«Manchmal muss man kreativ sein, damit es besser läuft»
Der elfjährige Johan hat ADHS, eine stille Form ohne Hyperaktivität. Er und seine Mutter Carmen erzählen, wie sie im Familienalltag damit umgehen.
Johan Achermann, 11, geht in die fünfte Klasse und erzählt zusammen mit seiner Mutter Carmen Stirnimann, 44, Leiterin eines Museums, von seinen Erfahrungen mit ADHS. Mit seinen Geschwistern Lorenz, 15, und Paula, 5, und Vater Marco, 46, Raumplaner, wohnt er in Stans NW.
Johan: «In der zweiten Klasse habe ich gemerkt, dass ich mich nicht so gut konzentrieren kann wie die anderen und dass ich vor allem langsamer bin. Nachdem wir mit der Lehrerin geredet hatten, sind wir zum – wie hiess das?»
Carmen: «Schulspychologischer Dienst.»
Johan: «Ja, genau. Und dann kam heraus, dass ich stilles ADHS habe, also ohne Hyperaktivität. Seither bekomme ich mehr Zeit in Prüfungen.»
Carmen: «Wir Eltern fanden es komisch, dass es bei Johan einerseits in der Schule gut läuft, ihn aber andererseits das Arbeitstempo und auch die Hausaufgaben so stressen. In der Schule hat er sich immer ganz fest zusammengenommen, aber zu Hause konnte er es dann nicht mehr kompensieren.»
Johan: «Du musst dir das so vorstellen: Du fährst mit einer Gruppe Velo und alle haben neue, gute Velos. Nur du hast ein altes, verrostetes. Egal, wie viel Mühe du dir gibst, du wirst immer hinten bleiben, auch wenn du dich dreimal so sehr anstrengst. So fühle ich mich oft, und so erkläre ich das den Lehrerinnen und Lehrern.»
Es ist für alle eine grosse Herausforderung. Man muss die Bedürfnisse von Johan immer im Auge behalten.
Carmen, Mutter
Carmen: «Nach einer intensiven Abklärungsphase bei einem ADHS-Spezialisten sind wir mit den Lehrpersonen zusammengesessen und haben abgemacht, was Johan benötigt, um gut zu lernen.»
Johan: «Dass ich zum Beispiel auch im Gruppenzimmer arbeiten darf, wenn ich einen ruhigen Ort brauche, um mich zu konzentrieren.»
Carmen: «Es fällt dir oft schwer, anzufangen, dann stellst du dir eine Uhr und musst innerhalb der ersten Minute anfangen – das klappt ganz gut.»
Johan: «Ja, oder ich sage mir: ‹Ich arbeite jetzt zehn Minuten und dann darf ich ein Gummibärli essen oder aufstehen und kurz etwas anderes machen.› Dann geht es auch besser.»
Carmen: «Es ist für alle eine grosse Herausforderung. Man muss die Bedürfnisse von Johan immer im Auge behalten und die Alltagsstrukturen für ihn anpassen. Seit diesem Schuljahr zum Beispiel müssen die Schülerinnen und Schüler die Hausaufgaben selbst aufschreiben. Es war für Johan schwierig, den Überblick zu behalten. Was anfangs zu viel Frust zu Hause führte, weil er gar nicht wusste, was er erledigen muss. Neu haben wir nun mit der Lehrperson vereinbart, dass sie immer kurz mit Johan kontrolliert, was er zu tun hat.»
Johan: «Ja, und seither klappt es gut.»
Carmen: «Du hattest bisher auch immer grosses Glück mit deinen Lehrerinnen und Lehrern. Die Flötenlehrerin hat zum Beispiel festgestellt, dass es Johan Mühe macht, Stücke einzuüben und die Töne ab Blatt nachzuspielen. Deshalb lässt sie ihn nun selbst Stücke komponieren. Manchmal muss man nur ein wenig kreativ sein, damit es besser läuft.»