Wie kann ich ein gutes Vorbild sein?
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Oft werden Eltern mit dem Vorwurf konfrontiert, ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht zu werden. Unser Kolumnist plädiert für einen entspannteren Umgang und mehr Mut zu Fehlern und Authentizität.
Der Idiot – das bin ich. Schon wieder.
Früher schien die Sache mit der Vorbildfunktion einfacher. Der Fernseher wurde erst eingeschaltet, wenn die Kinder im Bett waren. Und mit Videospielen verhielt es sich noch simpler: Die meisten Eltern spielten keine.
Seit dem Einzug des Smartphone in unser Leben ist es schwieriger geworden, ein gutes Vorbild zu sein. Schlimmer noch: Zum ersten Mal in der Geschichte der Medien verlangen Eltern von ihren Kindern, dass sie mit dem Handy etwas können, zu dem wir selbst nicht in der Lage sind: zu widerstehen.
Beim Fernsehen haben wir gelernt, ihn nicht schon morgens einzuschalten, sondern erst, wenn wir Zeit dazu haben. Aber der Fernseher macht auch nicht von selbst auf sich aufmerksam. Im Gegensatz zum Smartphone, das mit Klingeln, Brummen und Vibrieren alles jederzeit unterbricht. Daran haben wir uns leider gewöhnt.
Was ist der Preis der Unabhängigkeit?
Wir sind immer und überall «on» – das ist eine grosse Freiheit. Und eine ebenso grosse Last, weil wir auch abends nicht mehr zur Ruhe kommen. Fataler noch: durch Anrufe und Nachrichten werden die Strassenbahn oder der Supermarkt zum Homeoffice. Und alle hören zu. Bei fremden Personen fällt es einem sofort negativ auf, bei einem selbst nicht.
Gehen Sie mit Ihrem Kind lieber eine Dreiviertelstunde ohne Smartphone auf den Spielplatz, als drei Stunden mit.
Mittlerweile beklagen sich immer mehr Erzieherinnen, dass manche Väter und Mütter ihren Nachwuchs telefonierend vom Kindergarten abholen. Gespräche über die Geschehnisse des Tages können so nicht stattfinden.
Auch immer mehr Kinder sind unzufrieden. Die Eltern würden nicht mehr richtig zuhören, wenn sie ihnen etwas erzählen wollen, oder sie fühlen sich durch Sätze wie «jetzt nicht – ich muss noch schnell die Mail beantworten» abgebügelt.
Das Smartphone ist so leise und schleichend in unser Leben getreten, dass es uns nicht mehr bewusst zu sein scheint, wie stark wir damit verhaftet sind. Darum plagt uns sofort das schlechte Gewissen, wenn jemand mit der Vorbildkeule kommt. Nur, was soll das eigentlich sein: ein gutes Vorbild?
Was heisst es, ein Vorbild zu sein?
Sicher wäre uns lieber, dass sie sich nur unsere positiven Seiten abschauen, wenn wir zum Beispiel einer alten Dame beim Einsteigen in den Zug behilflich sind. Aber unsere Söhne und Töchter sind auch anwesend, wenn wir uns mit dem Hammer auf den Daumen hauen und dabei alles andere als souverän reagieren. Darüber haben wir keine Kontrolle, so sehr wir uns das auch wünschen. Die Vorbildfunktion gibt es eben nur im positiven und im negativen Sinn.
Mit gutem Beispiel vorangehen ist auch deshalb nicht einfach, weil Erziehung immer ein Stück Selbsterziehung bedeutet. Nicht rauchen, nicht fluchen oder eben nicht ständig am Gängelband des Smartphones hängen. Doch welcher Mensch hat sich schon zu hundert Prozent unter Kontrolle?! Dazu kommt der fromme Wunsch, nicht die Fehler der eigenen Eltern zu wiederholen. Stattdessen machen wir unsere eigenen Fehler – und die unserer Eltern dazu.
Wir müssen uns vom Gedanken verabschieden, perfekte Eltern zu sein, die ihre Kinder perfekt erziehen.
Vorbild sein – authentisch und ohne Druck
Beim eigenen Medienkonsum gibt es Luft nach oben. Gerade beim Umgang mit dem Smartphone haben viele Erwachsene noch nicht die Balance gefunden. Das ist aber dringend nötig, denn sobald die Kinder älter werden, merken sie, wenn wir Wasser predigen und Wein trinken. Dann hagelt es Kritik. Voll kommen zu Recht.
Fazit: Nehmen wir der Debatte um die Vorbildfunktion den Druck. Auch die besten Eltern machen Dinge falsch. Das ist völlig normal. Sich zu verbiegen bringt nichts. Für Kinder ist es wichtiger, dass ihre Eltern authentisch sind.
Vorbild sein – sieben Anregungen
- Selbstkritisch sein: Die eigene Vorbildrolle und den eigenen Medienkonsum überdenken
- Kein Vorbildstress: Lieber authentisch sein, als sich verstellen. Fehler dürfen passieren
- Vorbild sein ist keine Solonummer: Ab acht Jahren sind nicht nur die Eltern Vorbild, sondern auch die Freunde oder Lehrer
- Verlässliches Vorbild sein: Was gesagt wird, gilt. Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen
- Vorbild Smartphone (1): Kein Smartphone bei Tisch, auf dem Spielplatz oder bei der Abholung aus Kindergarten und Schule
- Vorbild Smartphone (2): Öfter mal den Flugmodus benutzen, etwa beim Spielen mit den Kindern. Oder den Anrufer auf einen Rückruf vertrösten. Smartphonefreie Zeiten einführen. Für die ganze Familie
- Nicht vergessen: Kinder brauchen immer wieder ungeteilte Aufmerksamkeit
Zum Autor Thomas Feibel
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