All die Eindrücke, die jeweils auf dem Spielplatz auf ihn einprasselten, die vielen Kinder, die vielen Spielsachen, die vielen Möglichkeiten – das konnte er gar nicht verarbeiten, sie überforderten ihn. Zu Hause, in seinem sicheren Umfeld, war er kaum aggressiv.
Ich versuchte, die Spielplatzbesuche für ihn zu strukturieren, setzte mich mit ihm in den Sandkasten und erklärte ihm genau, was wir womit machen, oder schaute, dass er einen Spielgefährten hatte, auf den er sich konzentrieren konnte. Trotzdem blieb es ein Krampf, und er fiel immer wieder in alte Muster zurück.
So war es auch während der folgenden Jahre. Immer wenn mein Sohn in eine neue Situation kam, fiel er in sein aggressives Verhaltensmuster zurück – und wir hatten das Pech, dass das bis vor zwei Jahren regelmässig der Fall war, da er jährlich wechselnde Lehrpersonen und/oder Klassen hatte. Die Kindergartenzeit war anspruchsvoll. Er brauchte eine Ewigkeit, bis er halbwegs einen Platz in der Gruppe gefunden hatte, plagte andere Kinder, äffte die Kindergärtnerin nach und räumte auf dem Heimweg regelmässig Briefkästen aus und stiess Mülltonnen um. Mir wurde immer wieder nahegelegt, meinen Job zu kündigen, dann wäre das Kind vielleicht etwas ‹normaler›. Oder ihn abzuklären – auf ADS, Asperger, irgendetwas, das sein ‹abnormales Verhalten› erklären würde. Aber ich wollte mein Kind nicht stigmatisieren, noch bevor es in die Schule kam.
Auch der Schulanfang war nicht einfach. Im Klassenzimmer schubste oder kniff er andere Kinder, in der Pause schlug er auch immer wieder zu. Das Schlimmste aber waren die Hausaufgaben. Er schrie und warf Sachen um sich, wenn beispielsweise beim Spitzen die Spitze des Bleistifts abbrach. Ich sass manchmal zwei Stunden neben ihm, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen, meine Nerven dem Zerreissen nahe.
Seit zwei Jahren hat er nun dieselben Lehrpersonen und ist mehr oder weniger in derselben Klasse, wo er sich gut integriert hat. Zwei Mal pro Woche geht er in die Hausaufgabenhilfe, das ist eine grosse Erleichterung für mich. Seit über einem Jahr gab es keine Vorfälle mehr in der Schule. Und: Im letzten Zeugnis war er in fast jedem Fach besser als vorher. Das liegt sicherlich nicht zuletzt an den Lehrpersonen, die seine Sensibilität erkannt und ihn nicht einfach in die Problemkind-Schublade gesteckt haben.
In einem guten Jahr kommt mein Sohn in die Oberstufe. Ich hoffe sehr, dass die vergangenen Jahre ihn dann so selbstbewusst gemacht haben, dass er nicht wieder in alte Muster zurückfällt. Und dass er auch dort auf Lehrpersonen trifft, die sein Potenzial erkennen, und – sollten sie wieder auftauchen – nicht nur seine Aggressionen sehen.»