Die Menschen um uns herum lernen uns besser kennen, erhalten Einblick in das, was uns wichtig ist, und können nachvollziehen, warum wir etwas tun. Wenn mir Eltern und Lehrpersonen sagen, dass sich Jugendliche daran gewöhnen müssten, einfach zu tun, was man ihnen sagt, da dies im Berufsleben nicht anders sei, frage ich mich immer: Auf welches Berufsleben sollen diese Kinder und Jugendlichen vorbereitet werden? Auf eines, in dem eigenständiges Denken keine Rolle spielt? Oder auf eines, in dem Sinnfragen gefährlich sind? Warum sollten wir unsere Kinder oder unsere Schüler in diese Richtung lenken wollen?

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Wenn die Warum-Frage nicht mehr gestellt wird 

Bei Menschen, die sich die Warum-Frage abgewöhnt haben, findet mit der Zeit oft ein Entfremdungsprozess statt. Sie machen einfach. Das, was gesagt wird; das, was belohnt wird; das, was scheinbar von ihnen erwartet wird. Und nicht selten haben sie irgendwann eine grosse Sinnkrise, in der sie die Warum-Frage mit Macht wieder einholt.

Wer sich das Hinterfragen ­abgewöhnt hat, macht einfach. Das, was gesagt wird. Das, was belohnt wird. Das, was ­scheinbar erwartet wird. 

Ich sehe dieses Muster erstaunlich oft sogar bei Studierenden, obwohl sie ihr Fach selbst wählen durften. Sie lernen für Prüfungen, versuchen mit minimalem Einsatz an ihre Punkte zu kommen und entwickeln bis zum Abschluss keine echten Antworten auf die Warum-Frage.

Interessiert man sich dafür, was sie am Ende des Studiums wissen und können wollen, was sie an ihrem Fach fasziniert und warum es für sie wichtig ist, gerade diesen Berufsweg einzuschlagen, kommt nicht selten die Antwort: «Das habe ich mir ehrlich gesagt noch gar nie so richtig überlegt.» Wenn man sich diesen Fragen im Coaching stellt, kann man dabei zusehen, wie sich die Studierenden mit den Inhalten ihres Studiums verbinden, Motivation und Eigenverantwortung zunehmen und es vielleicht sogar attraktiv wird, auch ohne bevorstehende Prüfung ein Fachbuch in die Hand zu nehmen.Hier sehe ich aber nicht nur die Studierenden in der Pflicht. Gerade an den Universitäten zeigt sich, dass die Art der Führung viel zu dieser Problematik beiträgt. Mit der Bologna-Reform kamen Anwesenheitspflichten, Prüfungen nach jedem Semester, ein Punktesystem und damit bei vielen Studierenden die Haltung: teilgenommen, Schein bekommen.Der Journalist und Berufungscoach Mathias Morgenthaler hat über tausend Menschen interviewt, die ihre Berufung leben. Seine Erkenntnisse daraus fasst er in seinem Buch «Out of the box» zusammen. Eine davon lautet: «Wer alle Erwartungen erfüllt, darf keine Erfüllung erwarten.»


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Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

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