«Während eines Streits lassen sich keine Lösungen finden» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Während eines Streits lassen sich keine Lösungen finden»

Lesedauer: 4 Minuten

Eine Mutter und ein Vater suchen Rat beim Elternnotruf. Sie fürchten, den Kontakt zu ihrem ­15-jährigen Sohn verloren zu haben. Dieser missachtet vereinbarte Gamezeiten und reagiert aggressiv, wenn die Eltern diese einfordern. So lief das Gespräch mit dem Elternberater in Zürich.

Aufgezeichnet von Matthias Gysel
Bild: Rawpixel.com

Das Wichtigste in Kürze

  • Nehmen Sie als Mutter oder Vater Ihre eigenen Gefühle wahr.
  • In der Eskalation sind keine Lösungen möglich.  
  • Verzögert reagieren ist hilfreich. 
  • Bieten Sie Ihrem Kind Gesten der Versöhnung an. Hinter einem Vorwurf steht ein Bedürfnis.

Mutter: «Unser Sohn führt sich auf wie ein Chef. Er droht und demütigt uns. Wir wissen nicht, wann es die nächste Auseinandersetzung gibt, und sitzen wie auf Nadeln. Wir sind ohnmächtig und der Situation ausgeliefert.»

Vater: «Jeder Streit endet mit Machtkämpfen. Es belastet unsere Familie und unsere Beziehung. Wir haben das Gefühl, den Einfluss auf ihn verloren zu haben. Wir kennen ihn nicht mehr.»

Berater: «Was sind die Auslöser für die Eskalationen?»

Matthias Gysel ist Sozialarbeiter, Coach und Berater beim Elternnotruf. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen.

Mutter: «Der Grund für den Streit ist sein Gameverhalten. Unser Sohn hält sich an keine Abmachungen mehr. Wenn wir ihn darauf hinweisen, reagiert er sehr wütend. Es ist ihm egal, was wir sagen oder einfordern.»

Vater: «Er schreit und beleidigt uns massiv.»

Berater:«Was haben Sie mit ihm vereinbart?»

Mutter: «Wir sind bereits gross­zügig. Unter der Woche darf er, nachdem er seine Hausaufgaben gemacht hat, eine Stunde gamen. Am Samstag und Sonntag jeweils zwei Stunden. Früher waren wir strenger, doch wir haben es aufgegeben.» 

Als Eltern sollten Sie die Verantwortung für ihre Gefühle ­übernehmen und sie nicht dem Sohn übergeben.

Berater: «Wie fühlen Sie sich, wenn Ihr Sohn sie verbal demütigt?»

Mutter: «Verletzt und angegriffen. Irgendwie der Würde beraubt.» 

Berater: «Wie reagieren Sie in einer solchen Situation?»

Mutter: «Wir machen unserem Sohn klar, dass er so nicht mit uns umgehen darf und sein Verhalten Konsequenzen haben wird.»

Berater: «Was geschieht dann?»

Vater: «Er rastet aus und wird noch verletzender oder läuft weg. Oft gehe ich ihm hinterher.»

Berater: «Warum?»

Vater:«Weil er so nicht mit uns umgehen darf. Wir verlieren das Gesicht, wenn wir alles durchgehen lassen.»

Berater:«Und dann eskaliert die Situation endgültig?»

Mutter: «Ja, immer.»

Berater: «Während eines Streits können keine Lösungen gefunden werden. Die Gefühle sind zu heftig. Es ist deshalb sinnvoll, dass Sie das Eskalationsmuster wenn immer möglich unterbrechen und in der akuten Situation keine Veränderungen erwarten. Es hilft Ihnen, wenn Sie Distanz herstellen, innere und räumliche. Sie können Ihrem Sohn mitteilen, dass jetzt keine Lösung gefunden werden kann, Sie später aber, wenn sich die Gefühle beruhigt haben, wieder darauf zurückkommen werden. Er braucht von Ihnen die klare Botschaft einer Unterbrechung. Man nennt dies verzögerte Reaktion. Dieses Vorgehen führt nicht zu einem Gesichtsverlust Ihrerseits. Sie können zur Ruhe kommen und nachher mit gefestigter Haltung und gelasseneren Gefühlen und Gedanken das Gespräch wieder aufnehmen und die Verhaltensänderung erneut einfordern.»

In solchen Situationen kann es für Eltern auch hilfreich sein, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und zuzulassen. Wut, Verzweiflung, Angst oder Hilflosigkeit dürfen sein. Wichtig ist, die Gefühle nicht gleich zu bewerten.

Berater: «Haben Sie manchmal den Wunsch, das Verhalten Ihres Sohnes zu kontrollieren?»

Vater: «Ist das nicht auch eine Aufgabe der Eltern?»

Berater:«Es ist in der Regel nicht sinnvoll, das Verhalten von Kindern oder Jugendlichen kontrollieren zu wollen. Es ist nicht zielführend. Das Nichterreichen der Kontrolle kann zu weiteren Ohnmachtsgefühlen führen. Was Sie aber kontrollieren und worüber Sie entscheiden können, ist Ihr Umgang mit Ihren Gefühlen. Wenn Sie das tun, sind Sie mehr bei sich und der Situation weniger ausgeliefert, es führt Sie ein Stück weit in die eigene Wirksamkeit zurück und kann auch beim Kind eine erste Verhaltensänderung bewirken. Als Eltern sollten Sie die Verantwortung für Ihre Gefühle übernehmen und sie nicht dem Sohn übergeben.»

Der Elternnotruf

Bei Themen rund um den Familien- und Erziehungsalltag ist der Verein Elternnotruf seit fast 40 Jahren für Eltern, Angehörige und Fachpersonen eine wichtige Anlaufstelle – sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Die Beratungen finden telefonisch, per Mail oder vor Ort statt. www.elternnotruf.ch 

An dieser Stelle berichten die Berater aus ihrem Arbeitsalltag.

Oft sind Mütter und Väter mit ihren Erwartungen an ihr Elternsein konfrontiert. Diese können sie – zusätzlich zur belasteten Situation mit ihrem Kind – weiter unter Druck ­setzen und Schuldgefühle hervorrufen. Es ist wichtig, dass die Ansprüche der Eltern an sich selbst erkannt und benannt werden können.

Mutter: «Wir haben versucht, unserem Sohn Anstand und Respekt mit auf den Weg zu geben. Nun verhalten wir uns ihm gegenüber ebenfalls respektlos. Wir haben als Eltern versagt.» 

Berater: «Es ist anerkennenswert, dass Sie sich Ihrer Erwartungen, welche einen Einfluss auf die Auseinandersetzungen mit Ihrem Sohn haben, bewusst sind. Das hilft, den daraus entstehenden zusätzlichen Druck einzuordnen und zu reduzieren. Tauschen Sie sich als Eltern über Ihre Erziehungserwartungen aus, auch über Auslöser im Erziehungsalltag, die den eigenen Erwartungsdruck erhöhen können. Wenn Ihre Gefühle und Worte in der Auseinandersetzung mit dem Sohn ­heftig sind, können Sie zu einem späteren Zeitpunkt mit ihm darüber reden. Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihren Anteil in der Auseinandersetzung. Sagen Sie Ihrem Sohn, dass Sie ihn als Eltern in jeder Situation unterstützen und immer für ihn da sind, egal, was ist oder war. Schenken Sie ihm Vertrauen und bieten Sie ihm emotionale Sicherheit.» 

Mutter: «Wegen der ständigen Streitereien und Verletzungen haben wir Angst, dass die Liebe zu unserem Sohn weggeht. Das ist so schrecklich.»

Berater: «Versuchen Sie, Ihre Aufmerksamkeit anders auszurichten. Auf jene Situationen und Begegnungen mit Ihrem Sohn, die nach wie vor gut sind. Teilen Sie ihm Ihre positiven Wahrnehmungen mit. Bieten Sie ihm Gutes an, vielleicht eine gemeinsame Unternehmung oder sein Lieblingsessen. Wenn es möglich ist, treten Sie mit ihm vermehrt in schönen Momenten in Kontakt. Das gibt den verbindenden Gefühlen auch in schwierigen Auseinandersetzungen wieder mehr Gewicht. Oft stehen hinter Vorwürfen unerfüllte Bedürfnisse auf beiden Seiten, die wahrgenommen werden wollen. Sprechen Sie diese mit Ihrem Sohn an und gehen Sie in einen emotionalen Austausch mit ihm.»

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