Lernen mit ADHS: «Ich brauch eine Katze!»
Bei Elisabeth Vetsch und ihrem Mann sind alle drei Söhne von ADHS betroffen. Das Rezept für den turbulenten Alltag lautet Ritalin, Tiere und eine offene Kommunikation, erzählt die Mutter.
Elisabeth Vetsch, 40, Tierärztin, und ihr Mann Stefan Rieder, 42, Umweltnaturwissenschaftler, leben mit ihren drei Söhnen in Grüsch GR. Cornel, 11, Rico, 10, und Franco, 7, haben ADHS.
Unser mittlerer Sohn Rico erhielt die Diagnose gleich in der ersten Klasse. Dort fiel er auf, weil er nur rumblödelte und den Unterricht massiv störte. Da in einer Familie oft mehrere Kinder von ADHS betroffen sind, liessen wir seinen älteren Bruder ebenfalls abklären. Cornel war schon immer speziell im Verhalten und hat gewisse autistische Züge gezeigt. Insbesondere tat er sich schwer mit Regeln, war nicht ansprechbar, lebte oft in seiner eigenen Welt. Dass er nur eine stark ausgeprägte ADHS haben könnte, konnten wir uns nicht vorstellen.
Beim jüngsten Sohn ist die ADHS ganz anders ausgeprägt: Er ist viel weniger aufgedreht und dafür sehr verträumt.
Wie bei seinem Bruder wirkte auch bei Cornel Ritalin unglaublich: Auf einmal war das Kind ansprechbar! Mich berührte es sehr, als Cornel am dritten Tag nach Hause kam und sagte: ‹Mami, es ist komisch, ich habe so ein wohliges Gefühl in der Schule.› Das Kind war in der dritten Klasse und fühlte sich dort zum ersten Mal richtig wohl! Da wussten wir: Wir hätten ihn früher abklären lassen sollen.
Unseren Jüngsten, Franco, der nur leicht auffällig war, liessen wir deshalb bereits vor Schuleintritt testen. Bei ihm ist die ADHS ganz anders ausgeprägt: Er ist viel weniger aufgedreht und dafür sehr verträumt. Zum Sockenanziehen braucht er beispielsweise zehn Minuten, für die Schuhe nochmals fünf. Bisher kommt er gut ohne Ritalin klar.
Alle Lehrpersonen sind über die Diagnosen unserer Kinder informiert und unterstützen uns und die Kinder vorbildlich. Durch unsere offene Kommunikation erfahren wir viel Verständnis, Toleranz und Hilfe. Ausserdem gehen unsere beiden Ältesten zur Ergotherapie, die sie lieben und von der sie stark profitieren.
ADHS und Hausaufgaben
Unsere 31 Tiere – Hühner, Meerschweinchen, Hamster, eine Schlange, Hasen, fünf Katzen und ein Hund – helfen ebenfalls. Kamen die Kinder früher von der Schule nach Hause, war dies von Geschrei begleitet. Heute wird erst mal mit dem Hund geschmust, dann sind die Kinder wieder ansprechbar. Das gilt auch für die Katzen: ‹Ich brauch eine Katze!›, rufen die Buben, wenn sie kurz vorm Ausrasten sind. Dann knuddeln sie mit einer und es ist wieder gut.
Jedes Kind zum Aufgabenmachen in sein Zimmer zu schicken, bringt nichts; sie brauchen Nähe.
Hausaufgaben sind auch so ein Thema: Nach spätestens 15 Minuten kann sich keiner mehr konzentrieren. Dann hilft es, wenn die Buben eine Runde in den Hühnerauslauf gehen, wo sie herumklettern können. Oder sie hüpfen auf dem Trampolin. In unserem alten Stall, den wir zum Indoorspielplatz umfunktioniert haben, ist das riesige begehbare Meerschweinchengehege. Sich hinzusetzen und die Tiere aus der Hand zu füttern, entspannt die Buben ebenfalls enorm.
Mittlerweile wissen wir auch: Jedes Kind zum Aufgabenmachen in sein Zimmer zu schicken, bringt nichts; sie brauchen Nähe. Gleichzeitig ist es wichtig, die Buben räumlich zu trennen. So arbeitet einer in der Küche, ein anderer im Wohnzimmer und der dritte bei mir in der Praxis, die sich im selben Haus befindet. Ausserdem habe ich akzeptiert, dass einer der Buben ein Abendmensch ist. Seit ich toleriere, dass er seine Hausaufgaben erst später erledigt, klappt es besser.