Wir waren an dieses Männlichkeitsnarrativ gekettet wie Hunde an ihre Zwinger und kein Lehrer, kein Elternteil, kein älteres Geschwister sagte uns, dass es ein Zeichen von Unreife und, ja, Blödheit ist, sich zu schlagen. Solche Botschaften hörten wir nirgends, und hätten sie wohl auch nicht geglaubt. Und so verbrachten wir Grossteile unserer Kindheit damit, uns auf das Unausweichliche vorzubereiten. Wir tauschten Geschichten aus, die ihren Schrecken daraus zogen, dass wir nicht wussten, ob sie über- oder untertrieben waren. Irgendwann ahnten wir auch, wer es sein würde, mit dem wir uns würden prügeln müssen.
Warum Jungs sich prügeln

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Als sie mir schliesslich in einem Wäldchen in der Nähe der Schule auflauerten, war ich fast erleichtert, dass es nun endlich geschehen würde. Der Grössere der beiden sagte etwas, ich verstand ihn nicht recht und fragte idiotisch: «Wie bitte?», woraufhin er mich vor die Brust stiess. Ich taumelte zurück und wollte davonrennen. Mein Oberkörper drehte sich, aber meine Beine blieben stehen. Sie waren gelähmt. Dann schlug mir der andere ohne Vorwarnung ins Gesicht.
Für einen kurzen Moment meinte ich in seinen Augen immerhin so etwas wie Verwirrung zu erkennen, dann aber wich er mir aus, mein Schlag rutschte an seiner Schulter ab, und er riss mich zu Boden und trat mir zweimal in den Magen.
Ich blieb noch eine Weile liegen, nachdem sie davongelaufen waren. Ich weinte, aber ich war okay. Am nächsten Tag prahlte ich mit dem Vorfall. Aber heute, 32 Jahre später, spüre ich noch immer den kalten Schauer, der mir den Rücken hinunterlief, und die Angst, die hinterher nicht kleiner, sondern grösser wurde.
Du wirst nicht erwachsen, wenn du dich schlägst, du bleibst ein Kind.
Zum Autor:
Kolumne im Wechsel mit Michèle Binswanger. Mikael Krogerus ist Vater einer Tochter und eines Sohnes und lebt mit seiner Familie in Basel.
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