Mutig, stark und selbstbewusst dank Kinderyoga! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Mutig, stark und selbstbewusst dank Kinderyoga!

Lesedauer: 5 Minuten

Ooom! Der Trend hat auch die Kleinsten erreicht. Doch wie funktioniert Yoga mit Kindern? Wir haben einen Kurs besucht. 

Die kleine Katze Mika will unbedingt ans Meer. Denn sie hat gehört, dass es dort Muscheln mit echten Perlen gebe. Auch ihr Freund, Zwerg Purzel, träumt davon, das Meer zu sehen und den Wind in seinem Fell zu spüren. Gemeinsam machen sie sich auf die Reise dorthin.

Diese Geschichte erzählt Kinder­yogaleiterin Claudia Giacalone an einem Samstagmorgen im Yogastu­dio Raum der Achtsamkeit in Rup­perswil. In einem Kreis auf ihren Yogamatten sitzen acht Kinder zwi­schen vier und neun Jahren und hören der Fantasiereise zu. Vor ihnen stehen, schön gruppiert, eine Schatztruhe, ein Zwerg, eine Kerze und viele, viele Muscheln. Diese Muscheln halten sich die Kinder ans Ohr. «Ich bi scho mal am Meer gsi», ruft da ein Kind. «Ich au», ruft ein anderes.

Still sein muss nicht sein

Kinderyoga ist anders. Hier muss niemand still sitzen und still sein. Und doch spüren die Kinder genau, wann es Zeit für Ruhe ist. Nach dem Begrüssungsritual – dem Hände­druck im Kreis und einem Namaste – sitzen alle im Kreis. Bereits bekann­te Übungen aus früheren Stunden werden noch einmal durchgespielt. Dann darf ein Kind eine Karte aus der Schatzkiste ziehen.

Heute ist es die Schildkröte. Man spricht darüber, was eine Schildkrö­te ist und wie sie aussieht. «Wie gseht ächt e Yoga­-Schildchrot uus?», fragt Claudia Giacalone und zeigt die Yoga-­Asana vor. Die Kinder begeben sich mit Begeisterung in die Posi­tion, die so manchem Erwachsenen schwerfällt. Und weil eine Schildkrö­te bekanntlich gern isst, essen alle gemeinsam ein paar imaginäre Salatblättchen. Dabei wird laut geschmatzt.

Kinderyoga ist spielerisch.

Kinderyoga ist spielerisch: Beim herabschauenden Hund darf gebellt, bei der Kobra gezischt und bei der Schildkröte geschmatzt werden. Nach einer Ausgleichsstellung für den Rücken wird eine zweite Übung vorgestellt: das Boot. Denn die Katze Mika und der Zwerg Purzel stellen sich schon vor, was sie auf dem Meer so alles tun könnten. Mit einem Boot fahren, zum Beispiel. Einem ruhigen Boot – und einem, in welchem fest gerudert werden muss, um auf Kurs zu bleiben.

Yoga als Schulfach?

Kinderyoga boomt. In fast allen Deutschschweizer Städten gibt es Kinder- und / oder Teenyoga im Angebot. Der Trend kommt unter anderem aus Deutschland. Dort gibt es an gewissen Schulen bereits Yoga als Pflicht- oder zumindest Wahlschulfach. Anlass war eine Studie des Deutschen Kinderschutzbundes, die Eltern wie Lehrer verstörte: Ein Viertel der befragten Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren gab an, sich regelmässig und vor allem durch die Schule gestresst zu fühlen. Zwei Drittel von ihnen wünschten sich mehr Entspannung.

Aber auch an Schweizer Schulen hält Yoga Einzug. In einem Kindergarten in Zermatt etwa ist eine halbe Stunde pro Woche für Yoga reserviert. Ein Gymnasium in Biel bietet eine Yoga-Blockwoche an, und in einer Gemeinde im Kanton Aargau ist Yoga sogar als J&S- Kurs im Angebot. «Wichtig ist dabei, dass Kinder und auch Jugendliche erfahren, dass sie mehr sind als auf Leistung getrimmte Maschinen, dass sie einfach sein dürfen, dass sie ausschliesslich etwas für sich tun dürfen, und ohne dabei beurteilt zu werden», heisst es in der neusten Ausgabe des Yoga Journal, der Verbandszeitschrift der Schweizer Yogalehrer und -lehrerinnen.

Zeit fürs Kindsein schaffen

Das stellt auch die Leiterin dieses Kinderyoga-Kurses fest. «Vielen Kindern fehlt die Zeit zum Kindsein, sich selber zu spüren, sich wahrzunehmen und auszudrücken», erklärt Claudia Giacalone, selbst Mutter von zwei Söhnen. Vielen Kindern fehle es auch an Beweglichkeit, Konzentration und Ruhe. Das wolle sie ändern – mit Yoga. Denn Yoga heisst: im Einklang mit sich selber zu sein. «Ich finde Yoga für Kinder sinnvoll, damit sie mal zur Ruhe kommen und eine Auszeit vom Alltag nehmen», sagt eine Mutter.

Den Atem beobachten? Das geht mit einem Papierschiff auf dem Bauch viel leichter.

Kinderyoga bedeutet auch: Ener­gie. So werden die Kinder von Clau­dia Giacalone verzaubert und kön­nen ihr Tier selbst darstellen. Nun wird im Raum herumgehüpft, ge­krochen und gelacht, bevor die Kin­ der sich auf den Boden legen. Die Yogaleiterin setzt ihnen ein Papier­schiffchen auf den Bauch. «Wenn die Kinder sich auf den Rücken legen und das Schiff auf den Bauch nehmen, können sie zusehen, was beim bewussten Atmen passiert», erklärt sie. Die Kinder finden das alles andere als langweilig – sie schätzen auch den ruhigen Teil der Stunde. 

Nach der Schlussentspan­nung und der Rückverzauberung in den Alltag darf jedes Kind mit einem Erzählstein sagen, wie es sich nun fühlt, was ihm gefallen hat und was nicht – wenn es möchte. Ein Hände­druck und ein Namaste lassen die Stunde ausklingen. «Die Geschichte war sehr schön», sagt ein Mädchen. Und ein Junge findet am besten, «dass wir noch gemalt haben».


So üben Sie mit Ihrem Kind zu Hause Yoga:

  1. Suchen Sie sich einen schönen Platz, den Sie und Ihr Kind immer wieder für die Yogastunden nutzen.
  2. Schaffen Sie sich ein Ritual, mit dem Sie und Ihr Kind immer anfangen: zum Beispiel ein Glöckchen klingeln.
  3. Erwarten Sie von Ihrem Kind nicht, dass es Yoga übt wie ein Erwachsener. Yogaübungen wirken bei einem Kind viel schneller und das Kind weiss oft selbst, was es braucht.
  4. Lassen Sie Ihr Kind die Asana (Körperstellung) aussuchen, zum Beispiel aus einem Buch, oder lesen Sie eine Yogageschichte vor, die Asanas beinhaltet.
  5. Korrigieren Sie nicht an Ihrem Kind herum, denn im Yoga gibt es kein Richtig oder Falsch.
  6. Yoga mit Ihrem Kind sollte am Anfang nicht länger als zehn Minuten dauern.
  7. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Ihr Kind nach fünf Minuten aufhören möchte. Freuen Sie sich stattdessen, dass es fünf Minuten Yoga gemacht hat.
  8. Unruhige Kinder, denen Stillsitzen zu langweilig wird, werden neugierig und aktiv, wenn etwas Spannendes passiert. Nehmen Sie zum Beispiel einen Strohhalm und pusten ein Wattebällchen von einer Raumseite zur anderen.
  9. Die Endentspannung mit Kindern dauert oftmals nicht länger als zwei Minuten. Auch hier können die Kinder mit offenen Augen lauschen. Die Entspannung tut auch so ihre Wirkung.

4 Fragen an Ursula Salbert, Yogalehrerin und Ausbildnerin für Kinderyoga

Frau Salbert, warum tut Yoga Kindern gut?

Weil die Kinder lernen, sich selbst in den verschiedensten Bewegungsformen und in den unterschiedlichsten Ruhezeiten ganzheitlich wahrzunehmen. Dies lässt die Kinder bewegungskompetenter, ausgeglichener und zufriedener werden. Die Kinderyoga-Inhalte erweitern das Wissen über die Formen und Funktionen des Körpers und seiner Teile sowie die Erfahrung von Bewegungsfähigkeiten und Grenzen, aber auch das Wissen, warum wir atmen, und die Erfahrung der Zusammenhänge von Bewegung, Stille, Atem und Befindlichkeiten. Auch das Kommunizieren über Stimmungen, Gefühle und Sinneswahrnehmungen, ist wichtig. Man erfährt, dass alle Kinder unterschiedlich sind.

Was kann Yoga nicht?

Yoga kann nicht sofort wirken wie die Einnahme eines Medikamentes oder nach dem Motto: Mache eine Yogaübung und du wirst die Wirkung gleich erfahren. Yoga üben braucht Motivation, Zeit und Erfahrungen aus vielen unterschiedlichen Varianten, Impulsen und Wiederholungen. Yoga üben wirkt immer in seiner Gesamtheit auf die körpereigenen Selbstregulationssysteme. Darauf weisen Yogatherapie-Spezialisten immer wieder hin. Ein hyperaktives Kind wird durch Yoga nicht im Handumdrehen ruhiger, aber es macht in kleinen Schritten die Erfahrung, dass es selbst vieles verändern kann.

Gibt es Einschränkungen?

Da Kinder noch im Wachstum sind, sollte das Yogaüben sie nicht überfordern. So sollten Kinder nicht das Luftanhalten üben oder nach einheitlichen, vorgegebenen Rhythmen atmen. Lange, kraftintensive, statische, die Gelenke bis an ihre Grenzen ausreizende Haltungen sowie passive statische Dehnungen bergen eine hohe Verletzungsgefahr und sollten besser nicht geübt werden. Kranke Kinder sollen keine Körperübungen ausführen, Entspannungsübungen sind okay. Kinder mit psychischen Problemen sollten Yoga nur mit einer darauf spezialisierten und gut ausgebildeten Therapeutin üben. Das gilt auch für Kinder mit schweren Behinderungen. Im Zweifelsfall sollte immer eine ärztliche Meinung eingeholt werden.

Worauf müssen wir als Eltern bei der Auswahl eines Kinderyoga-Kurses achten?

Eltern sollten wissen, dass Yogalehrer und -lehrerinnen unterschiedliche Schwerpunkte und Inhalte auswählen können. Ein genaues Hinschauen ist sehr wichtig. Am besten ist ein persönliches Gespräch, so erhalten Eltern umfangreiche Informationen über Ausbildungen, Unterrichtserfahrungen, Yogatraditionen, Ausrichtungen, Inhalte und Ziele der Anbieter und können sich bewusst für das eine oder andere Angebot entscheiden. Für die Kinder ist es wichtig, dass sie die Möglichkeit haben, in Schnupperstunden verschiedene Yogalehrer und ihre Angebote kennenzulernen. So können sie sich frei entscheiden, wohin sie gehen möchten.


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