Eine verhängnisvolle Hormondröhnung
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
In fast allen Familien tragen meist nur die Mütter die emotionale Verantwortung. Genau so, wie die Väter meist ungefragt fürs Finanzielle einzustehen haben. Während jeder weiss, was Geld wert ist, gestaltet sich das bei Gefühlen schon schwieriger. Eine Kolumne von Michèle Binswanger.
«Papa?», fragte er.
«Ja?», antwortete Papa.
«Wo ist Mama?», fragte der Sohn.
«In ihrem Büro», sagte der Vater.
«Mama?», rief der Junge.
«Ja?», rief ich.
«Kannst du mir bitte ein Glas Milch geben?»
FRAG DOCH PAPA! müsste die korrekte Antwort an dieser Stelle lauten. Aber der Gescheitere gibt bekanntlich nach, auch wenn er dadurch zugibt, dass er mit seinen Konzepten gescheitert ist. Zum Beispiel dem Konzept: ausgewogene Aufgabenteilung in familiären Belangen.
«In fast allen Familien tragen fast ausschliesslich die Mütter die emotionale Verantwortung.»
In fast allen Familien tragen fast ausschliesslich die Mütter die emotionale Verantwortung. Genau so, wie die Väter meist ungefragt fürs Finanzielle einzustehen haben. Nur weiss jeder, was Geld wert ist. Bei Gefühlen ist das schwieriger. Und so ist es für Frauen auch schwierig zu benennen, was sie eigentlich leisten. Und es ist auch schwierig, Männern klar zu machen, was es bedeutet, wenn die Kinder den ganzen Tag mit ihren Bedürfnissen an die mütterliche Küste branden, während sie lediglich punktuell eingreifen. Denn auch leidenschaftliche Mamas haben davon irgendwann genug. Aber bei ihrem Job gibt es keinen Feierabend.
«Über die Jahre gerechnet, war mein Mann vielleicht sogar mehr zu Hause als ich.»
Aber bevor Sie jetzt in die Apotheke rennen und Ihren Mann mit einem Oxytocinspray attackieren, sollten Sie noch dies wissen: In Sachen Kindern und Familie hat das Hormon bei Männern einen leicht anderen Effekt als bei Frauen. Männer bilden nämlich mit der Vaterschaft ähnlich viel vom Liebes-Hormon wie die Frauen. Aber während Frauen auf Oxytocin dazu neigen, ihre Kinder zärtlich zu umsorgen, bewirkt es bei Vätern eher stimulierendes Verhalten gegenüber ihrem Nachwuchs. Statt dem Sohn Milch zu geben, hätte der Vater ihn also eher dazu angehalten, das Zimmer aufzuräumen. Wobei, das ist vielleicht gar nicht so schlecht. Das nächste Mal werde ich in der Apotheke nach Oxytocin fragen.