Dauernde Sorge ist Gift für das Kind
Kinder müssen lernen, Hindernisse zu überwinden – auch wenn dies mit Schmerzen verbunden ist.
Trauer anfühlen. Ich akzeptiere, dass sie phasenweise unglücklich sind oder auch mal weinen.
So ist das Leben. Ich tröste sie dann und kümmere mich wenn nötig um die Wunde. In meinem Umfeld beobachte ich allerdings oft, dass Kinder ängstlich sind und zuerst überprüfen, was ihre Eltern denken, bevor sie sich selbst etwas trauen. Als ob sie wissen wollten, wie ihre Eltern in diesem Moment funktionieren.
«Die Zeitungen sind voll von Unfällen und schrecklichen Ereignissen. Ist es da ein Wunder, dass sich viele fürchten?»
Eine Leserin, die Jesper Juul um Rat fragt.
sich Kinder ernsthaft und schwer verletzen können. Aber muss nicht ich entscheiden, wieviel ich ihnen zutraue? Ich kann ja nicht dauernd vor ihnen herlaufen und alles Gefährliche aus dem Weg räumen – oder hinter ihnen hergehen, um zu überprüfen, ob sie Angst haben.
Ich bin mir sicher, dass sie merken, ob sie sich einer Situation gewachsen fühlen und etwas nicht tun, wenn sie es sich nicht zutrauen. Und auch umgekehrt bin ich zuversichtlich,
dass ihnen gelingt, was sie tun. Wie denken Sie darüber?
Jesper Juul antwortet:
Das beginnt schon zu Hause im Wohnzimmer, wenn beim Fangenspielen ein Kind zu schnell um die Ecke kommt und mit dem anderen zusammenstösst. Wenn sie von ihren Eltern dazu einen einfachen und nüchternen Kommentar erhalten, erheben sie sich schnell wieder
und alles ist okay. Reagieren die Erwachsenen mit Entsetzen, Angst, Sorge oder Ähnlichem, beginnen die Kinder zu weinen.
Wir fragten das Kind, ob es
Angst habe, ins Wasser zu gehen.
«Nein», sagte es. «Aber ich
denke gerade darüber nach, was
meine Mama sagen würde.»
Das Leben ist nicht schmerzfrei
Erfahrungen zu lernen, Hindernisse – oft schmerzvoll – zu überwinden und die Folgen ihres Handelns zu begreifen. Dieser Trend orientiert sich nicht daran, was gut und gesund für
unsere Kinder ist. Er widerspiegelt nur den Narzissmus der Erwachsenen – dient also den Eltern für ihr eigenes Selbstbild als Eltern, das sich nicht über die Kindererlebens-
Kompetenz definiert. Gleichzeitig ist es auch traurig für die Erwachsenen selbst, wenn die Freude und Aufregung der Kinder über Experimente von Sorge und Angst verdrängt wird.
Kindgerechte Vor-«Sorge»
auf die nächste Phase ihrer Entwicklung vor. Andere preschen ohne Rücksicht auf Verluste nach vorne und können nur von ihren konkreten Erfahrungen lernen. Beide Extreme sind, wie sie sind, und Eltern sollten sich nicht wünschen, dass ihre Kinder anders sind. Deshalb
ist es wichtig, dass Eltern und andere Erwachsene sich bewusst werden, wie sie genau dieses Kind am besten in seiner Entwicklung unterstützen können. Niemand kann eine exakte Antwort auf die Frage geben, wann genau Eltern eingreifen sollten. Eine guter Leitfaden ist aber die Frage: «Tue ich das, weil es meinem Kind zugutekommt, oder tue ich es, um mich selber zu beruhigen oder zu trösten?»
Zum Autor:
Jesper Juul: Exklusiv im Dezember 2017
- Was ist das Wichtigste, das Sie Ihrem Sohn mitgegeben haben? Jesper Juul im Exklusiv-Interview, Teil 1
- Was ist das Beste, das Ihnen im Leben passiert ist? Teil 2 des grossen Interviews mit Jesper Juul