Vater sein – ein Fazit - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Vater sein – ein Fazit

Lesedauer: 2 Minuten

«Haben mich Kinder zu einem besseren Menschen gemacht?» Mit dieser Frage beschäftigt sich unser Kolumnist und erschrickt beim Gedanken, was man in der Erziehung alles falsch machen kann.

Hilf- und ahnungslos. So fühlte ich mich, als ich in den Nebenraum durfte, um meine Tochter zu sehen, die die Ärzte kurz zuvor ihrer Mutter aus dem Bauch geschnitten hatten. Da stand ich nun, schaute zu, wie das kleine Wesen gewogen und eingewickelt wurde, und hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht, wie ich sie anfassen sollte. Wusste nicht, wohin ich schauen, wusste nicht, was ich denken sollte.

Heute ist sie zweieinhalb und ich bin nicht mehr ganz so überfordert. Und doch bringen die Kleine und ihr Halbbruder (12) mich immer wieder in Situationen, in denen ich rat- und fassungslos denke: «Echt jetzt?», oder: «Was nun?».

Es war vielleicht das Entmutigendste, was mich der grosse Altersunterschied meiner Kinder gelehrt hat: Egal, wie alt sie sind, es wird immer schwierig sein, immer kompliziert, immer anstrengend. Die Probleme verlagern sich, das Nicht-Durchschlafen wird abgelöst vom Nicht-Aufstehenwollen, das Trötzeln mit 2 vom Trötzeln mit 10.

«Kinder halten uns geistig fit.»

Kinder fordern uns heraus, ob sie wollen oder nicht. Sie zwingen uns, die Komfortzone zu verlassen, Fehler zu machen und dazuzulernen. Positiv formuliert: Sie halten uns geistig fit. Negativ formuliert: Sie verschlingen unsere Energie.
Dieser Artikel stammt aus
Dieser Artikel stammt aus unserem grossen Online-Dossier über moderne Väter. Lesen Sie Artikel und Interviews über die Rolle der Väter dem Kind gegenüber, in der Familie und in der Gesellschaft. Mit vielen Berichten von den Vätern selbst.

Haben mich die Kinder zu einem besseren oder zumindest anderen Menschen gemacht, wie man es mir prophezeite?

Meine Frau sagt ja. Sie findet, ich sei reifer geworden, gelassener, zufriedener auch. Ich sei nicht mehr derart auf der Suche nach Erfüllung im Beruf, weil meine Tochter mir einen Sinn im Leben gegeben habe. Verständnisvoller sei ich, sagt sie, und belastbarer, effizienter. Ich könnte besser multitasken und Prioritäten setzen. Damit muss ich ja fast zwangsläufig einverstanden sein.

Tatsächlich fühle ich mich heute in Situationen gewappnet, die mich früher nervös gemacht hätten. An meinem Wesen, bin ich aber überzeugt, haben die Kinder nicht gerüttelt: Ich finde, ich war schon vorher ein sehr überlegter, verantwortungsvoller und geduldiger Mensch – bloss hat das damals niemand derart auf die Zerreissprobe gestellt. Nicht mal mein Lifestyle hat sich wahnsinnig verändert, ich bin seit je am liebsten zu Hause.

«Ich sehe meine Eltern jetzt mit anderen Augen.»

Meine eigenen Eltern hingegen sehe ich mit anderen Augen, seit ich selbst Vater bin, unverklärter, entromantisierter. Auch sie mussten oft ahnungslos, überfordert und genervt gewesen sein; als Kind empfand ich sie jedoch stets als souverän und fast schon altehrwürdig.

Irgendwie bezweifle ich, dass meine Kinder dasselbe von mir denken werden. Ich hoffe, sie nehmen mich als authentisch wahr, denn das ist mir das Wichtigste. Wer sich so gibt, wie er ist, hat schon vieles richtig gemacht – das ist das Konzentrat, das ich aus all den Erziehungsratgebern mitnehme.

Was nützt eine gute Strategie, wenn man sie halbherzig vertritt?

Ich lote ad hoc aus, was für mich stimmt, und höre dabei auf Hirn, Herz und Bauchgefühl. Sagt Jesper Juul dasselbe – fein. Widerspricht er – soll er doch.

Klar ist es erschreckend, wenn man bedenkt, was man alles falsch machen kann in der Erziehung und welche Folgen das für das ganze Leben haben kann. Aber mich deswegen verrückt machen? Nein danke. Ein Kind ist für mich weder Projekt noch Heilsbringer, und auch als Vater habe ich nicht aufgehört, a priori Mensch zu sein.

Einiges hätte ich nicht so erwartet. Zum Beispiel, dass man so wütend auf sein eigen Fleisch und Blut werden kann. Erst recht auf fremdes. Zum lebenslangen Lernprozess gehört wohl, einzusehen, dass deine eigenen Kinder überhaupt gar nichts mit dir gemeinsam haben müssen.

Ich sehe das Kinderhaben in vielerlei Hinsicht als Geisterbahn: Du weisst nicht, was kommt, aber es wird garantiert deinen Puls hochjagen. Es bleibt eine Mischung aus Anspannung und freudiger Erwartung, aus Angst und Glück. Irgendwann fährst du aus dem Tunnel, bist erleichtert und rufst: noch mal!

Zum Autor:


Reto Hunziker  ist freier Journalist. Er lebt mit Frau, Tochter und Stiefsohn in Zürich. Seine Patchworkfamilie sei manchmal verflixt und zusammengenäht, «aber wenigstens ist mir seit Jahren nicht mehr langweilig».
Reto Hunziker  ist freier Journalist. Er lebt mit Frau, Tochter und Stiefsohn in Zürich. Seine Patchworkfamilie sei manchmal verflixt und zusammengenäht, «aber wenigstens ist mir seit Jahren nicht mehr langweilig».

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