«In der Lehre profitiere ich von meiner ADHS»
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«In der Lehre profitiere ich von meiner ADHS»

Lesedauer: 2 Minuten

Die 16-jährige Hanna hat ADHS, genauso wie ihre jüngere Schwester. Gemeinsam mit ihren Eltern gewährt sie Einblicke in ihren Alltag – von schulischen Herausforderungen über den Umgang mit der Diagnose bis hin zu ihrem Erfolg in der Ausbildung zur Gärtnerin.

Aufgezeichnet von Kristina Reiss
Bild: Paolo De Caro / 13 Photo

Hanna, 16, wohnt zusammen mit ihrer Schwester Alina, 12,  ihrem Bruder Mattia, 10, und den Eltern im Kanton Zug. Jacqueline, 41, ist ADHS-Coach und medizinische Praxisassistentin, Lukas, 49, ist Hausarzt in einer Gruppenpraxis.

Hanna: «In der Schule hatte ich von Anfang an viele Blockaden und sagte ‹Diese Frage ist doof› zu Lehrpersonen oder ‹Das Einmaleins ergibt keinen Sinn› – was als Provokation verstanden wurde. Auch bei Gruppenarbeiten habe ich mich quergestellt und bei Prüfungen lieber beobachtet, wie die Tinte aus meinem Füller rausläuft. Bei den Hausaufgaben war es nicht viel besser.»

Lukas: «Ja, die Hausaufgaben waren ein täglicher Kampf. Wir Eltern dachten zuerst, wir müssten einfach konsequenter sein. ADHS war zunächst kein Thema, weil du gut mitkamst – nur scheinbar nicht wolltest. Erst in der dritten Klasse, nach mehreren Abklärungen, hatten wir die Diagnose.»

Jacqueline: «Für mich war das eine Erleichterung. Viele Jahre hatte ich mich hilflos gefühlt beim Versuch, das Kind ins Schulsystem zu integrieren. Nun wussten wir, woran es lag. Gleichzeitig fühlte ich mich elend, weil mir klar wurde, unter was für einem Druck Hanna die ganze Zeit gestanden hatte, weil ihr Verhalten nicht Absicht war, sondern das Resultat der ADHS.»

Lukas: «Wir probierten diverse Strategien aus, um Hanna das Lernen zu erleichtern – Aufgaben aufteilen, mehr Bewegung integrieren. Und sie begann, ein ADHS-Medikament zu nehmen – was die Situation verbesserte.»

Hanna: «Mit Medis halte ich viel länger durch. Ohne kann ich mich nicht so lange konzentrieren – auch wenn ich mich fest anstrenge. Seit ich eine Lehre als Gärtnerin mit Schwerpunkt Baumpflege mache, konnte ich die Dosis aber ziemlich runterfahren – weil ich mich viel draussen bewege und mich das Ganze auch sehr interessiert.»

In der Privatschule ging Hanna auf wie eine Blume und wir merkten, was in ihr steckt.

Lukas

Jacqueline: «In der Primarschule kam Hanna trotz Blockaden mit viel Unterstützung meist gut mit. Als bei ihr der Wechsel von der Primarschule im Dorf auf eine grosse Schule in der Stadt anstand, wussten wir aber, dass wir eine andere Lösung brauchen.»

Lukas: «Im Nachbarkanton fanden wir eine Privatschule, die ideale Voraussetzungen für Kinder mit ADHS bietet: Die Klassen sind sehr klein und es wird viel Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen gelegt. Hanna ging auf wie eine Blume und wir merkten, was alles in ihr steckt. Unterdessen darf auch Alina, unsere jüngere Tochter, von dieser Schule profitieren. Sie hat eine ganz andere Ausprägung von ADHS. Alina ist sehr verträumt, ihr fiel die Schule von Anfang an schwer.»

Jacqueline: «Der Aufwand ist allerdings gross, wir zahlen jeden Rappen selbst. Letztendlich ist es leider oft eine Frage der Finanzen, der Ressourcen, aber auch der Deutschkenntnisse der Eltern, ob Kinder mit ADHS die optimale Unterstützung erhalten. Das merke ich vermehrt, seit ich als ADHS-Coach arbeite.»

Hanna: «In der Lehre profitiere ich heute von meiner ADHS. Komplizierte Pflanzennamen auswendig lernen fällt mir sehr leicht. Weil mich das interessiert, muss ich die Namen nur zweimal anschauen. Mein Lehrmeister ist ganz fasziniert, was ich mir alles merken kann.»

Kristina Reiss
ist freischaffende Journalistin und Mutter einer Tochter, 12, und eines Sohnes, 9. Sie lebt mit ihrer Familie am Bodensee.

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